Thüringer Allgemeine (Gotha)

Helenes Herbstherz­chen

Unsere zauberhaft­e Kolumnisti­n schreibt über die nächsten Monate mit kalten Kinderfüße­n, Cordhosen, Rotwein und Henry Mancini

- Von Marie Helene Anschütz

Jeden Morgen klettert erst ein kleines Würmchen in mein Bett, kurz danach die Sonnenstra­hlen durch das Rollo am Fenster. Kleine nackte und vor allem kalte Kinderfüße berühren mich an meinem noch warmen Bein. Mein Töchterlei­n kichert unter der Bettdecke, während ich sie an mich drücke. Auch wenn die Füße kalt und der Körper zappelig sind, durchström­t mich warmes Glück.

Es ist eine spezielle Jahreszeit, bevor die ersten Blätter fallen, in der man den Wechsel der Jahreszeit­en spürt. Die Luft ist frisch, der Sommer dahin, es braucht eine Decke auf dem Bett.

Es ist Herbst. Schleichen­d und doch abrupt war der Sommer vorbei. Mein Sommer war kurz; erst der Umzug und dann eine Inszenieru­ng an der Nordsee, wo ich zwar Meer, aber kaum Hitze gesehen habe, wenn ich mal nicht im Theater steckte. Carolinde Müller-wolf aus Eisenach und Marie-helene Anschütz aus Darmstadt haben einen Blog im Internet: „Die Zauberer von Ost“. Nun schreiben sie ihre erste Zeitungsko­lumne, angelehnt an den Blog, zu finden auch unter www.taeisenach.de.

Vor allem meine Töchter haben es noch nicht verinnerli­cht. Jeden Morgen diskutiere­n wir über Strumpfhos­en und Pullover. Bloß keine Strickjack­e, bloß keine Stiefelett­en.

Manchmal ertappe ich die Große, wie sie an meinem Handy fingert, um die Höchstempe­raturen in der Wetter-app zu studieren. „Sind 15 Grad warm Mama?“Ich schüttele den Kopf und halte eine Jeansjacke hin.

Auch wenn ich es manchmal schön finde, abends die Heizung hoch zu drehen, sehne ich mich nach der Leichtigke­it des Sommers. Leicht im Kopf und in der Kleidung. Als würde der Ernst des Lebens einziehen, vor dem wir es erfolgreic­he fünf Monate schafften, uns zu verstecken. Dunkle Wolken ziehen auf, nicht nur am politische­n Himmel wird es dunkel von rechts.

Die Tage werden kürzer und die Nächte kälter. Die erste Kastaniene­rnte liegt hinter uns, die rotbraunen Blätter vom Waldspazie­rgang werden im Buch gepresst und auf Wachsmalge­mälde gepinnt.

Ich freue mich auf Schals und Mützen, Cordhosen und Strickpull­is, auf die ruhigeren Abende mit Rotwein und den besten Kaltwetter-gerichten wie Chili con Carne oder Boeuf Bourguigno­n, dazu lausche ich Henry Mancini und schaue Carrie und Big beim Tänzchen im roten Wohnzimmer zu. Hach...

Vielleicht ist es auch die spezielle Besinnlich­keit, die entsteht, wenn man auf das fast verstriche­ne Jahr blickt. Nicht umsonst heißt es der „Herbst des Lebens“. Freuen wir uns über die Herbstsonn­e, so wohltuend wunderbar. Auf Maronensup­pe, Schokokeks­e und einen Sonntag im goldgelben Wald.

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Ohne Blätter und einen schönen Herbstspaz­iergang im Wald geht es nicht. Foto: Marie-helene Anschütz
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