„Dieser Ton macht uns Sorgen“
Warum die Deutsch-russische Freundschaftsgesellschaft Thüringen einen offenen Brief an die Politik verfasst hat
Suhl. Die Affäre um den Exspion Skripal hat die Beziehungen zwischen Russland in einen neuen Tiefstand getrieben. Jetzt hat die Deutsch-russische Freundschaftsgesellschaft Thüringen einen offenen Brief initiiert, in dem vor einer weiteren Verhärtung der Fronten gewarnt und eine Umkehr zum Dialog eingefordert wird. Der Brief kursiert inzwischen deutschlandweit. Fragen an den Vorsitzenden der Gesellschaft, Martin Kummer.
Herr Kummer, nach Ihren Angaben haben 13 Freundschaftsgesellschaften den Brief unterschrieben. Wie kam es zu dieser öffentlichen Wortmeldung?
Als überregionale Aktion war das gar nicht geplant. Wir hatten in der Vorstandssitzung festgestellt, dass der scharfe Ton zwischen Russland und dem Westen in den Ortsgruppen das vorherrschende Thema ist. So haben wir uns zu dieser Erklärung entschlossen, die wir eigentlich nur auf unsere Internetseite stellen wollten. Ich hatte mit der Freundschaftgesellschaft in Oldenburg, zu der ich gute Kontakte habe, darüber gesprochen, die waren auch sofort dafür. So kam die Sache ins Rollen. Ich finde es legitim, wenn wir als zivilgesellschaftliche Organisationen, die enge persönliche Kontakte nach Russland pflegen, unsere Sorgen öffentlich formulieren.
Wie hätte die deutsche Politik denn Ihrer Meinung nach in der Affäre anders reagieren sollen?
Es geht uns nicht um Schuldzuweisungen oder Wertungen. Die können wir gar nicht seriös abgeben, dafür fehlen uns die Einblicke. Was wir anmahnen, ist die Rückkehr zu einem vernünftigen Dialog über strittige Fragen. Diese gegenseitigen Verdächtigungen, Beschimpfungen und der Ton in dem das alles passiert, macht uns Sorgen. Die Politik fällt in alte Muster zurück, wohin soll das führen? Damit meinen wir ausdrücklich beide Seiten, die Erklärung ist auch an den russischen Botschafter in Berlin gegangen. Von unseren Partnern in Russland wissen wir, dass auch dort viele Menschen so empfinden.
Wo ist das Schreiben jetzt unterwegs?
Wir haben es an alle Fraktionschefs im Bundestag geschickt, an die Kanzlerin, den Außenminister. Ich habe auch an Thüringer Abgeordnete geschrieben.
Schwer vorstellbar, dass Thüringer Politik zur Problemlösung etwas beisteuern könnte. Sie soll ja keine Außenpolitik machen. Aber sie könnte unterhalb dieser Ebene etwas tun, indem zum Beispiel endlich eine Partnerschaft mit einer russischen Region geschlossen wird. Thüringen ist das einzige Bundesland, in dem es keine Regionalpartnerschaft gibt. Seit Jahren wird über Tatarstan gesprochen, Ministerpräsident Ramelow war dort, der tatarische Präsident kam nach Jena, aber man kommt einfach nicht zum Punkt. Gerade jetzt, wo sich in der großen Politik die Fronten verhärten, wäre das eine richtige Antwort: Wir machen das, weil wir wollen, dass sich Menschen ungeachtet der politischen Verwerfungen begegnen und kennenlernen. Aber da vermisse ich den entscheidenden Impuls.
Aus der Thüringer Wirtschaft kommt schon seit Längerem die Forderung nach einem Ende der Russland-sanktionen, sehen sie hier Verbündete? Die Wirtschaft sorgt sich um ihre Geschäfte, aber es kann doch nicht nur darum gehen. Wie gesagt, wir wollen keine Politik betreiben, wir wollen dass die Zivilgesellschaften stärker zusammenkommen. In der Kultur, im Sport, in der Wissenschaft, über Schulpartnerschaften. Aber das passiert nicht von allein, das muss gepflegt, organisiert, verstetigt werden, da müssen vor allem junge Menschen eingebunden werden. Gera und Suhl sind die einzigen Städte, die eine russische Partnerstadt haben – Kaluga und Pskow. Ich bin oft in Russland unterwegs und weiß, dass dort das Interesse an solchen Verbindungen groß ist. In Thüringen gibt es viele Verbindungen aus der DDRZEIT, das sind doch Potenziale, die man nutzen kann.
Die Freundschaftsgesellschaft ist mit etwa 140 Mitgliedern nicht groß . Wie aktiv ist sie derzeit überhaupt?
Wir arbeiten zum Beispiel seit drei Jahren eng mit Akteuren aus der Region Kaluga zusammen, die sich um behinderte Menschen kümmert. Im Herbst kommen drei Studentinnen der Moskauer Staatlichen Gebietsuniversität in den Landtag, auch diesen Kontakt organisieren wir. Und wir bemühen uns, die Gedächtniskultur an die gemeinsame leidvolle Geschichte aufrecht zu erhalten. Für viele Russen sind der 22. Juni 1941 und der 8. Mai 1945 noch immer Schlüsseldaten. Ich habe den Eindruck, dass dies hier zunehmend in Vergessenheit gerät, das wollen wir verhindern.
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Infos: www.drfg-th.de