Eine unmögliche Liebe
Das Nordhäuser Theater feiert mit Verdis „Otello“die erste Premiere der Saison und sich selbst: Das Haus wird 100
Nordhausen. Mit Giuseppe Verdis „Otello“feiert an diesem Freitag Theater Nordhausen nicht nur die erste Premiere der neuen Spielzeit. Sondern exakt an diesem Tage wird auch das Haus 100 Jahre alt. Wir sprachen mit der Regisseurin, Operndirektorin Anette Leistenschneider, über die Inszenierung.
Zwei Ausstattungsutensilien haben für „Otello“zentrale Bedeutung: schwarze Farbe und ein Taschentuch. Wie halten Sie‘s damit?
Die schwarze Farbe bringt Michael Austin, unser Otello, von Hause aus mit, und das Taschentuch – anfangs noch in Desdemonas Besitz – entwickelt sich im Laufe des Abends von einer harmlosen Requisite zum Mordwerkzeug.
Sie haben also das Glück, sich keiner politisch korrekten Blackpainting-debatte stellen zu müssen?
So könnte man sagen. Michael Austin hat diese Partie schon oft gesungen: in den USA, in Italien und auch schon in Deutschland. Er ist sehr gefragt als Otello.
Was steht Otellos Glück mehr im Wege: Sein Außenseitertum in der Gesellschaft oder sein von Eifersucht, Jähzorn und Gewaltbereitschaft geprägter Charakter?
Ich denke, es ist vor allen Dingen sein Charakter. Er ist zwar ein großer Flottenstratege, kann sich aber nur in dieser Funktion wirklich behaupten. Bei öffentlichen Auftritten wirkt er völlig souverän, im Unterschied zu dem an sich selbst zweifelnden Otello im Privaten. Diese inneren Konflikte treten in einer Szene mit Desdemona deutlich zutage.
Sie wollen sagen: Es ist nur die Rolle als Krieger, die dieser Figur Halt und Haltung verleiht?
So ist es. Übrigens lauten auch die ersten Worte, die Desdemona singt: „Mio superbo guerrier“– mein wunderbarer Kämpfer und Held. Sie hat sich vor allem in diesen Aspekt seines Wesens verliebt. Dazu gehört ebenso, dass er im Kriege gelitten hat und ihres Mitleids bedurfte. Und eben deshalb – weil sie Empathie für ihn gezeigt hat – hat er sich seinerseits in sie verliebt. Das ist natürlich eine dürftige Grundlage für eine Beziehung, und angesichts der Raffinesse des Intriganten Jago, der genau weiß, wann er sein Gift träufeln muss, hat solch eine Liebe gar keine Chance.
Würden Sie einen Jago als Nachbarn haben wollen?
Lieber nicht. Der Kerl ist wirklich ein Brandstifter. Er hat den Plan gefasst, sich an Otello zu rächen, weil er sich bei einer Beförderung übergangen fühlte. Das Verrückte ist aber, wie ihm das Schicksal immerzu in die Hände spielt: Es treten genau die richtigen Personen zum rechten Zeitpunkt auf, um für seine Machenschaften instrumentalisiert zu werden.
Er ist ein Spezialist für Fake News Anette Leistenschneider, Operndirektorin
und von seiner Haltung her ein Nihilist.
Absolut. Das hören wir in seinem Credo, einem Glaubensbekenntnis, das ohne weiteres Teil einer schwarzen Messe sein könnte. Er glaubt an einen bösen Gott, er ist böse geboren und wird böse sterben.
Ist Desdemona für Ihr Empfinden ein allzu bereitwilliges Opfer und als Figur zu sehr auf die Leidensrolle fixiert?
Durchaus. Sie ist in allem sehr passiv. Eigentlich sind alle außer Jago relativ passive Figuren. Und warum Desdemona, diese allzu barmherzige Frau, trotz Otellos unwirscher Reaktionen nicht aufhört, sich für den in Ungnade gefallenen Cassio einzusetzen, ist nicht mit dem Verstand, sondern äußerstenfalls mit dem Gefühl – ihrer Empathie gegenüber anderen – zu ermessen.
Schwenk zur Weltpolitik: Die Venezianer sichern durch den Sieg über die Osmanen vor Zypern die strategische Einflusszone ihrer Handelsmacht. Sind solche Mechanismen bis heute gültig?
Ich fürchte, ja. Man könnte den Plot mit seinem militärischen Hintergrund ohne Weiteres aus dem 16. Jahrhundert in die heutige Zeit übertragen. Wir bleiben deshalb in der originalen Zeit, haben das Stück allerdings in ein Shakespearesches Theater versetzt, weil mein Bühnenbildner Wolfgang Kurima Rauschning große Räume ebenso liebt wie ich. Wir spielen also in einer Kulisse des Globe Theatre in historisierenden Kostümen. Ein bisschen Opulenz darf doch wohl sein.
Das Publikum kommt allerdings aus der Gegenwart. Wie gut taugt die Oper gerade in diesen Zeiten für ein Statement gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus? Eigentlich ist das für mich nicht das vorstechende Thema dieser Oper. Natürlich sieht man, dass Otello eine dunkle Hautfarbe hat. Aber direkt rassistische Äußerungen findet man nicht im Text, das zypriotische Volk feiert ihn mit „Evviva!“und „Vittoria!“; ich wüsste aus dem Stehgreif keine andere Oper, in der diese beiden Vokabeln so häufig vorkommen. Mich interessiert als Thema eher das Drama zwischen den Eheleuten – diese Liebe, die nicht funktionieren kann.
„Man könnte den Plot mit seinem militärischen Hintergrund ohne Weiteres aus dem 16. Jahrhundert in die heutige Zeit übertragen.“
Gibt es bei all diesem Grauen des Krieges und der Verheerung im Privaten auch irgendetwas, das Ihnen das Herz erfreut?
Die Musik! Sie kann auf der einen Seite voll finsterer, abgründiger Gewalt sein wie im Credo Jagos und auf der anderen Seite so sanft und anrührend wie im Liebesduett Otellos und Desdemonas, dass einem die Tränen in die Augen steigen. Diese Sentimentalität bringt man an dieser Stelle allerdings nur auf, wenn man den Text nicht allzu genau mitverfolgt.
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Freitag, . Uhr; weitere Vorstellungen: ., . u. . Okt.