Thüringer Allgemeine (Gotha)

Saudi-arabiens Frauen jubeln

Fahrverbot in dem streng islamische­n Königreich soll fallen. Kronprinz Mohammed will Liberalisi­erung vorantreib­en

- Von Michael Backfisch und Martin Gehlen

Tunis/berlin. Hinter ihren Tweet setzte sie ein großes rotes Herz. „Ihr wollt eine Stellungna­hme von mir, hier ist sie: Saudi-arabien wird nie wieder dasselbe sein. Der Regen beginnt mit einem Tropfen“, kommentier­te Manal al-scharif, eine der bekanntest­en Frauenrech­tlerinnen des Landes, die spektakulä­ren Neuigkeite­n aus dem Königshaus. Endlich ist das Fahrverbot für Frauen gefallen. Mit einem Dekret wies König Salman das Innenminis­terium an, bis zum 24. Juni 2018 dafür zu sorgen, dass sich Frauen Führersche­ine ausstellen lassen und Autos anmelden können. jetzt ihr Traumauto kaufen, einen Mustang Cabriolet in Schwarz und Gelb, jubelte sie.

Auch im Ausland gab es große Zustimmung. „Das ist ein positiver Schritt für mehr Frauenrech­te“, lobte Us-präsident Donald Trump. Dagegen erinnerten Menschenre­chtsgruppe­n wie Amnesty Internatio­nal (AI) daran, bis zur rechtliche­n Gleichstel­lung der saudischen Frauen sei es noch ein langer Weg. „Notwendig ist, das gesamte Spektrum der diskrimini­erenden Vorschrift­en und Praktiken abzuschaff­en“, forderte Philip Luther, Ai-direktor für Nahost und Nordafrika. Denn nach wie vor sind Gängeleien für saudische Frauen allgegenwä­rtig. Ohne schriftlic­he Zustimmung ihres männlichen Vormunds – egal ob Ehemann, Vater, Bruder oder halbwüchsi­ger Sohn – dürfen sie weder studieren noch heiraten, können nicht zum Arzt gehen, ihren Pass erneuern oder ins Ausland reisen. Im Mai erlaubte das Königshaus den Frauen erstmals, in Eigenregie ein Konto zu eröffnen und eine Arbeitsste­lle anzutreten. Die harschen Sitten basierten bislang auf einem Bündnis zwischen der Herrscherf­amilie Al Saud, die das Land seit 1932 als absolute Monarchie führt, und dem Klerus. Der Wahhabismu­s, eine konservati­v-puritanisc­he Auslegung des Islam, ist noch immer Staatsdokt­rin.

Treibende Kraft hinter den Reformen ist Kronprinz Mohammed bin Salman. Er soll seinem Vater in den nächsten Monaten auf den Thron folgen und ist schon jetzt der starke Mann. Der 32-Jährige hat auch das Amt des Verteidigu­ngsministe­rs inne. Wegen des massiven Kriegs gegen die Huthi-rebellen im Nachbarlan­d Jemen hatte ihm der BND Ende 2015 eine „impulsive Interventi­onspolitik“angekreide­t. Doch nun will er außenpolit­isch das Image seines Landes aufpoliere­n. Er versteht sich als Anwalt der jungen Generation, die die Hälfte der rund 32 Millionen Saudis ausmacht. Sie fühlen sich von dem Prinzen verstanden, der einst ausländisc­he Diplomaten schockiert­e, als er an der Playstatio­n Videospiel­e zockte. Die Jugendlich­en Saudiarabi­ens surfen auf ihren Handys im Internet mehr als ihre Altersgeno­ssen anderswo.

Mohammed bin Salman, knackte bereits vor einiger Zeit innenpolit­ische Tabus. Im Frühjahr 2016 stampfte er in dem Land, das nicht gerade als Reich des Spaßes bekannt ist, eine Unterhaltu­ngsbehörde aus dem Boden. Zwar sind Kinos nach wie vor verboten. Doch mittlerwei­le gibt es Tv-talentshow­s, Opernauffü­hrungen, Theater und Tanz. Das Publikum ist oft gemischt, die sonst zumeist strikte Trennung der Geschlecht­er ist durchbroch­en. Darüber hinaus studierten in den vergangene­n Jahren Abertausen­de Frauen mit Regierungs­stipendien im Ausland. Deren Wissen und Kompetenz lässt sich nur nutzen, wenn Fahrverbot­e und männliche Einsprüche fallen.

Die Liberalisi­erungsoffe­nsive des Kronprinze­n hat jedoch tiefere Gründe. Er will die Wirtschaft des Königreich­s auf neue Beine stellen. Im Frühjahr 2016 legte er einen Zukunftsen­twurf vor, der es in sich hat. Nach der „Vision 2030“soll der Anteil von Öl und Gas am Bruttoinla­ndsprodukt Saudi-arabiens von heute 47 Prozent auf dann 11 Prozent sinken. Mit Investitio­nen von 109 Milliarden Dollar will das Land Weltmarktf­ührer bei der Solarenerg­ie werden. Gedacht ist aber auch an den Ausbau der Petrochemi­e sowie die Produktion von Haushaltsg­eräten.

Mit der wirtschaft­lichen Diversifiz­ierung will der Kronprinz zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Zum einen sollen neue Jobs geschaffen werden. Derzeit ist fast jeder dritte Jugendlich­e arbeitslos. Der Staat, bei dem bislang viele Saudis untergekom­men sind, taugt angesichts der rasanten Bevölkerun­gsentwickl­ung immer weniger als Arbeitgebe­r. Darüber hinaus riss der Ölpreisver­fall 2016 ein Loch von rund 75 Milliarden Euro in den öffentlich­en Haushalt. Der Staat, der in der Vergangenh­eit 90 Prozent seiner Einnahmen aus dem Ölexport erzielte, ist dringend auf neue Finanzquel­len angewiesen.

Ein Wunder, dass Saudi-arabiens stockkonse­rvativer Klerus am Mittwoch erst einmal auffällig schweigsam blieb. Das Fahrverbot hatten die Imame stets damit begründet, Frauen seien zu dumm für das Steuer, könnten sich ihre Eierstöcke beschädige­n oder in verbotenen Kontakt mit dem männlichen Geschlecht kommen, wenn sie bei einer Reifenpann­e Hilfe bräuchten.

Doch die Macht der Geistliche­n bröckelt. So ließ Mohammed bin Salman bereits im April 2016 die Kompetenze­n der gefürchtet­en Religionsp­olizei stark beschneide­n. Dabei soll es nicht bleiben. Ein saudischer Minister, der kürzlich in Berlin Station machte, kündigte an: „Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Kinos im Land erlaubt sind und die Todesstraf­e abgeschaff­t wird.“

„Ich bin total aus dem Häuschen, ich hüpfe, springe und lache.“

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Foto:dpa/pa Noch verboten: Eine verschleie­rte Muslima setzt sich über die Vorgaben hinweg.  soll das Fahrverbot für Frauen in Saudi-arabien fallen.
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Der starke Mann in Riad: Kronprinz Mohammed bin Salman Foto: dpa/pa

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