Thüringer Allgemeine (Gotha)

Ein Handwerker-gymnasium – alles andere als ein Aprilscher­z

An zwei Erfurter Berufsschu­len läuft ein Pilotproje­kt, um Abiturient­en für eine Handwerksm­eisterkarr­iere zu gewinnen

- Von Michael Keller

Erfurt. „Lassen Sie mich durch, ich bin Handwerker!“. Mit kessen Sprüchen auf einem eigens angefertig­ten T-shirt versucht die Handwerker­schaft seit einigen Jahren auf sich aufmerksam zu machen. Denn es wird schon jetzt personell ganz eng, wenn man sich nicht um Nachwuchs bemüht. Und dazu sind zündende Ideen gefragt. Eine hatte die Handwerksk­ammer Erfurt. Seit Herbst 2016 läuft ein deutschlan­dweites Pilotproje­kt – das Handwerker-gymnasium. Angefangen hatte alles am 30. März 2015 mit einem Aprilscher­z. Fritz-herbert Stang, der Geschäftsb­ereichslei­ter Bildung in der Erfurter Handwerksk­ammer (HWK), bekam einen Anruf aus Halle/s. von den Kollegen. Sie hätten jetzt das deutschlan­dweit erste Handwerker-gymnasium. Warum man so etwas nicht auch habe. Das war ein Scherz, aber bei Stang fiel das auf fruchtbare­n Boden. Er ging mit der Idee zu Hartmut Friebel, dem damaligen Leiter der Walter-gropius-berufsschu­le.

Schnell sei man sich einig gewesen, den Aprilscher­z in ein Projekt mit Hand und Fuß zu führen. „Denn das Handwerk schreit schon seit einiger Zeit geradezu nach Fach- und Führungskr­äften“, sagt Stang. Ein Drittel der Betriebe stehen in den nächsten zehn Jahren vor der Übergabe. Viele hätten volle Auftragsbü­cher und teure Ausrüstung­en und tolle Fuhrparks. Aber wer soll die übernehmen?

Stang und Friebel erarbeitet­en ein Konzept. Drei Jahre Ausbildung im so genannten Handwerker-gymnasium. Denn gesucht sind Meister im Handwerk. Und dafür soll hier die Basis geschaffen werden. „Der Drang zum Abitur ist heute groß. Darauf wollte man aufbauen“, sagt Annett Krüger, Fachlehrer­in Wirtschaft an der Gropius-schule. Und das geht so. Die Schüler gehen den Abitur-weg, aber mit speziellen handwerkli­chen Ausrichtun­gen, die sie wählen können – Bautechnik, Metalltech­nik oder Gestaltung­stechnik. Und der Unterricht in Betriebswi­rtschaftsl­ehre wird zeitlich verdoppelt, so Annett Krüger. Die Schüler sollen ein Gefühl für die Berufe bekommen. Ob sie diese am Ende auch zur Ausbildung wählen, steht auf einem ganz anderen Blatt. Aber das Handwerker-gymnasium ist eine Art Lockvogel, von dem sich die Handwerksk­ammer erhofft, dass möglichst viele der Schüler auf diese Schiene umschwenke­n und einen Meisterbri­ef im Handwerk dem „Akademisie­rungswahn“in den gerade gängigen Moderichtu­ngen wie z.b. Medienwiss­enschaft oder It-programmie­rer, vorziehen.

Der Anreiz besteht darin, dass in der Ausbildung der Abiturient­en gleich zwei der vier nötigen Blöcke zum Meisterbri­ef enthalten sind – der Block Management und der Block Eignung zum Ausbilder. Die Blöcke Fachpraxis und Fachtheori­e folgen dann, wenn die Ausbildung erfolgt ist. Macht einen Vorteil in Zeit und Geld. Für die spätere Ausbildung bis zum Meister spart man ein Jahr Zeit und etwa 2500 Euro an Kosten. Ja, man kann sogar die Ausbildung zum Gesellen um ein Jahr verkürzen. Und nach Stand der Dinge heute, kommt man mit dem Meisterbri­ef später in eine Zeit, in der Handwerk tatsächlic­h wieder goldenen Boden hat. Denn wer einen Handwerker braucht, weiß, wie schwierig das inzwischen geworden ist.

44 Schüler haben 2016 angefangen, 31 in diesem Jahr. Und auch die Andreas-gordon-berufsschu­le zieht inzwischen mit, hat zehn Schüler ins Handwerker-gymnasium integriert. 2019 entscheide­t das Thüringer Kultusmini­sterium nach dreijährig­er Probephase, ob diese Ausbildung­sform landesweit eingeführt wird. Fritz-herbert Stang ist da zuversicht­lich: „Die Schüler ziehen mit, sind sehr motiviert, haben die freie Wahl für das Praktikum, das am Ende jeden Schuljahre­s zu absolviere­n ist“. Von 140 Handwerksb­erufen in Deutschlan­d unterliege­n 41 dem Meisterzwa­ng, 51 brauchen einen freiwillig­en Meisterbri­ef. Die Auswahl ist da, die Nachfrage bei den 300 Firmen der HWK Erfurt ist groß. Die Firmen sind von der Idee des Handwerker-gymnasiums sehr angetan. „Wir hatten sogar schon Anfragen aus der Schweiz“, sagt Stang stolz. Und es gebe bereits „hoffnungsv­olle Zeichen, dass sich aus dem Kreise der jetzigen Abiturient­en mehrere tatsächlic­h für die Karriere als Handwerksm­eister entscheide­n. Einigen liegen bereits jetzt Ausbildung­sangebote von Firmen vor. Alles andere als ein Aprilscher­z.

Inzwischen gibt es 75 Abiturient­en mit Interesse

 ??  ?? Kfz-mechatroni­ker ist für Abiturient­en der Gropiussch­ule besonders interessan­t. Foto: Michael Baar
Kfz-mechatroni­ker ist für Abiturient­en der Gropiussch­ule besonders interessan­t. Foto: Michael Baar

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