Betreut und betreuend
Heute feiert das Erfurter Theater „Die Schotte“sein 25-jähriges Bestehen. Hoffnungsspender mit therapeutischer Wirkung
Erfurt. Eines Nachts, es muss so etwa 1992/93 gewesen sein, da lief, als ich nach Hause ging, ein Mann auf der anderen Straßenseite. Und rief durch die Nacht: „Geh endlich mal in die Schotte, du Ignorant!“Und da ich den Mann kannte und schätzte seit langem, es war der Schauspieler Karl-heinz Krause, war ich nicht beleidigt, sondern tat, wie mir geheißen. Und schämte mich dann, dass es dazu einer gesonderten Aufforderung bedurft hatte.
Denn das Kinder- und Jugendtheater „Die Schotte“, das heute sein Vierteljahrhundert feiert, ist eine der tragenden kulturellen Einrichtungen der Landeshauptstadt Erfurt – dies umso mehr, als eben diese Landeshauptstadt die einzige ihrer Art in Deutschland ist, in deren Theater es kein eigenes Schauspiel-ensemble gibt.
Diese Amateurgruppe ist so etwas wie eine Hoffnung. Amateurtheater als therapeutische Anstalt? Nicht nur, aber auch. Nicht weil dies schon ein Gedanke der Poetik des alten Aristoteles war, vielmehr, weil dies ein Teil und ein Gedanke des soziokulturellen Netzwerkes ist, das diese Gesellschaft sich leisten kann und muss, wenn sie nicht wachsende Anteile jugendtherapeutischer Maßnahmen auf Polizisten und Richter delegieren will.
Doch „Die Schotte“bedarf zu ihrer Legitimation, zu ihrer Lobrede keiner wohlwollenden Jovialität. Wie jedes Theater, so wollen sie nicht allein um ihrer sozialen Funktion willen gewürdigt sein, auch der Schönheit wegen. Und eben diese Balance eines soziokulturellen und eines künstlerischen Wirkens aus eigenem Recht ist die Besonderheit dieser Gruppe.
Ohne diese sich darstellende ästhetische Qualität, ohne diese ins Öffentliche ragenden Spitzen der Pyramiden fehlte auch der übrigen, leiseren Arbeit die Stimulans, ohne diese Aufführungen entwickelten sich solche Gruppen nicht zu Kommunikationszentren, die ihre jeweils eigene Szene ausbilden. Für eine solche Truppe, die einen wollen Theater trainieren, die anderen Freizeit gestalten, Stücke zu finden, die den einen Rollen bieten und den anderen Mitspielmöglichkeiten, ist nicht einfach. Ich habe hier über die Jahre nicht wenige Aufführungen gesehen, die ihren semiprofessionellen Status als wirkendes, wirkungsvolles Theater mühelos behaupten konnten über lange Vorstellungsserien hinweg. Im Jahre 2000 gab es dafür, gemeinsam mit „3K“aus Mühlhausen den Thüringer Kulturpreis – an der Berechtigung dieser Auszeichnung gab es keinen Zweifel.
Und, ohne ein gewisses Maß der konstruktiven Verrücktheit der Leiter ginge es auch nicht, gar nicht. Renate Lichnok verfügt wohl über diese widerständige Besessenheit, die einer benötigt, der am Vormittag Fördermittel diskutiert, am Nachmittag Wischlappen organisiert und am Abend auf der Probe sitzt. Ohne diese Frau, dafür mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt, gäbe es dieses Theater nicht, ohne sie wäre das Pioniertheater auf dem Petersberg, wie vieles andere auch, in den Wendewirren spurlos verschwunden. Aber Renate Lichnok wurde gleichsam zu einer Pionierin der soziokulturellen Arbeit in Erfurt. Diese Frau ist eine Nervensäge.
Das ist ein Umstand, den mancher bestätigen wird. Und das festgestellt, würden sie nicht versäumen, ihren Respekt für diese Art von Nervensägerei zu bekunden. Ohne ihre langjährige Leiterin hätte „Die Schotte“nie angefangen und ohne sie bereits aufgehört. Ideen, Konzeptionen und derlei Details einmal beiseite, war diese Frau in der Schotte für die Erzeugung von Energie zuständig. Eine Energie, die sich im Binnenverkehr überwiegend als Fürsorge zeigte und nach außen hin als ein in der Sache knochenhartes, in der Form hemmungslos charmierendes Eintreiben von Geld. Und Uta Wanitschke, die nach ihr kam, hat wohl, auf ihre eigene Art, einiges gelernt. So können sie heute feiern. Auch Karl-heinz Krause darf sich heute feiern lassen als der prägende Regisseur, für seine besondere Sensibilität in der Arbeit mit einer solchen Truppe. Aus der im Übrigen Spieler hervorgingen, die auf verschiedenen Feldern und Bühnen zum Kulturleben der Stadt gehören, Steffen Wilhelm etwa oder Martin Schink. Auch Susanne Besser und Matthias Thieme haben einigen Anteil an dieser Erfolgsgeschichte – und alle Politiker, die immer wieder Wege zu Mitteln fanden.
Eine der herausragenden Inszenierungen der Truppe waren „Die Jungs“, die Geschichte einer betreuten Wohngemeinschaft. Und im besten, im schönsten alle denkbaren Sinne ist „Die Schotte“genau das: Eine betreute und betreuende Gemeinschaft.