Abschiedsbrief wirft Fragen auf
Weitere Zeugenbefragung im Prozess gegen die Ärztin und frühere Bürgerrechtlerin Kerstin S. wegen Menschenraubs
Gera. Der Prozess am Landgericht Gera gegen die Ärztin und ehemalige Ddr-bürgerrechtlerin Kerstin S. ist am Montag mit der weiteren Befragung der Zeugin Martha K. fortgesetzt worden. Zusammen mit ihrem Mann Manfred K. soll die 82Jährige fünf Monate lange im Anwesen von Kerstin S., der Ottermühle bei Liebschütz (Saaleorla-kreis), festgehalten und zu falschen Geständnissen über sexuelle Gewalt gegen Tochter und Enkel gezwungen worden sein. Kerstin S., die wegen gemeinschaftlich begangenen Menschenraubs, Freiheitsberaubung und Diebstahls angeklagt ist, bestreitet die Vorwürfe.
Was tatsächlich in der Ottermühle vorfiel, bleibt auch am dritten Prozesstag rätselhaft und bizarr. Ausführlich befragte das Gericht Martha K, warum sie und ihr Mann die Mühle nicht verlassen hätten. Die 82-Jährige begründete dies mit ihrer Angst, Kerstin S. könnte ihre Drohung wahrmachen und den vermeintlichen sexuellen Missbrauch im Lebensumfeld des Ehepaars K. öffentlich machen.
Neue Fragen warfen am Vormittag auch Schriftstücke aus den Prozessunterlagen auf, die Richterin Andrea Höfs im Gerichtssaal verlas. Demnach hatte Manfred K. in getrennten Schreiben den Missbrauch schriftlich gestanden und den Tochter und Enkeln dafür eine finanzielle Wiedergutmachung in Gesamthöhe von 30 000 Euro zugesprochen. Weitere 30000 Euro sollte seine Frau Martha bekommen. Diese betonte gestern mehrfach, ihr Mann habe diese Geständnisse und Übertragungen nicht freiwillig verfasst. Wann er sie geschrieben hatte, wusste die Frau nicht.
Konfrontiert wurde Martha K. auch mit einem eigenen Abschiedsbrief, der nach ihrem Verlassen der Mühle dort gefunden worden war. Demnach habe sie sich das Leben nehmen wollen. Im Brief entschuldigt sie sich bei ihrer Familie, zudem bedankt sie sich bei Kerstin S. und ihrer Lebensgefährtin für die Aufnahme in der Mühle. Sinngemäß heißt es im Brief, es habe in ihrem Leben noch nie eine Frau gegeben, die sie auch einmal in den Arm nehme. Den Abschiedsbrief habe sie weder jemandem gezeigt noch abgeschickt, sondern bei ihren Unterlagen aufbewahrt. Wann der Brief geschrieben wurde, konnte die Zeugin auch nach mehrfacher Nachfrage der Verteidigung nicht sagen. Die Verteidigung griff am Nachmittag erstmals in die Vernehmung ein. Ausführlich wurde die Zeugin zu ihren Familienverhältnissen und zu den Beziehungen zu Tochter und Enkeln vernommen. Dabei kamen auch gegenseitige Anzeigen der Familienangehörigen zur Sprache. Verwundert reagierte die Verteidigung auf die Tatsache, dass sich Manfred und Martha K. vom gleichen Anwalt vertreten lassen, der auch eine Klage ihres Schwiegersohnes gegen Manfred K. wegen sexuellen Missbrauch begleitet.
Nach den Angaben der alten Eheleute spielten die Enkel Lena und Felix A. eine wichtige Rolle bei den Vorwürfen gegen die beiden Alten und ihren eigenen Vater. Beide Enkel werden beim Prozess nicht aussagen.