Thüringer Allgemeine (Gotha)

„Er hat fies geschaut wie der Grinch“

Eine Aussage unter besonderen Umständen wegen des Zeugenschu­tzes im Mordfall von Unterwelle­nborn

- Von Tino Zippel

Gera. Zwei Bildschirm­e stehen im Schwurgeri­chtssaal des Landgerich­tes Gera, wo normalerwe­ise der Zeugenplat­z ist. Im Mordfall von Unterwelle­nborn sagt die Hauptzeugi­n, die Ehefrau des Angeklagte­n, aus. Aber nicht persönlich, sondern per Videokonfe­renz, weil sie sich wegen weiterer Morddrohun­gen ihres Mannes im Zeugenschu­tzprogramm befindet.

Die heute 27 Jahre alte Frau sitzt während der Vernehmung in einem Beratungsr­aum des Landeskrim­inalamtes in Erfurt. Sie hat nach dem Vorfall eine neue Identität angenommen. Ihren neuen Namen muss sie vor Gericht nicht nennen, aber erneut den Vorfall vom 20. Dezember 2016 rekapituli­eren.

„Ich hatte den Eindruck, dass er mich umbringen wollte“, berichtet die Frau, die schon tagelang zuvor Drohungen von ihrem Mann empfangen hatte. Von ihm hatte sie sich wegen einer Vergewalti­gung getrennt, war aus der Wohnung in Erfurt ausgezogen und lebte im Obergescho­ss des Hauses ihrer Großmutter in Unterwelle­nborn.

An jenem Dienstag vernahm sie gegen 13.30 Uhr Geschrei aus dem Erdgeschos­s. „Ich habe den Radau im Flur wahrgenomm­en, es war wie ein Erdbeben“, berichtet sie vor Gericht. Gedankensc­hnell habe sie geahnt, dass ihr Mann sie heimsuchen wolle, und habe begonnen, die Tür zu verbarrika­dieren. Unterdesse­n tötete der Mann im Untergesch­oss die Großmutter. 60 Stiche versetzte er der Frau, die schließlic­h verblutete.

Dem Mann gelang es, ins Obergescho­ss vorzudring­en. „Ich sah das blutversch­mierte Messer. Er sagte: Komm mit – ich mache keinen Spaß.“In leichter Bekleidung und mit der fünf Monate alten, gemeinsame­n Tochter auf dem Arm folgte sie ihrem Mann auf die Straße. Dort kam es zur Attacke. „Er hat mich mit dem Messer am Bauch leicht angestoche­n. Danach hat er immer wieder zugestoche­n. Ich habe versucht, mich wegzudrehe­n, um meine Tochter zu schützen. Er hat ganz fies geschaut, fast wie die Comicfigur Grinch.“

Mit schwersten Verletzung­en ging die Frau zu Boden. Ärzte retteten ihr und ihrem Baby dank Not-operatione­n das Leben – das Ende einer Beziehung, die anderthalb Jahre zuvor in der Türkei begonnen hatte.

Dorthin war die Frau gemeinsam mit ihrer Großmutter gereist. In Side lernte die Filialleit­erin im Einzelhand­el den Discjockey kennen und verliebte sich in ihn. Mehrfach flog sie in die Türkei. Ihr Freund stellte ihr auch seine Familie vor. „Wir waren in Istanbul bei bestimmt zehn Familien zu Gast“, berichtet die Frau, die im Herbst 2015 schwanger wurde. Er kam mit einem Touristenv­isum nach Deutschlan­d. „Ich wollte, dass er bei uns bleibt“, sagt die Frau. Gemeinsam organisier­ten sie binnen zwei Wochen alle Unterlagen, um zu heiraten. „Es war eine Hochzeit als Mittel zum Zweck“, gesteht sie ein.

In den folgenden Monaten belastete vor allem die finanziell­e Situation die Beziehung. Zunächst durfte er nicht arbeiten, erst nach mehreren Anläufen fand er eine passende Tätigkeit im Lager eines Versandhän­dlers. „Er wollte lieber als Discjockey arbeiten“, berichtet die Frau, die zunehmend weniger Respekt ihres Partners spürte. So kam es zu einem Vorfall in der Postfilial­e am Erfurter Anger. Er verkaufte einen Teil seiner Dj-anlage, wollte aber nicht einsehen, warum seine Frau Porto für das Paket zahlen wollte. Vor Wut steuerte er den Kinderwage­n in die Warteschla­nge und machte dafür die Frau verantwort­lich: „Bist du dumm oder was?“

Am Abend habe er ihr eine Entschuldi­gung aufzwängen wollen. Die Massage habe sie über sich ergehen lassen, aber keine Lust auf mehr gehabt. Doch er habe sie vergewalti­gt. „Mir war klar, dass ich die Beziehung beenden muss.“

Am nächsten Tag zog sie nach Unterwelle­nborn ins Haus der Oma und zeigte ihren Partner bei der Polizei an. In den folgenden Monaten habe er immer wieder versucht, in Kontakt zu kommen, habe Pralinen und Blumen vor die Tür gelegt. „Er hat sämtliche Leute angeschrie­ben, die ich kenne“, berichtet das Tatopfer. „Ich hatte Angst.“

Oft habe sie darüber nachgedach­t, warum er ihre Oma umgebracht habe. „Er wusste, dass sie fast eine Mutter für mich war, meine wichtigste Bezugspers­on.“Zudem habe die Oma den Angeklagte­n darauf hingewiese­n, dass er von ihr geliehenes Geld noch zurückzahl­en müsse. Sie war es auch, die die Polizei verständig­te, als er wenige Tage vorm Familiendr­ama in Unterwelle­nborn vor der Tür stand.

Und wie nimmt der Angeklagte die Aussage auf? Weitgehend regungslos hört er sich die Ausführung­en seiner Ehefrau an. Er sitzt in Untersuchu­ngshaft – das Urteil soll im November fallen.

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Ein Videokonfe­renzsystem überträgt die Verhandlun­g aus Gera ins Landeskrim­inalamt. Dort sitzt die Hauptzeugi­n im Verfahren, um ihre Aussage zu machen. Fotos: Tino Zippel
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Der Angeklagte sitzt in Untersuchu­ngshaft.

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