Baujahr 933, 1-A-gipfellage, Kabelanschluss
Eine der ältesten und markantesten Burgen Thüringens, die Wachsenburg, soll verkauft werden. Natürlich von einem der berühmtesten Auktionshäuser der Welt
Bei 2470 Quadratmetern Wohnfläche gestaltet sich die Ortswahl für die Kaffeepause schwierig. Die Mittagssonne blendet, und Georg Wagner entscheidet sich für die Ostterrasse. Dort ist es angenehm schattig und der Blick ins Land besonders weit. Im Norden, vor Erfurt, quirlen sich müde die Windräder durch den Mittagsdunst. Im Süden dehnen sich die Ausläufer des Thüringer Waldes. Dazwischen viel sattes, mit roten Hausdächern gesprenkeltes Grün.
Rosa, eine junge, gefleckte Dogge beißt am Korbstuhl herum. Wagner schimpft sie unentschlossen, nippt einen Schluck Kaffee aus der Tasse, zündet sich eine Zigarette an und zieht tief ein. Er schaut dem weißen Rauch nach, der zum Turm empor steigt und sagt: „Ach, werde ich das vermissen.“
Wagner will seine Burg, die Wachsenburg, eine der bekannten Drei Gleichen südwestlich von Erfurt, verkaufen – komplett mit Hoheloheturm, Treppenturm, Wehrturm, Brunnen, Brunnenhaus, Palas, Kemenate, Kapelle, Bastion und Stromhaus. Im Angebot sind darüber hinaus eine Gastwirtschaft, 16 Zimmer, 20 Badezimmer, zwei Außen-wc, 35 Autostellplätze, 270 Meter Mauer und mehr als 1000 Jahren Geschichte.
Die Immobiliensparte des Auktionshauses Sotheby‘s soll bis zum nächsten Sommer einen Käufer finden. Auf der zugehörigen Internetseite, aber auch auf anderen Immobilienportalen finden sich die nötigen Kenndaten. Baujahr 933. Zustand gepflegt. Ausstattung luxuriös. Teilweise unterkellert. Kabelanschluss. Zentralheizung. Haustiere erlaubt. Preis auf Anfrage. Wagner gibt sich zuversichtlich, dass sich ein Käufer findet. „Das ist eine Immobilie, die sich von selbst vermarktet“, sagt er. Zumindest lässt sich sie sich nicht übersehen.
Wer auf der Autobahn 4 zwischen Frankfurt am Main und Dresden unterwegs ist oder auf der A71 zwischen Erfurt und Schweinfurt, dem muss einfach die Silhouette der Veste Wachsenburg auffallen. Erbaut auf einem 421 Meter hohen, kegelförmigen Berg, ist sie offen nach allen Seiten und sieht ansonsten so aus, wie man sich eine mittelalterliche deutsche Burg vorstellt: mit dicken Mauern, vielen Türmen und Türmchen und einem ziegelroten Dach.
„Es ist die Lage, die das Objekt besonders macht“, sagt Wagner. „Es gibt ganz wenige Burgen, die derart stark frequentiert werden.“Doch warum will er dann verkaufen? Nun, sagt er, er werde demnächst 70, und es müsse viel, sehr viel investiert werden, um das Hotel den steigenden Ansprüchen der Kundschaft anzupassen. „Wir da reden von einer Summe einem zweistelligen Millionenbereich.“Das Alter sieht man Wagner ebenso wenig an wie sein Vermögen. Er trägt eines dieser Hemden, die mit Fantasiewappen bedruckt sind, dazu Cordhose, dicke Wollsocken und bequeme Schuhe. Die vollen, leicht angegrauten Haare hat er mit Gel nach hinten gekämmt, die letzte Rasur ist schon eins, zwei Tage her.
Der Mann lässt sich nicht einfach einsortieren. Er handelt mit Antiquitäten, sammelt Bilder und reiste, als er und sein Star noch jünger waren, Pavarotti hinterher. Er liebe die italienische Oper, sagt er und zitiert Puccinis Tosca: „Nur der Schönheit weiht’ ich mein Leben.“Gleich danach hält er mindestens ebenso inbrünstig ein viertelstündiges Referat über die durchlöcherte Zufahrtsstraße, wegen der er sich seit Jahren mit den umliegenden Dörfern herumstreitet.
