Bahnrad-star Kristina Vogel: „Das muss ein Weckruf für alle sein“
Nach Weggang ihres Trainers kritisiert die Thüringerin das deutsche Sportsystem. Für „Champion des Jahres“nominiert
Fontanelle. Das Handy bekam Michael Seidenbecher schnell in die Hand gedrückt. Als Kristina Vogel im gemütlichen „Teatro“des Robinson Clubs Apulia ein Video über die Nominierung zum „Champion des Jahres 2017“drehte, wurde sie plötzlich selbst auf die Bühne gerufen. Damit schien der Bahnradstar aus Erfurt überhaupt nicht gerechnet zu haben. Immer wieder schüttelte sie den Kopf und blickte ungläubig ins Publikum: „Das hat mich echt überrascht – aber genauso sehr freut es mich natürlich“, sagt Vogel und ergänzt: „Hier sind so viele tolle Athleten, die so viele Medaillen gewonnen haben. Daher ist es eine megagroße Ehre für mich, nominiert worden zu sein.“
Auf Einladung der Stiftung Deutsche Sporthilfe weilen derzeit knapp 70 Spitzensportler für eine Woche in Südost-italien. Aus ihren Reihen wird der Beste der Besten gewählt. Neben der Thüringerin erhielten in einer geheimen Wahl weitere vier Weltmeister dieses Jahres die meisten Stimmen: Johannes Rydzek (Nordische Kombination), Simon Schempp (Biathlon), Frank Stäbler (Ringen) und Johannes Vetter (Speerwerfen). Bis Freitagmittag können knapp 4000 von der Sporthilfe geförderte Athleten im Internet für ihren Favoriten abstimmen. Dem Sieger winken ein Kleinwagen und eine Traumreise.
Kristina Vogel hofft natürlich, dass das Votum auf sie fällt: „Es hat ja lange keine Frau mehr gewonnen.“Zuletzt war dies 2013 Speerwerferin Christina Obergföll. Aber egal, wie es am Ende ausgeht: Vogel genießt die sonnigen Tage am „Absatz des italienischen Stiefels“und vor allem das Miteinander von Olympiaund Paralympics-siegern, von Sommer- und Wintersportlern, von Ehemaligen und Newcomern. Sie verrät: „Wenn man einen Titel gewonnen hat, denkt man zwei Minuten später direkt: Jawoll, wieder beim nächsten Champion des Jahres dabei. Das ist eine so tolle Veranstaltung.“Und mit ihr sollen die Leistungen der erfolgreichsten Sportler, so Sporthilfe-chef Michael Ilgner, eine besondere Form der Wertschätzung erfahren.
Während die Leichtathleten um Vetter & Co. das Jahr damit ausklingen lassen, tanken die Winter-asse und auch Vogel Kraft für ihre bevorstehende Saison. Erster Höhepunkt für die Bahnrad-sprinterin sind die Europameisterschaften vom 19. bis 22. Oktober in Berlin. Auf dem mit neuem Holz belegten Oval wird sie im Regenbogentrikot der Weltmeisterin an den Start gehen – und dadurch noch mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen als ohnehin schon. Die Medaillensammlerin der vergangenen Jahre ist sich dessen bewusst: „Alle werden auf mich gucken, der Druck wird immens sein. Doch ich stelle das Positive heraus: Ich kenne dort die Gegebenheiten, die Abläufe. Und im Gegensatz zu sonst wird meine Familie dabei sein und mir vor Ort den Rücken stärken.“
Ein Umstand, der nach dem Verlust ihres langjährigen Heimtrainers Tim Zühlke umso hilfreicher sein dürfte. Der Erfurter ist als Nationaltrainer nach China gewechselt, ausgerechnet zu Vogels größten Konkurrentinnen. „Das hat unsere gesamte Trainingsgruppe und auch mich schwer getroffen“, gibt die zweimalige Olympiasiegerin zu. „Ich kann es aber Tim nicht verübeln. Es würde ja auch nichts bringen, ihm sauer zu sein. Wenn er das Gefühl hatte, er kommt im deutschen Sportsystem nicht weiter, muss er seinen Weg gehen. Er ist ja nicht der einzige Trainer, der Deutschland verlässt.“
Vogel spielt auf ihren früheren Trainer René Wolff an, der 2010 nach Holland abwanderte. Oder auch auf Jan van der Eijden, der die britischen Bahnrad-sprinter zu großen Erfolgen führte. „Es muss sich etwas ändern. Bei uns herrscht auch in anderen Sportarten ein Trainer-mangel. Wenn uns dann noch die guten Leute verlassen, ist das einfach nicht zu kompensieren. Das muss jetzt ein Weckruf für alle sein“, sagt die 26-Jährige.
In die Suche nach einem Nachfolger für Zühlke ist sie involviert. Vogels Meinung wird sowohl beim Bund Deutscher Radfahrer als auch beim Olympiastützpunkt Thüringen gehört. Gespräche mit etwaigen Kandidaten laufen. Von dem Ergebnis macht sie abhängig, wie und wo es für sie in Zukunft weitergeht: „Wichtig war für mich erst einmal, die Trainingsgruppe zusammenzuhalten und keinen Schnellschuss zu machen. Doch ich muss dann abwägen, was für mich persönlich das Beste ist.“