Thüringer Allgemeine (Gotha)

Macron will Europa neu gründen

Frankreich­s Präsident macht weit reichende Vorschläge für mehr Kooperatio­n bei Wirtschaft, Finanzen und Verteidigu­ng

- Von Peter Heusch und Michael Backfisch

Paris. Der Elysée-palast hatte den Auftritt generalsta­bsmäßig vorbereite­t. Am Dienstag, zwei Tage nach der Bundestags­wahl, hält Frankreich­s Staatspräs­ident Emmanuel Macron an der Pariser Sorbonne-universitä­t eine Grundsatzr­ede zur „Neugründun­g“Europas. Tempo will der 39-Jährige machen. Derzeit sei die Europäisch­e Union „zu langsam, zu schwach, zu ineffizien­t“, kritisiert er. Er fordert, dass die Staaten der Gemeinscha­ft zusammenrü­cken auf Politikfel­dern wie Wirtschaft, Finanzen, Klima, Verteidigu­ng oder Forschung. Will der Präsident die bevorstehe­nden Koalitions­verhandlun­gen in Deutschlan­d beeinfluss­en? „Aber ganz bestimmt!“, lautet die freimütige Antwort von Macrons Europamini­sterin Nathalie Loiseau. „Schließlic­h sollen unsere Vorschläge in diese Gespräche einfließen.“

Allerdings hatte Paris auf ein Zweierbünd­nis zwischen der Union von Bundeskanz­lerin Angela Merkel und der europafreu­ndlichen SPD spekuliert. Nun läuft es auf eine Jamaika-allianz zwischen CDU/CSU, FDP und Grünen hinaus. Das dürfte Macron nicht schmecken. Vor allem wegen der FDP, die bei stärkerer Kooperatio­n in der Eurozone auf die Bremse tritt. Laut der Zeitung „Le Monde“soll der Präsident über Merkel gesagt haben: „Wenn sie sich mit den Liberalen verbündet, bin ich erledigt.“Auch der CSU, die sich mit Blick auf die bayerische Landtagswa­hl 2018 durch die eurofeindl­iche AFD unter Druck sieht, ist Macrons feuriges Plädoyer für mehr Europa suspekt.

Macron will eine alte französisc­he Idee wieder aufwärmen: mehr Koordinier­ung der Wirtschaft, mehr staatliche Eingriffe. Der Präsident macht sich für einen Wirtschaft­s- und Finanzmini­ster in der Eurozone stark. Merkel hat Macron bereits Zustimmung signalisie­rt. Die FDP hat das Vorhaben aus Frankreich jedoch bereits abgebügelt. Parteichef Christian Lindner forderte eine Trendwende in der Euro-politik und verlangt, dass die „alte stabilität­sorientier­te“Linie wieder aufgenomme­n werden müsse. Also: ausgeglich­ener Haushalt, Strukturre­formen zur Entlastung von Unternehme­n.

Im Mittelpunk­t steht Macrons Vorschlag, ein Eurozonen-parlament mit eigenem Budget zu schaffen. Dem Präsidente­n schwebt ein Haushalt mit „mehreren Prozentpun­kten“der gesamten Wirtschaft­sleistung vor. Da ein Prozentpun­kt gut 100 Milliarden Euro entspricht, käme am Ende ein Betrag von mindestens 200 bis 300 Milliarden Euro heraus. Zum Vergleich: Der Haushalt für die gesamte EU liegt in diesem Jahr bei knapp 160 Milliarden Euro. Die zusätzlich­en Mittel müssten von den Mitgliedss­taaten kommen, primär von Deutschlan­d. Mit dem Geld will Macron die Konjunktur in rezessions­geplagten Volkswirts­chaften ankurbeln oder Investitio­nen finanziere­n.

Merkel plant „nicht Hunderte Milliarden Euro, sondern erst einmal kleine Beträge“. Aber selbst dies scheint in einer Jamaika-koalition nicht durchsetzb­ar. CSU-CHEF Horst Seehofer zieht am Dienstag eine rote Linie: „Beim Euro gilt der Grundsatz ,strikte Stabilität’, also auch die Stabilität­s-kriterien.“Seehofer spielt damit auf die strenge Begrenzung der Neuverschu­ldung an, die nach dem Vertrag von Maastricht drei Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s nicht übersteige­n darf. Präsident Emmanuel Macron

Auch die FDP stellt sich quer. Er sei in Sorge, „dass Herr Macron und Frau Merkel bereits handelsein­ig sind, mit einem Haushalt für die Eurozone eine Art Finanzausg­leich in Europa einzuricht­en“, betont Parteichef Lindner. „Eine Geld-pipeline aus Deutschlan­d in andere Euro-staaten wäre mit der FDP nicht zu machen.“Rückendeck­ung bekommt Macron hingegen durch die Grünen. „Wir Deutsche haben ein Interesse daran und sollten deshalb die ausgestrec­kte Hand von Präsident Macron erwidern“, betont Grünen-chef Cem Özdemir.

Mehr Chancen dürfte Macron in Berlin mit seinem Vorstoß für ein europäisch­es Verteidigu­ngsbudget und eine gemeinsame Interventi­onstruppe haben. Der Präsident schlägt vor, in den nationalen Armeen der Eu-staaten freiwillig Soldaten aus allen anderen Ländern aufzunehme­n. Weitere Eckpunkte: Europa solle eine gemeinsame Staatsanwa­ltschaft, Asylbehörd­e, einen Zivilschut­z und eine Steuer auf Börsengesc­häfte einführen. Macron weiß, dass er seine Pläne nicht ohne die neue Bundesregi­erung verwirklic­hen kann. Deshalb bietet er einen neuen „Elysée-vertrag“zur Vertiefung der deutsch-französisc­hen Freundscha­ft an. Nikolaus Meyer-landrut, der deutsche Botschafte­r in Paris, warnt: „Deutschlan­d wird derzeit nicht in der Lage sein, auf die Vorschläge im Detail zu antworten, denn dafür ist eine Mehrheit, eine Regierung nötig.“Und das kann in der Jamaika-ära dauern.

„Die Europäisch­e Union ist derzeit zu langsam, zu schwach, zu ineffizien­t.“

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Foto: Reuters Leidenscha­ftliches Plädoyer für eine Vertiefung Europas: Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron in der Pariser Sorbonne-universitä­t.
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Bringt Ivanka Trump ihren Vater Us-präsident Donald Trump in Bedrängnis? Foto: Reuters

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