Der Humpen: Wie es wirklich war
Kunsthändler sollte das im Gothaer Schloss gestohlene Kunstwerk heimlich zurückkaufen. Der Preis liegt bei über 300 000 Euro
Gotha. Es gibt Momente im Leben, da muss man Absprachen einfach vergessen. Da muss man kurzentschlossen ganz anders handeln, als es eigentlich vorab geplant war.
Am 20. Mai ging es Achim Neuse genau so. An jenem Samstag saß der Bremer Kunsthändler in einem Auktionssaal in Heidelberg und verfolgte die Versteigerung eines einst in Gotha gestohlenen Elfenbein-humpens. Neuse war in geheimer Mission unterwegs. Im Auftrag der Stiftung Schloss Friedenstein wollte er zurückkaufen, was ihr ohnehin gehört.
Mehr als 150 000 Euro sollte Neuse allerdings nicht ausgeben. Doch bereits das Startgebot lag bei 88 000 Euro. Kaum war der Humpen aufgerufen, begannen sich zwei ausländische Interessenten ein Bietergefecht zu liefern. Der Preis schoss höher und höher, und dann, als alle dachten, nun sei es vorbei, bot plötzlich Achim Neuse. Bei 265 000 Euro fiel der Hammer. Inklusive den Auktionsgebühren hatte der Bremer sogar 331 000 Euro zu zahlen.
Das Erschrecken in Gotha war groß. Diesen Preis wollte und konnte die Stiftung nicht aufbringen. Nach nur zwei Tagen sagten die Gothaer deshalb dem Kunsthändler ab, wohlwissend, dass der Humpen somit auch ins Ausland weiterverkauft werden könnte.
Mittlerweile hat dank zweier Gutachten das große Umdenken eingesetzt. Experten schreiben den Humpen Christoph Maucher zu. Der Danziger Elfenbeinschneider gehört zu den großen Meistern des 17. Jahrhunderts. Er arbeitete für Könige und Kaiser, seine Schnitzereien sind in namhaften Museen ausgestellt.
Gotha möchte auch deshalb den Humpen nun doch unbedingt kaufen. Steht Schloss Friedenstein damit demnächst in einer Reihe mit dem Victoria and Albert Museum (London) und dem Kunsthistorischen Museum von Wien?
Noch gestern machte man in Gotha ein Geheimnis um die Provenienz des Humpens. Man wolle keine Begehrlichkeiten wecken und so den Preis nachträglich hochtreiben, sagte Martin Eberle, Direktor der Stiftung. Dass die Urheberschaft des Stücks in der international gut vernetzten Szene längst die Runde macht, war offenbar nicht bis nach Gotha durchgedrungen.
Derweil hält es Eberle für unangemessen, von dem Humpen als einem Humpen zu sprechen. „Das ist eine unglückliche Bezeichnung für ein derart hochkarätiges Kunstwerk.“
Gotha als Eigentümer hat kein Recht auf Herausgabe
Der Humpen war im 17. Jahrhundert einem Gothaer Herzog von einem anderen Fürsten zum Geburtstag überreicht worden. Eberle spricht gar von einem Staatsgeschenk, das selbstredend wieder nach Gotha gehöre.
Hier war der Humpen 1945 aus einem Museumsdepot gestohlen worden. Der Dieb griff allerdings nur zum eigentlichen Krug. Die Deckelbekrönung in Gestalt einer Aaron-figur ließ er unbeachtet zurück. Sie befindet sich noch immer in Gotha. Aaron ist so etwas wie der ultimative Zeuge für den Raubzug.
Einige Jahre später verkaufte der Dieb den Humpen und weitere entwendete Stücke einem Erfurter Antiquitätenhändler. Dieser wiederum vererbte sie. Mittlerweile tauchen die Objekte immer mal wieder auf dem Kunstmarkt auf. Rechtens ist dies durchaus. Laut Bürgerlichem Gesetzbuch verliert der wahre Eigentümer – also das Gothaer Museum – nach 30 Jahren den Anspruch auf Herausgabe der einstigen Diebesbeute. Damit bleibt tatsächlich nur der Rückkauf als Option.
Bis Jahresende will Gotha den Kaufpreis vor allem durch Fördermittel aufbringen. Kulturstiftungen und das Land Thüringen kommen als Unterstützer infrage. Bereits zugesagt hat die Siemens-kunststiftung, und zwar 100 000 Euro.
Achim Neuse sagt, er wolle kein Kapital daraus schlagen. Gotha könne den Humpen auf jeden Fall erwerben. Er werde für seinen Aufwand nur ein kleines Aufgeld verlangen, zusätzlich zu den 331 000 Euro.