Die Geschichte, wie aus dem Handelskaufmann Georg Wagner ein Burgherr wurde, beginnt vor einem guten Vierteljahrhundert, in den Tagen der deutsch-deutschen Wiedervereinigung. „Der Anfang war Zufall, wie alles im Lebbe“, sagt er in breitem Hessisch. Er wohnte damals in Limburg an der Lahn und betrieb in Frankfurt ein Lokal.
Ein Kellner, der aus Arnstadt stammte, erzählte ihm davon, wie nahe seiner Heimatstadt ein Pächter für die Wachsenburg gesucht werde. Es gehe um die Gaststätte und ein kleines Hotel. Wagner setzte sich hin und schrieb ein Konzept für die Ausschreibung, ohne das Anwesen je gesehen zu haben. Warum, das kann er auch heute noch nicht so genau erklären. Es sei wohl, sagt er, die Verheißung der Welt gewesen, die sich im Osten geöffnet hatte. Er wollte dabei sein.
Das alte Burghotel galt – zumindest für Ddr-verhältnisse – als eine durchaus angesehene Adresse. Doch als Wagner das erste Mal mit seiner Frau Ruth Anfang 1991 die Burg besuchte, war er schockiert. Die Braunkohle stapelte sich im Hof, die 22 Gästezimmer hatten weder Bad noch Toilette. Hinzu kam das zahlreiche Personal, das er fortan bezahlen sollte, Köche, Kellnerinnen, Putzfrauen und drei Hausmeister, von denen aber nur einer wusste, wie die Heizung funktionierte. Im Keller gammelten die Konserven vor sich hin.
Doch da war ja dieser Blick. Wagner unterbricht seine Erzählung, legt die Zigarette beiseite, breitet seine Arme aus und rezitiert Ludwig Bechstein: „Hier liegt vom Buche Thüringen eine der herrlichsten Stellen vor uns aufgeschlagen.“
Tatsächlich widmete der Schriftsteller in seinen 1838 erschienenen „Wanderungen durch Thüringen“der Geschichte des Gemäuers ein ganzes Kapitel. Im zehnten Jahrhundert von der Reichsabtei Hersfeld erbaut, wechselte der Besitz später zwischen den Thüringern Landgrafen hin und her und geriet schließlich an einen gewissen Apel Vitzthum, der erst als Hofrat den Sächsischen Bruderkrieg herbei intrigierte, um sich dann einen Ruf als „Brandmeister von Thüringen“zu erarbeiten. Mehrere Jahre betrieb er sein Raubrittergeschäft von der Burg, bis sein „blutigrother Stern“(Bechstein) unterging. Die Erfurter belagerten die Festung mit nordthüringischer Unterstützung so lange, bis sie fiel.
Das war im Jahre 1451. Danach verfiel die Burg und fand erst im 17. Jahrhundert einen neuen Zweck. Sie wurde zum Gefängnis ausgebaut, mit Haftblock und Kommandantur. Ab Mitte der 19. Jahrhunderts mutierten die Gebäude zum Militärmuseum, die erste Gastwirtschaft eröffnete, und die Anlage gestaltete man so, wie man sich das Mittelalter vorstellte: neoromanisch und neuromantisch, mit diversen Türmen, Türmchen und Weihehalle.
Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs diente die Burg als Ausweichlager für die Kunstsammlungen aus Weimar. 1945 besetzten die Amerikaner – darunter die Generäle Eisenhower und Patton – die Festung, die dann einige Monate später die Sowjetarmee übernahm und sogleich den verbliebenen Rest der Ausstellungsstücke nach Moskau abtransportierte. Ludwig Bechstein
Später, in der DDR, wurde wieder einiges umgebaut. Es entstand ein Hotel, die Gaststätte wurde von der halbstaatlichen HO betrieben.
