Tiefenanalyse zur Zukunft der Thüringer Autozulieferer erfolgt
Branche mit 50 000 Beschäftigten steht vor größtem Umbruch seit Jahrzehnten. Fragebögen und Firmenbesuche geplant
Erfurt. Die Automobilbranche und ihre Zulieferer stehen weltweit in den kommenden zehn Jahren vor tiefgreifenderen Veränderungen als in den vergangenen einhundert Jahren zuvor.
Darauf könne man sich vorbereiten oder es über sich ergehen lassen, mit allen Konsequenzen, warnte Professor Werner Olle vom Chemnitz Automotive Institute gestern im Erfurter Kaisersaal. Dort begann der Branchendialog zur Zukunft der Automobilund Zulieferindustrie in Thüringen, der bis zum Sommer kommenden Jahres mit verschiedenen Aktivitäten fortgesetzt wird.
Auftrag an Institut in Chemnitz vergeben
Grundlegende Strukturveränderungen, die gleichzeitig den Markt, das Produkt und die Prozesse betreffen, habe es so noch nicht gegeben, so Olle. „Es gibt Prognosen, die jeden dritten Zulieferer vor dem Aus sehen“, sagte Olle. Dieses Szenario sehe sein Institut nicht. Doch gerade Zulieferer, die im Bereich des Antriebs tätig seien, stünden vor gewaltigen Herausforderungen.
Das Chemnitzer Institut ist vom Thüringer Wirtschaftsministerium mit einer Tiefenanalyse der Zulieferbranche im Freistaat beauftragt worden, die mit der gestrigen Veranstaltung vorbereitet wurde.
Er glaube nicht an ein baldiges Aus für den Verbrennungsmotor, zeigte sich Thüringens Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) überzeugt. Diese würden seiner Überzeugung nach auf mittlere und vielleicht sogar längere Sicht gebraucht. Langfristig sei der Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor allerdings abzusehen, so Tiefensee.
Das könnten die Thüringer Zulieferer als Bedrohung ihrer Existenz oder aber als Chance sehen, forderte der Minister die anwesenden Unternehmer zu optimistischen Herangehen an die Herausforderungen auf.
Für Thüringen habe die Branche mit gegenwärtig 530 Firmen und rund 50 000 Beschäftigten sowie einem Jahresumsatz von knapp fünf Milliarden Euro eine enorme Bedeutung, so Tiefensee. Er forderte die kleinen und mittelständischen Unternehmen zu einer stärkeren Zusammenarbeit auf. „Die Zukunft der Thüringer Automobilbranche kann nur in einer regelmäßigen, projektbezogenen Kooperation liegen“, erklärte der Minister.
„Man kann saubere Dieselmotoren bauen, die hätten nur eingebaut werden müssen“, sagte der Chef des Thüringer Branchennetzwerkes Automotive Thüringen, Michael Militzer zur Dieselaffäre. Auch er zeigte sich überzeugt, dass man den Diesel als Brückentechnologie noch eine Zeit benötige.
In den kommenden Wochen werde man an die Firmen Fragebögen versenden, es seien drei Roadshows in den Regionen des Landes und Besuche in den Unternehmen geplant, forderte Militzer die Unternehmer zur Mitwirkung auf. „Wir brauchen neue und verlässliche Daten, um den Wandel in der Branche begleiten zu können“, so Militzer.
„Die Dieselaffäre hat den Transformationsprozess in dieser Branche sicherlich beschleunigt“, sagte der für Thüringen zuständige Ig-metall-bezirksleiter Jörg Köhlinger. Dieser treffe Thüringen allerdings härter als andere Bundesländer, warnte Köhlinger. Hier fehlten die Konzernzentralen, gebe es viele verlängerte Werkbänke. „Und viele mittelständische Familienbetriebe sind oft unterkapitalisiert“, so der Gewerkschafter.
Das Fachkräfteproblem der Branche sei eine Folge der jahrelangen Tarifflucht der Unternehmen. „Jetzt rächt sich die Niedriglohnpolitik und wird zu einem Bremsklotz“, forderte Köhlinger ein Umdenken. Man müsse Arbeit und Lebensqualität der Mitarbeiter in Einklang bringen, so Köhlinger.
Angesichts der Digitalisierung steht nicht nur die Automobilund Zulieferbranche vor gewaltigen Herausforderungen mit offenem Ausgang, sondern die gesamte deutsche Industrie, erklärte Armin Schild, Vorstand des Netzwerkes „Zukunft der Industrie“. Daher sei es besonders wichtig, notwendige Entscheidungen rechtzeitig zu treffen, würdigte Schild den begonnenen Branchendialog zur Zukunft der Thüringer Zulieferer.