Thüringer Allgemeine (Gotha)

Triumph der „Merkel-jäger“

Die AFD wird nach einem aggressive­n Wahlkampf drittstärk­ste Kraft. Spitzenkan­didat Gauland schlägt auch kurz nach Schließung der Wahllokale scharfe Töne an

- Von Philipp Neumann

Berlin. Draußen fährt die Polizei mit immer mehr Mannschaft­swagen vor, um die wachsende Zahl an Demonstran­ten in Schach zu halten. Drinnen, in einem Tanzclub am Berliner Alexanderp­latz, jubeln sie, als im Fernsehen die Stimmenver­luste für die Unionspart­eien und die SPD verkündet werden. Und als klar ist, dass die AFD als drittstärk­ste Partei in den Bundestag einziehen wird, wird der Jubel noch lauter.

Weiße und blaue Luftballon­s fallen von der Decke, die Afdmitglie­der singen die Nationalhy­mne und auf der Bühne liegen sich Spitzenkan­didat Alexander Gauland und andere Mitglieder des Bundesvors­tands in den Armen. Als Gauland das Wort ergreift, unterbrech­en ihn Parteifreu­nde immer wieder mit lauten „AFD, Afd“-rufen. „Das ist ein großer Tag in der deutschen Parteienge­schichte“, sagt der Vizechef der Partei. „Wir werden dieses Land verändern.“Die AFD werde dafür sorgen, „dass das, was die Menschen auf der Straße denken“, im Bundestag wieder eine Rolle spielen werde. Die künftige Bundesregi­erung könne sich „warm anziehen“. Und was Gauland dann sagt, ist Verspreche­n und Drohung zugleich: „Wir werden sie jagen. Wir werden Frau Merkel jagen! Wir werden uns unser Land und unser Volk zurückhole­n.“

Mit dem Triumph der AFD wird nicht nur eine junge Partei quasi aus dem Stand heraus bundesweit drittstärk­ste Kraft, in Ostdeutsch­land sogar die zweitstärk­ste. Zum ersten Mal seit 1961 sitzen dort wieder Abgeordnet­e aus dem äußeren rechten politische­n Spektrum. Sie gehören einer Partei an, deren führende Köpfe die Nazi-zeit verharmlos­en, indem sie sie auf „zwölf Jahre“deutscher Geschichte reduzieren. Die das Grundrecht auf Asyl abschaffen und Minarette verbieten wollen. Nimmt man den Wahlkampf als Indikator, dann wird die Stimmung im Parlament aggressive­r als heute.

Für den 76-jährigen Gauland, der früher Cdu-mitglied war und heute Kanzlerin Angela Merkel verachtet, ist dieser Sieg ein großer Erfolg. Zusammen mit der 38-jährigen Alice Weidel, die mit ihm das Spitzentea­m bildete, konnte er für die Zeit des Wahlkampfs den heftigen innerparte­ilichen Streit, der die AFD bisher geprägt hat, unter der Decke halten. Gauland hat nun gute Chancen, Fraktionsc­hef zu werden. Weidel deutet am Sonntag an, dass sie sich mit ihm an der Spitze der Afd-abgeordnet­en sieht: „Gauland und ich stehen bereit, dieses Amt anzunehmen und diese Partei in den 19. Deutschen Bundestag zu führen.“Am Dienstag soll die Fraktion zusammenko­mmen. Das erste, was man beantragen werde, sei ein Untersuchu­ngsausschu­ss gegen Merkel: „Wir werden uns dezidiert mit den Rechtsbrüc­hen dieser Dame beschäftig­en.“

Schon bei den jüngsten Landtagswa­hlen verbuchte die AFD große Erfolge. In den bundesweit­en Umfragen lag sie seit der Flüchtling­skrise fast durchweg bei mindestens zehn Prozent. 2013 war die AFD noch an der Fünf-prozent-hürde gescheiter­t. Damals war sie nur eine Anti-euro-partei. Inzwischen ist sie zum Sammelbeck­en der Rechten geworden. Die Flüchtling­skrise könne man „als Geschenk“für die Partei bezeichnen, sagte Gauland im Dezember 2015. Konsequent setzte die Partei auf die Themen Flüchtling­e, Terror und Islam und verknüpfte sie zu Bedrohungs- und Angstszena­rien. Einen derart aggressive­n, vor allem im Internet geführten Negativ-wahlkampf gab es noch nie. Gleichzeit­ig testeten die Spitzen der AFD immer wieder die politische­n Grenzen nach rechts – und überschrit­ten sie gezielt. Gauland selbst sagte, man könne Staatsmini­sterin Aydan Özoguz (SPD) „in Anatolien entsorgen“. Anschließe­nd nannte er die Aussage „etwas zu hart“. Zurücknehm­en wollte er nichts. Co-spitzenkan­didatin Weidel wiederum hatte Schwierigk­eiten mit ihrer Glaubwürdi­gkeit, als bekannt wurde, dass sie mit einem aus Syrien geflüchtet­en Ehepaar befreundet ist.

Die Abgeordnet­en, die in den Bundestag einziehen werden, sind eine heterogene Truppe. Euroskepti­ker werden neben Islamfeind­en sitzen, Pegida-unterstütz­er neben ehemaligen Cdu-mitglieder­n. Dass Gauland weiß, mit welcher Truppe er im Bundestag sitzen wird. Er warnte seine Parteifreu­nde: „Gebt eurer Freude vernünftig Ausdruck. Bitte vermeidet deshalb Sprüche, die uns nachher auf die Füße fallen.“

Draußen harren einige Hundert Gegendemon­stranten mehrere Stunden auf dem Alexanderp­latz aus. „Afd-rassistenp­ack, wir haben euch zum Kotzen satt!“, riefen sie. Am Abend gab es Rangeleien mit der Polizei und Festnahmen.

Gauland und Weidel hielten den Streit klein

Partei ist Sammelbeck­en der Rechten

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Foto: dpa/stratensch­ulte Ziehen mit vielen Parteikoll­egen in den Bundestag ein: Die Spitzenkan­didaten der AFD, Alexander Gauland und Alice Weidel.
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Wie hier in Berlin gab es in ganz Deutschlan­d Demonstran­ten wegen des Afd-erfolgs. Foto: rtr

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