„Innen ist seitdem nichts mehr historisch“, sagt Wagner nüchtern, der letzte Rest Romanik sei damals wegrestauriert worden. Immerhin musste er sich, als er im April 1991 die Gaststätte wieder eröffnete, nicht groß mit dem Denkmalschutz herumärgern. So ließ sich einfacher eine Zentralheizung einbauen, die Zimmer sanieren und Antiquitäten in die Zimmer stellen. Stattdessen musste er sich mit den staatlichen Eigentümern herumstreiten, die alle paar Jahre wechselten, vom Landkreis über die Oberfinanzdirektion bis zur Landesentwicklungsgesellschaft. Nach zehn Jahren, im Januar 2001, hatte er die Behörden endlich so weit: Er durfte die Burg kaufen.
Die Gäste kamen all die Jahre, auch weil die Veste die mit Abstand besterhaltene Burg der Drei Gleichen ist. Neben der halb verfallenen Mühlburg ist vor allem die Ruine der Burg Gleichen legendenumrankt. Die gut verdauliche Sage vom dort ansässigen Grafen, der vom Kreuzzug eine Sultanstochter mitbrachte, um sie mit päpstlichem Segen zur Zweitfrau zu nehmen, gehört zum regionalen Gemeingut. Im Dom zu Erfurt wird Touristen gerne die Grabplatte hergezeigt, die den Adligen mit seinen zwei Gemahlinnen zeigen soll. Die anderen beiden Gleichen sind gut von den Türmen der Wachsenburg aus zu sehen.
„Thüringen ist gesegnet mit Burgen, Schlössen und Herrenhäusern“, sagt Wagner. Es gibt Hunderte davon in dem Bundesland, das bis 1918 ein einziges Durcheinander von Klein- und Miniaturfürstentümern war. 30 Häuser, darunter Ruinen wie die Burg Gleichen und national bedeutsame Denkmäler wie Schloss Friedensstein in Gotha, verwaltet eine landeseigene Stiftung. Um die Wartburg und Weimarer Residenzschloss kümmern sich eigene Stiftungen. Der Rest befindet sich in kommunalem oder privatem Besitz.
Die Staatskanzlei, die in der Landesregierung auch für Kultur zuständig ist, hält mindestens fünf Anlagen für gefährdet. 64 besäßen einen „erhöhten Sanierungsbedarf“, heißt es. Ganz oben auf der Kummerliste steht Schloss Reinhardsbrunn bei Friedrichroda, das von windigen Investoren gekauft wurde und seitdem verfällt. Das Land hat, was bundesweit eine Premiere ist, ein Enteignungsverfahren eingeleitet, sein Ausgang ist mehr als ungewiss.
Mit den etwa 15 Fördermillionen pro Jahr, die für alle Denkmäler reichen müssen, kann das Land oft nicht mehr als sogenannte Notsicherungsmaßnahmen durchführen. So kommt es, dass das Jagdschloss Hummelshain der Altenburger Fürsten nur noch wegen eines Fördervereins halbwegs steht und das Barockschloss Friedrichswerth bei Gotha vergeblich zum Verkauf angeboten wird. Die 8686 Quadratmeter Wohnfläche und 48 670 Quadratmeter stehen seit Jahren auf den Immobilienportalen im Netz. Zustand: „sanierungsbedürftig“.
Aber das ist keine Konkurrenz für Wagner. Im Vergleich zu diesen einfallenden Altbauten ist seine Burg durchsaniert. Und dann natürlich die 1-A-gipfellage: Neben der Wartburg und der Leuchtenburg bei Jena, sagt Wagner im sonoren Reklameton, sei die Wachsenburg die markanteste Anlage in ganz Thüringen.
Doch was wird ein neuer Eigentümer mit der schönen Burg machen? Wagners Gesicht verfestigt sich plötzlich. „Das ist dann nicht mehr meine Sache“, sagt er. Theoretisch könne sie auch ein Oligarch erwerben und die Öffentlichkeit ausschließen. „Aber das wird hoffentlich nicht passieren.“
„Hier liegt vom Buche Thüringen eine der herrlichsten Stellen vor uns aufgeschlagen.“