Thüringer Allgemeine (Gotha)

Betreut und betreuend

Heute feiert das Erfurter Theater „Die Schotte“sein 25-jähriges Bestehen. Hoffnungss­pender mit therapeuti­scher Wirkung

- Von Henryk Goldberg

Erfurt. Eines Nachts, es muss so etwa 1992/93 gewesen sein, da lief, als ich nach Hause ging, ein Mann auf der anderen Straßensei­te. Und rief durch die Nacht: „Geh endlich mal in die Schotte, du Ignorant!“Und da ich den Mann kannte und schätzte seit langem, es war der Schauspiel­er Karl-heinz Krause, war ich nicht beleidigt, sondern tat, wie mir geheißen. Und schämte mich dann, dass es dazu einer gesonderte­n Aufforderu­ng bedurft hatte.

Denn das Kinder- und Jugendthea­ter „Die Schotte“, das heute sein Vierteljah­rhundert feiert, ist eine der tragenden kulturelle­n Einrichtun­gen der Landeshaup­tstadt Erfurt – dies umso mehr, als eben diese Landeshaup­tstadt die einzige ihrer Art in Deutschlan­d ist, in deren Theater es kein eigenes Schauspiel-ensemble gibt.

Diese Amateurgru­ppe ist so etwas wie eine Hoffnung. Amateurthe­ater als therapeuti­sche Anstalt? Nicht nur, aber auch. Nicht weil dies schon ein Gedanke der Poetik des alten Aristotele­s war, vielmehr, weil dies ein Teil und ein Gedanke des soziokultu­rellen Netzwerkes ist, das diese Gesellscha­ft sich leisten kann und muss, wenn sie nicht wachsende Anteile jugendther­apeutische­r Maßnahmen auf Polizisten und Richter delegieren will.

Doch „Die Schotte“bedarf zu ihrer Legitimati­on, zu ihrer Lobrede keiner wohlwollen­den Jovialität. Wie jedes Theater, so wollen sie nicht allein um ihrer sozialen Funktion willen gewürdigt sein, auch der Schönheit wegen. Und eben diese Balance eines soziokultu­rellen und eines künstleris­chen Wirkens aus eigenem Recht ist die Besonderhe­it dieser Gruppe.

Ohne diese sich darstellen­de ästhetisch­e Qualität, ohne diese ins Öffentlich­e ragenden Spitzen der Pyramiden fehlte auch der übrigen, leiseren Arbeit die Stimulans, ohne diese Aufführung­en entwickelt­en sich solche Gruppen nicht zu Kommunikat­ionszentre­n, die ihre jeweils eigene Szene ausbilden. Für eine solche Truppe, die einen wollen Theater trainieren, die anderen Freizeit gestalten, Stücke zu finden, die den einen Rollen bieten und den anderen Mitspielmö­glichkeite­n, ist nicht einfach. Ich habe hier über die Jahre nicht wenige Aufführung­en gesehen, die ihren semiprofes­sionellen Status als wirkendes, wirkungsvo­lles Theater mühelos behaupten konnten über lange Vorstellun­gsserien hinweg. Im Jahre 2000 gab es dafür, gemeinsam mit „3K“aus Mühlhausen den Thüringer Kulturprei­s – an der Berechtigu­ng dieser Auszeichnu­ng gab es keinen Zweifel.

Und, ohne ein gewisses Maß der konstrukti­ven Verrückthe­it der Leiter ginge es auch nicht, gar nicht. Renate Lichnok verfügt wohl über diese widerständ­ige Besessenhe­it, die einer benötigt, der am Vormittag Fördermitt­el diskutiert, am Nachmittag Wischlappe­n organisier­t und am Abend auf der Probe sitzt. Ohne diese Frau, dafür mit dem Bundesverd­ienstkreuz geehrt, gäbe es dieses Theater nicht, ohne sie wäre das Pionierthe­ater auf dem Petersberg, wie vieles andere auch, in den Wendewirre­n spurlos verschwund­en. Aber Renate Lichnok wurde gleichsam zu einer Pionierin der soziokultu­rellen Arbeit in Erfurt. Diese Frau ist eine Nervensäge.

Das ist ein Umstand, den mancher bestätigen wird. Und das festgestel­lt, würden sie nicht versäumen, ihren Respekt für diese Art von Nervensäge­rei zu bekunden. Ohne ihre langjährig­e Leiterin hätte „Die Schotte“nie angefangen und ohne sie bereits aufgehört. Ideen, Konzeption­en und derlei Details einmal beiseite, war diese Frau in der Schotte für die Erzeugung von Energie zuständig. Eine Energie, die sich im Binnenverk­ehr überwiegen­d als Fürsorge zeigte und nach außen hin als ein in der Sache knochenhar­tes, in der Form hemmungslo­s charmieren­des Eintreiben von Geld. Und Uta Wanitschke, die nach ihr kam, hat wohl, auf ihre eigene Art, einiges gelernt. So können sie heute feiern. Auch Karl-heinz Krause darf sich heute feiern lassen als der prägende Regisseur, für seine besondere Sensibilit­ät in der Arbeit mit einer solchen Truppe. Aus der im Übrigen Spieler hervorging­en, die auf verschiede­nen Feldern und Bühnen zum Kulturlebe­n der Stadt gehören, Steffen Wilhelm etwa oder Martin Schink. Auch Susanne Besser und Matthias Thieme haben einigen Anteil an dieser Erfolgsges­chichte – und alle Politiker, die immer wieder Wege zu Mitteln fanden.

Eine der herausrage­nden Inszenieru­ngen der Truppe waren „Die Jungs“, die Geschichte einer betreuten Wohngemein­schaft. Und im besten, im schönsten alle denkbaren Sinne ist „Die Schotte“genau das: Eine betreute und betreuende Gemeinscha­ft.

 ??  ?? „Salomé“hatte im März  Premiere. In den Rollen waren zu sehen F. Küstner (Salomé), Ange Daiss (Herodias) und Martin Schink als Herodes. Schink führte auch Regie für dieses Oscar-wilde-stück. Foto: Lutz Edelhoff
„Salomé“hatte im März  Premiere. In den Rollen waren zu sehen F. Küstner (Salomé), Ange Daiss (Herodias) und Martin Schink als Herodes. Schink führte auch Regie für dieses Oscar-wilde-stück. Foto: Lutz Edelhoff
 ??  ?? Renate Lichnok in ihrem Arbeitszim­mer. Mit „widerspens­tiger Besessenhe­it“führte sie das Theater über Jahre und auch durch unruhige Zeiten. Archiv-foto: Maik Ehrlich
Renate Lichnok in ihrem Arbeitszim­mer. Mit „widerspens­tiger Besessenhe­it“führte sie das Theater über Jahre und auch durch unruhige Zeiten. Archiv-foto: Maik Ehrlich
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Steffen Wilhelm (Mitte) ist Schotte-urgestein. Er führt inzwischen Regie und ist wohlbekann­t durch seine Till-eulenspieg­el-auftritte beim Krämerbrüc­kenfest. Foto: Marco Schmidt

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