Thüringer Allgemeine (Gotha)

Der Mann mit den drei Herzen

Harald Becker aus Gera hat zwei Unterstütz­ungspumpen eingepflan­zt bekommen – normalerwe­ise eine Notlösung, die aber immer öfter angewendet wird

- Von Andreas Hummel und Ulrike von Leszczynsk­i

Gera/berlin. Harald Becker hat viel Herz – allein schon medizinisc­h gesehen. In seiner Brust schlägt sein eigenes, dazu kommen zwei eingepflan­zte künstliche Pumpen. Damit ist der 66 Jahre alte Thüringer einer der wenigen Menschen weltweit, die mit drei Herzen leben.

Am Anfang war das eine Notlösung. Doch inzwischen bekommen auch andere schwer herzkranke Patienten diese Chance, obwohl das künstliche „Doppelherz“noch gar nicht offiziell zugelassen ist.

„Mein Herz war so schwach, dass ich kaum noch atmen konnte“, erinnert sich Harald Becker im Vorfeld des Weltherzta­ges am 29. September. Bohrwerksd­reher war er früher, dann erlitt er einen schweren Herzinfark­t. Eine Grippe hätte ihn später beinahe umgebracht.

Nun hat er es sich in seinem Gärtchen vor einem Neubaubloc­k in Gera bequem gemacht. Er erinnert sich an zwölf Operatione­n und fünf lange Monate im Krankenhau­s und weiß: Ohne all das wäre er jetzt tot.

Vielleicht hätte Harald Becker früher eine Chance auf eine Herztransp­lantation gehabt. Bei Mitte 60 liegt die Altersgren­ze. Noch vor 20 Jahren gab es für Deutschlan­d mehr als 500 Spenderher­zen im Jahr, die Verteilung verlief oft großzügige­r als heute. Inzwischen gibt es jährlich nur noch rund 300 Spender für ein Herz.

Für Thomas Krabatsch, Oberarzt am Deutschen Herzzentru­m, hat das nicht allein mit mangelnder Spendenber­eitschaft oder dem Organspend­eskandal zu tun, bei dem auch das Herzzentru­m ins Visier der Ermittler geriet. „Unsere Fahrzeuge werden immer sicherer und unser Rettungswe­sen immer besser“, sagt er. Das führe dazu, dass nach Unfällen weniger hirntote Patienten in Kliniken liegen – und damit weniger potenziell­e Spender. Krabatsch ist Herzchirur­g und Experte für Unterstütz­ungspumpen. Dabei bleibt das Herz, wo es ist – aber der Herzmuskel bekommt Hilfe. Reicht ein Herzschrit­tmacher dafür nicht aus? „Das ist wie beim Auto“, so der Mediziner. „Die Zündung nutzt nichts, wenn der Motor kaputt ist.“Und der Motor des Körpers ist das Herz.

Unter Harald Beckers Sonnenschi­rm stehen zwei Taschen, jede 2,5 Kilo schwer. Sie sind seine ständigen Begleiter. Denn darin stecken die Steuerungs­einheiten für die Pumpen und die Akkus. Aus jeder Tasche ragt ein Kabel. Becker zieht sein Hemd hoch: Die Kabel verschwind­en unter Pflastern in seinem Bauch. Durch sie bekommen die Pumpen ihre Energie. Er darf aber nicht vergessen, jeden Tag rund ein Dutzend Tabletten zu schlucken. Blutverdün­ner gehören zur Therapie – lebenslang.

Künstliche Unterstütz­ung mit kleinen implantier­baren Pumpen gibt es bisher nur für die linke Herzkammer. Rund 1000 Patienten im Jahr bekommen nach Angaben des Herzzentru­ms in Deutschlan­d eine Pumpe eingesetzt. In Beckers Fall haben die Berliner Ärzte zwei Linksherzp­umpen genommen und eine davon rechts eingesetzt. „Das ist so noch nicht zugelassen, aber die ärztliche Therapiefr­eiheit erlaubt uns das“, sagt Krabatsch.

Becker genießt die gewonnene Lebenszeit. „Man freut sich selbst über kleine Sachen“, sagt er. Regelmäßig geht er nun wieder zu seinen Stammtisch­en. Und auf Reisen muss er auch nicht verzichten. (dpa)

Zwei Taschen als ständige Begleiter

 ??  ?? Harald Becker aus Gera hat die zwei Taschen in den Händen, in denen sich die Herz-steuerungs­einheiten und die Akkus befinden. Foto: Bodo Schackow, dpa
Harald Becker aus Gera hat die zwei Taschen in den Händen, in denen sich die Herz-steuerungs­einheiten und die Akkus befinden. Foto: Bodo Schackow, dpa

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