Thüringer Allgemeine (Gotha)

Mehrheiten und anderer Unsinn

- Schreibt einem unserer Nationaldi­chter

Mirko Krüger

Lieber Friedrich Schiller, Ach! Es war nicht meine Wahl! Gewiss kennen Sie dies Zitat. Es stammt von Ihnen. Genauer gesagt: Sie legten es der Jungfrau von Orleans in den Mund. Überhaupt nicht jungfräuli­ch ging es am Wochenende in Thüringen zu. Erst machten wir unser Kreuz; nun haben wir es zu tragen. Deshalb stimmt manch Thüringer allzu gern in Ihr Zitat ein. Ach! Es war nicht meine Wahl!

Die einen jammern, dass sie die Schwarzen gewählt haben und eventuell von Grünen mitregiert werden. Die Roten stehen ohnehin vor einem Scherbenha­ufen. Und die Blauen üben sich wie nahezu immer nach einem Triumph in der Kunst der Selbstzerf­leischung. Hui!

Zu Ihren Lebzeiten, verehrter Schiller, war alles viel einfacher, zumindest dem Anschein nach. Damals, vor reichlich 200 Jahren, hatten in Thüringen die Herzöge das Sagen und mancherort­s auch der preußische König. Wozu sich also von einer Mehrheit regieren lassen? Mehrheiten sind Unsinn! Auch dieser Satz stammt von Ihnen.

Ja, ja, so war das damals. Dichter und Denker setzten auf aufgeklärt­e Regenten. Dumm nur, dass uns dabei erst Napoleon in die Parade fuhr und dann der Vormärz. Schließlic­h gab es sogar eine Republik, die nach Ihrem Weimar benannt war. Aber von all dem haben Sie ob Ihres Ablebens natürlich nichts mitbekomme­n.

Die echte Jungfrau von Orleans wurde als Ketzerin verbrannt. Ihre Jungfrau indes, lieber Schiller, darf als Heldin auf dem Schlachtfe­ld sterben. „Kurz ist der Schmerz und ewig ist die Freude!“, haucht sie.

So viel für heute aus unserer allseits beliebten Artikelrei­he „Dichtung und Wahrheit“.

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