Ein Handwerker-gymnasium – alles andere als ein Aprilscherz
An zwei Erfurter Berufsschulen läuft ein Pilotprojekt, um Abiturienten für eine Handwerksmeisterkarriere zu gewinnen
Erfurt. „Lassen Sie mich durch, ich bin Handwerker!“. Mit kessen Sprüchen auf einem eigens angefertigten T-shirt versucht die Handwerkerschaft seit einigen Jahren auf sich aufmerksam zu machen. Denn es wird schon jetzt personell ganz eng, wenn man sich nicht um Nachwuchs bemüht. Und dazu sind zündende Ideen gefragt. Eine hatte die Handwerkskammer Erfurt. Seit Herbst 2016 läuft ein deutschlandweites Pilotprojekt – das Handwerker-gymnasium. Angefangen hatte alles am 30. März 2015 mit einem Aprilscherz. Fritz-herbert Stang, der Geschäftsbereichsleiter Bildung in der Erfurter Handwerkskammer (HWK), bekam einen Anruf aus Halle/s. von den Kollegen. Sie hätten jetzt das deutschlandweit erste Handwerker-gymnasium. Warum man so etwas nicht auch habe. Das war ein Scherz, aber bei Stang fiel das auf fruchtbaren Boden. Er ging mit der Idee zu Hartmut Friebel, dem damaligen Leiter der Walter-gropius-berufsschule.
Schnell sei man sich einig gewesen, den Aprilscherz in ein Projekt mit Hand und Fuß zu führen. „Denn das Handwerk schreit schon seit einiger Zeit geradezu nach Fach- und Führungskräften“, sagt Stang. Ein Drittel der Betriebe stehen in den nächsten zehn Jahren vor der Übergabe. Viele hätten volle Auftragsbücher und teure Ausrüstungen und tolle Fuhrparks. Aber wer soll die übernehmen?
Stang und Friebel erarbeiteten ein Konzept. Drei Jahre Ausbildung im so genannten Handwerker-gymnasium. Denn gesucht sind Meister im Handwerk. Und dafür soll hier die Basis geschaffen werden. „Der Drang zum Abitur ist heute groß. Darauf wollte man aufbauen“, sagt Annett Krüger, Fachlehrerin Wirtschaft an der Gropius-schule. Und das geht so. Die Schüler gehen den Abitur-weg, aber mit speziellen handwerklichen Ausrichtungen, die sie wählen können – Bautechnik, Metalltechnik oder Gestaltungstechnik. Und der Unterricht in Betriebswirtschaftslehre wird zeitlich verdoppelt, so Annett Krüger. Die Schüler sollen ein Gefühl für die Berufe bekommen. Ob sie diese am Ende auch zur Ausbildung wählen, steht auf einem ganz anderen Blatt. Aber das Handwerker-gymnasium ist eine Art Lockvogel, von dem sich die Handwerkskammer erhofft, dass möglichst viele der Schüler auf diese Schiene umschwenken und einen Meisterbrief im Handwerk dem „Akademisierungswahn“in den gerade gängigen Moderichtungen wie z.b. Medienwissenschaft oder It-programmierer, vorziehen.
Der Anreiz besteht darin, dass in der Ausbildung der Abiturienten gleich zwei der vier nötigen Blöcke zum Meisterbrief enthalten sind – der Block Management und der Block Eignung zum Ausbilder. Die Blöcke Fachpraxis und Fachtheorie folgen dann, wenn die Ausbildung erfolgt ist. Macht einen Vorteil in Zeit und Geld. Für die spätere Ausbildung bis zum Meister spart man ein Jahr Zeit und etwa 2500 Euro an Kosten. Ja, man kann sogar die Ausbildung zum Gesellen um ein Jahr verkürzen. Und nach Stand der Dinge heute, kommt man mit dem Meisterbrief später in eine Zeit, in der Handwerk tatsächlich wieder goldenen Boden hat. Denn wer einen Handwerker braucht, weiß, wie schwierig das inzwischen geworden ist.
44 Schüler haben 2016 angefangen, 31 in diesem Jahr. Und auch die Andreas-gordon-berufsschule zieht inzwischen mit, hat zehn Schüler ins Handwerker-gymnasium integriert. 2019 entscheidet das Thüringer Kultusministerium nach dreijähriger Probephase, ob diese Ausbildungsform landesweit eingeführt wird. Fritz-herbert Stang ist da zuversichtlich: „Die Schüler ziehen mit, sind sehr motiviert, haben die freie Wahl für das Praktikum, das am Ende jeden Schuljahres zu absolvieren ist“. Von 140 Handwerksberufen in Deutschland unterliegen 41 dem Meisterzwang, 51 brauchen einen freiwilligen Meisterbrief. Die Auswahl ist da, die Nachfrage bei den 300 Firmen der HWK Erfurt ist groß. Die Firmen sind von der Idee des Handwerker-gymnasiums sehr angetan. „Wir hatten sogar schon Anfragen aus der Schweiz“, sagt Stang stolz. Und es gebe bereits „hoffnungsvolle Zeichen, dass sich aus dem Kreise der jetzigen Abiturienten mehrere tatsächlich für die Karriere als Handwerksmeister entscheiden. Einigen liegen bereits jetzt Ausbildungsangebote von Firmen vor. Alles andere als ein Aprilscherz.
Inzwischen gibt es 75 Abiturienten mit Interesse