Auf der Suche nach den Afd-wählern In der Stadt Gera und im Dorf Herrnschwende ist die Alternative für Deutschland besonders stark. Aber kaum einer bekennt sich zu ihr
Gera/herrnschwende. Zugig ist es. Regenschauer huschen über die Bahnsteige. Es ist ungemütlich in Gera am Tag nach der Bundestagswahl.
Zwei Regionalbahnen stehen trotzig auf den Gleisen und warten auf Fahrgäste. Es riecht nach Diesel. Stromleitungen für einen ICE oder Fernzüge gibt es nicht in der 96000-Einwohner-stadt im Thüringer Osten. Wer von hier aus in die weite Welt reisen möchte, muss noch einmal umsteigen – in Leipzig oder Erfurt. Wer in den Süden will, für den bietet sich Saalfeld oder Jena an.
Das Untergeschoss des Bahnhofs schützt Reisende vor dem schlechten Wetter. Eine Spielothek, eine kleine Modelleisenbahn, die für einen Euro ihre Runden dreht. Imbissstände. Bockwurst, Bratwurst, Currywurst. Wahlweise mit Brötchen oder Kartoffelsalat. Das ist die Alternative.
Hier in Gera hat die Alternative für Deutschland abgeräumt: 28,5 Prozent hat die AFD bei den Bundestagswahlen geholt. Mehr als jede andere Partei. Die CDU landete mit 22,6 Prozent weit hinter der AFD. Die Linke als drittstärkste Partei kommt auf 20,7 Prozent.
Ein älterer Herr sitzt an einem der Tische mit Wachstuchdecke und liest Zeitung, während er mit dem Messer seine Bratwurst zerteilt. Ja: Er kann verstehen, dass es so gekommen ist. Und nein: Er könnte Björn Höcke, den Thüringer Afd-chef, nicht wählen, sagt er. Aber er versteht die, die es getan haben. Die Menschen, die aus Protest ihr Kreuz bei der AFD gemacht haben.
Der Niedergang der Stadt, so der Mann im Bahnhofs-imbiss, habe mit dem Ende der Wismut nach der Wende begonnen. Viele der Bergleute hätten auf der Suche nach Jobs die Region verlassen. Heute folge die Jugend.
An der Misere sei Gera vor allem selber schuld, meint der Mann, der seinen Namen nicht nennen möchte. Er zieht es vor, anonym zu bleiben.
Herrnschwende ist ein Dorf im Kreis Sömmerda. Nicht einmal 300 Menschen leben hier. Die Häuser sind nett anzusehen, und dennoch herrscht hier keine Idylle. „Jeder zahlt seine Steuern, aber hier im Dorf kommt nichts an“, klagt Ekbert Teichmüller und sieht darin einen Grund für das gute Abschneiden der AFD. Wobei das Wort „gut“untertrieben ist: Die AFD schaffte 41,1 Prozent der Stimmen – fast jeder Zweite stimmte für die Alternative von rechts.
Weil so wenig ankommt und sich niemand findet, der die nicht besonders gut dotierte Stelle des Gemeindearbeiters besetzen möchte, nehmen die Dorfbewohner auch schon mal selber ihr Geschick in die Hand. Erst am vergangenen Wochenende fand ein Arbeitseinsatz statt. „Wir haben Rasen gemäht und Bäume verschnitten“, erzählt Teichmüller, der keine Scheu hat, seinen Namen zu nennen.
„Es ist traurig, dass die ländliche Gegend hier so wenig Beachtung findet“, schließt der Mann im mittleren Alter seine Betrachtung über das Dorf ab. Wenn der Bürgermeister nicht für ein paar Bratwürste in seine Tasche greifen würde, gäbe es gar nichts“, sagt er.
Die paar Bratwürste bedeuten viel. Wie andere im Dorf auch kann Teichmüller keine großen Sprünge machen. Er und seine Frau arbeiten in Schichten, dennoch bleibe vom Lohn nichts für Urlaub oder einen neuen Kühlschrank hängen. Ach ja, noch was: Sein Kreuz habe er allerdings nicht bei der AFD gemacht.
Der Bahnhofsimbiss von Gera. Ein weiterer Gast, um die 40 Jahre alt, trifft ein. Das Wahlergebnis wundere ihn schon ein wenig, sagt er. Aber auch er kann es verstehen: Als die CDU vor Jahren an der Regierung gewesen sei, habe sie Polizei abgebaut, erregt er sich. Er fragt sich: Wie soll diese Partei besorgten Müttern die Angst nehmen, wenn sie sich nicht mehr auf die Straße trauen? Wobei, die AFD könne die Probleme auch nicht lösen. Sagt er, der es ebenfalls vorzieht, anonym zu bleiben.
