Thüringer Allgemeine (Gotha)

Eine unmögliche Liebe

Das Nordhäuser Theater feiert mit Verdis „Otello“die erste Premiere der Saison und sich selbst: Das Haus wird 100

- Von Wolfgang Hirsch

Nordhausen. Mit Giuseppe Verdis „Otello“feiert an diesem Freitag Theater Nordhausen nicht nur die erste Premiere der neuen Spielzeit. Sondern exakt an diesem Tage wird auch das Haus 100 Jahre alt. Wir sprachen mit der Regisseuri­n, Operndirek­torin Anette Leistensch­neider, über die Inszenieru­ng.

Zwei Ausstattun­gsutensili­en haben für „Otello“zentrale Bedeutung: schwarze Farbe und ein Taschentuc­h. Wie halten Sie‘s damit?

Die schwarze Farbe bringt Michael Austin, unser Otello, von Hause aus mit, und das Taschentuc­h – anfangs noch in Desdemonas Besitz – entwickelt sich im Laufe des Abends von einer harmlosen Requisite zum Mordwerkze­ug.

Sie haben also das Glück, sich keiner politisch korrekten Blackpaint­ing-debatte stellen zu müssen?

So könnte man sagen. Michael Austin hat diese Partie schon oft gesungen: in den USA, in Italien und auch schon in Deutschlan­d. Er ist sehr gefragt als Otello.

Was steht Otellos Glück mehr im Wege: Sein Außenseite­rtum in der Gesellscha­ft oder sein von Eifersucht, Jähzorn und Gewaltbere­itschaft geprägter Charakter?

Ich denke, es ist vor allen Dingen sein Charakter. Er ist zwar ein großer Flottenstr­atege, kann sich aber nur in dieser Funktion wirklich behaupten. Bei öffentlich­en Auftritten wirkt er völlig souverän, im Unterschie­d zu dem an sich selbst zweifelnde­n Otello im Privaten. Diese inneren Konflikte treten in einer Szene mit Desdemona deutlich zutage.

Sie wollen sagen: Es ist nur die Rolle als Krieger, die dieser Figur Halt und Haltung verleiht?

So ist es. Übrigens lauten auch die ersten Worte, die Desdemona singt: „Mio superbo guerrier“– mein wunderbare­r Kämpfer und Held. Sie hat sich vor allem in diesen Aspekt seines Wesens verliebt. Dazu gehört ebenso, dass er im Kriege gelitten hat und ihres Mitleids bedurfte. Und eben deshalb – weil sie Empathie für ihn gezeigt hat – hat er sich seinerseit­s in sie verliebt. Das ist natürlich eine dürftige Grundlage für eine Beziehung, und angesichts der Raffinesse des Intrigante­n Jago, der genau weiß, wann er sein Gift träufeln muss, hat solch eine Liebe gar keine Chance.

Würden Sie einen Jago als Nachbarn haben wollen?

Lieber nicht. Der Kerl ist wirklich ein Brandstift­er. Er hat den Plan gefasst, sich an Otello zu rächen, weil er sich bei einer Beförderun­g übergangen fühlte. Das Verrückte ist aber, wie ihm das Schicksal immerzu in die Hände spielt: Es treten genau die richtigen Personen zum rechten Zeitpunkt auf, um für seine Machenscha­ften instrument­alisiert zu werden.

Er ist ein Spezialist für Fake News Anette Leistensch­neider, Operndirek­torin

und von seiner Haltung her ein Nihilist.

Absolut. Das hören wir in seinem Credo, einem Glaubensbe­kenntnis, das ohne weiteres Teil einer schwarzen Messe sein könnte. Er glaubt an einen bösen Gott, er ist böse geboren und wird böse sterben.

Ist Desdemona für Ihr Empfinden ein allzu bereitwill­iges Opfer und als Figur zu sehr auf die Leidensrol­le fixiert?

Durchaus. Sie ist in allem sehr passiv. Eigentlich sind alle außer Jago relativ passive Figuren. Und warum Desdemona, diese allzu barmherzig­e Frau, trotz Otellos unwirscher Reaktionen nicht aufhört, sich für den in Ungnade gefallenen Cassio einzusetze­n, ist nicht mit dem Verstand, sondern äußerstenf­alls mit dem Gefühl – ihrer Empathie gegenüber anderen – zu ermessen.

Schwenk zur Weltpoliti­k: Die Venezianer sichern durch den Sieg über die Osmanen vor Zypern die strategisc­he Einflusszo­ne ihrer Handelsmac­ht. Sind solche Mechanisme­n bis heute gültig?

Ich fürchte, ja. Man könnte den Plot mit seinem militärisc­hen Hintergrun­d ohne Weiteres aus dem 16. Jahrhunder­t in die heutige Zeit übertragen. Wir bleiben deshalb in der originalen Zeit, haben das Stück allerdings in ein Shakespear­esches Theater versetzt, weil mein Bühnenbild­ner Wolfgang Kurima Rauschning große Räume ebenso liebt wie ich. Wir spielen also in einer Kulisse des Globe Theatre in historisie­renden Kostümen. Ein bisschen Opulenz darf doch wohl sein.

Das Publikum kommt allerdings aus der Gegenwart. Wie gut taugt die Oper gerade in diesen Zeiten für ein Statement gegen Fremdenfei­ndlichkeit und Rassismus? Eigentlich ist das für mich nicht das vorstechen­de Thema dieser Oper. Natürlich sieht man, dass Otello eine dunkle Hautfarbe hat. Aber direkt rassistisc­he Äußerungen findet man nicht im Text, das zypriotisc­he Volk feiert ihn mit „Evviva!“und „Vittoria!“; ich wüsste aus dem Stehgreif keine andere Oper, in der diese beiden Vokabeln so häufig vorkommen. Mich interessie­rt als Thema eher das Drama zwischen den Eheleuten – diese Liebe, die nicht funktionie­ren kann.

„Man könnte den Plot mit seinem militärisc­hen Hintergrun­d ohne Weiteres aus dem 16. Jahrhunder­t in die heutige Zeit übertragen.“

Gibt es bei all diesem Grauen des Krieges und der Verheerung im Privaten auch irgendetwa­s, das Ihnen das Herz erfreut?

Die Musik! Sie kann auf der einen Seite voll finsterer, abgründige­r Gewalt sein wie im Credo Jagos und auf der anderen Seite so sanft und anrührend wie im Liebesduet­t Otellos und Desdemonas, dass einem die Tränen in die Augen steigen. Diese Sentimenta­lität bringt man an dieser Stelle allerdings nur auf, wenn man den Text nicht allzu genau mitverfolg­t.

Freitag, . Uhr; weitere Vorstellun­gen: ., . u. . Okt.

 ??  ?? Ihre Liebe ist dem Verderben geweiht: Szenenfoto mit Desdemona (Zenzi Frohwein) und Otello (Michael Austin). Foto: Roland Obst
Ihre Liebe ist dem Verderben geweiht: Szenenfoto mit Desdemona (Zenzi Frohwein) und Otello (Michael Austin). Foto: Roland Obst
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