Karin Henning steht vor dem Haus ihrer Ahnen, erbaut im Jahre 1813, und auch sie hat Verständnis für die Entscheidung vieler Dorfbewohner. „Ich habe zu Martin, meinem Mann gesagt, keiner kümmert sich um uns“, sagt die 69-jährige. „Wir haben so ein schönes Dorf, uns trotzdem sieht es so liederlich aus. Dass es jetzt so schön im Dorf aussieht, liegt an den Männern, die alles in ihrer Freizeit aufgeräumt haben.“
Das ist der Grundtenor in dem kleinen Ort. Roland Freytag, ein Kommunalpolitiker, bläst ins selbe Horn. „Wenn die Leute hier privat nichts machen, passiert hier nichts. Die Dörfer werden immer mehr kaputtgemacht und geraten in Vergessenheit.“Und weil das so ist, steht für ihn fest: „Das war eine Frustwahl in Herrnschwende. Wir haben hier keine Rechtsradikalen.“
Dann aber doch noch ein Mensch, der sich zur AFD bekennt. Sabine Goldschmidt sortiert fleißig Kartoffeln. „Es fehlen Lehrer“, seufzt die Frau, die vor 38 Jahren nach Herrnschwende heiratete. Für ihre Wahl führt sie zwei Gründe an: „Schulisch muss es besser werden, es müsste viel mehr für die eigene Bevölkerung getan werden.“Ihr zweiter Grund: „Wir brauchen frischen Wind. Frau Merkel soll nicht so lange regieren wie damals Helmut Kohl.“
Das Wetter in Gera will einfach nicht besser werden. Vor dem Bahnhof stehen ein Mädchen und ein Junge im Nieselregen. Die Schule ist aus.
Sie hat nicht gewählt, er schon. Nicht bei der Bundestagswahl aber bei der Juniorwahl, an der vor zwei Wochen Jugendliche unter 18 Jahren teilnehmen konnten.
Für das Mädchen steht fest: Das mit der AFD sei Mist. Der Junge hingegen findet das Wahlergebnis ganz okay. Nein, nein, es gehe ja nicht um Neonazis. Sondern darum, dass die deutschen Traditionen erhalten bleiben. Er ist nicht allein. Bei der Juniorwahl wurde die AFD zweitstärkste Kraft in Thüringen.
Woher die Afd-bundestagswähler kommen, ist nicht ganz klar in Gera. Die Stadt wirkt leblos und alleingelassen. Der Regen tut sein Übriges. Selbst die Einkaufsstraße „Sorge“liegt wie ausgestorben darnieder. Schutz vor dem nasskalten Wetter bietet neben dem Bahnhofsimbiss das Café der „Galeria Kaufhof“. Ein älterer Herr wärmt sich dort auf. Er habe aber nicht gewählt. In der DDR habe er allerdings auch nicht gewählt. Als Christ habe er die Stimmabgabe verweigert.
Aber er kann die Afd-wähler in Gera verstehen. Sie seien keine Protestwähler, keine Afdanhänger. Die Schere zwischen Reich und Arm sei das größte Problem. Kein Politiker, keine der Parteien unternehme etwas gegen die wachsende Ungerechtigkeit. Er selbst bekomme nur eine kleine Rente.
Noch weit von der Rente entfernt ist Henriette Uhrich aus Herrnschwende. In ein paar Wochen wird sie dem Dorf den Rücken kehren. Sie geht studieren. Den kleinen Ort beschreibt sie als idyllisch und sehr ländlich, geradezu perfekt für Kinder. „Eltern können sie raus zum Spielen schicken, ohne Angst haben zu müssen, dass ihnen hier etwas zustößt.“Warum die AFD gerade in Herrnschwende ein solches Ergebnis einfuhr, kann sie nicht nachvollziehen. Aber sie hat eine Ahnung: „Vielleicht haben das viele als Alternative zur NPD angesehen.“
Nausiß ist ein Ortsteil von Herrnschwende. Hier sei kaum noch Jugend anzutreffen, berichten Eckard und Margitta Daume. Der Zusammenhalt im Ort schwinde. Das habe wohl auch mit den Fremden zu tun, die in die leeren Häuser zögen, sie runterwirtschafteten. Und dann wieder verschwänden. Mit Ausländern hätten sie im Ort aber nichts zu tun. Dennoch sind sie überzeugt, dass Ausländer bei der Wahl eine Rolle gespielt haben. „Viele hier sind der Meinung, dass sie hart buckeln müssen und die Flüchtlinge alles umsonst bekommen“, erzählt Margitta Daume.
Ein älteres Ehepaar kommt ins Café der „Galeria Kaufhof“in Gera. Das Ergebnis für die AFD sei doch schon vor der Wahl klar gewesen, sagt der Mann. „Hätte Ungarn im Vorjahr seine Grenze nicht dicht gemacht, Merkel wäre schon heute keine Bundeskanzlerin mehr.“Der Flüchtlingsstrom hätte sie weggespült. Und er weiß Bescheid: Die meisten der Ausländer, die hierher kommen, seien Wirtschaftsflüchtlinge, raunt er noch , bevor er sich – namenlos – verabschiedet.
Karin Henning aus Herrnschwende steht noch immer vor dem Haus ihrer Ahnen und zeigt auf einen starken Busch mit blauen Beeren. „Den wollten sie bei einer Abm-maßnahme im Dorf damals wegschmeißen. So ein kleiner Busch, da habe ich gesagt: Nein, das geht nicht, den nehme ich mit. Jetzt habe ich drei Büsche und drei Enkelkinder. Die Büsche heißen wie die Enkelkinder. Der gelbe, der heißt Julia, da hinten der rote ist Lena und der Blaue hier, das ist Pauline.“