Wie gut ist der Rennsteig? Oder noch besser gefragt: Wie gut kann ich rasten und essen auf dem Rennsteig? Im Auftrag der Thüringer Allgemeinen macht sich einmal im Monat der Restauranttester Matthias Kaiser auf den Weg und prüft die Gastronomie auf Herz u
Zum Testessen gab‘s Skrei mit Senfsauce. Skrei ist ein jungfräulicher Kabeljau, der von Januar bis März Saison hat.
Während der Planung für die erneute Rennsteigvisite durchstöberte ich natürlich auch die Notizbücher, in denen ich vor zwölf Jahren jene Erkenntnisse gesammelt hatte, die letztlich zu meiner damaligen Beurteilung über das Befinden des Rennsteigtourismus´ geführt haben.
Viele meiner damaligen Ahnungen hinsichtlich der Zukunft, vor allem der schon damals arg in Mitleidenschaft gezogenen Gastronomie entpuppten sich schon kurz nach den ersten diesjährigen Etappen als lupenreine Prophezeiungen. Was mich jedoch nicht davon abhalten wird, auch diese Tour völlig unvoreingenommen und vor allem positiv eingestimmt anzugehen. Mir war freilich bewusst, dass diese enthusiastische Berauschtheit der nüchternen Realität zum Opfer fallen würde. Mir war also schon klar, dass meine Wanderung über den Rennsteig kein fröhlicher Ausflug zu Charlies Schokoladenfabrik wird. Mehr: „Hänschen zieht in den Krieg.“
Natürlich wäre es besser gewesen, mit unserer Tour am frühen Morgen in Blankenstein – am Kilometer null des Rennsteigs – zu starten. Doch schon bei früheren und leider erfolglosen Recherchen nach einer passenden Übernachtungsmöglichkeit und einer gastlichen Stätte für eine gemütliche abendliche Einkehr erinnerte mich das Blankensteiner Gastgewerbe an eine altjungferliche Landpomeranze, die die Suche nach einem feschen Bräutigam seit Langem aufgegeben hat.
Also entschieden wir uns, analog zu unserer früheren Rennsteigwanderung, auch dieses Mal wieder im nur wenige Autominuten entfernten Bad Lobenstein
zu übernachten – einem kleinen Städtchen im Thüringer Schiefergebirge zwischen den Ausläufern des Thüringer Waldes und des Frankenwaldes.
Dort lernten wir damals die ambitionierten Betreiber des Hotels „Lobensteiner Marktstuben“– Familie Stiegler – kennen, die im etwas schlafmützig anmutenden Lobenstein wenigstens ansatzweise so etwas wie Zuversicht in die touristische Zukunft ausstrahlten. Jetzt, in der Zwischensaison, würde das Hotel erfahrungsgemäß sicherlich nicht ausverkauft sein. Also programmierte ich mein Navigationsgerät in Erfurt: Bad Lobenstein, Sonderziele, Hotel „Lobensteiner Markstuben“, Markt 24 – und stand anderthalb Stunden später vor der „Bad Lobensteiner Destillerie & Marktbrauerei. Das Erlebnishotel“.
„Neuer Name. Stieglers haben es nicht geschafft“, sagte meine Frau Martina lakonisch zu der neuen Außenwerbung. Im Nachgang recherchierte ich dann, dass die Stieglers schon kurz nach unserem Besuch das Hotel aufgegeben hatten.
Was mir keine Ruhe ließ. So stöberte ich schließlich Hermann Stiegler in Luxemburg auf. Dort schwingt er jetzt als Angestellter auf einem Golfplatz Pfannen und Töpfe. „Wesentlich relaxter als früher in Thüringen“, wie er versicherte.
Dieses Statement hielt mich allerdings nicht davon ab, hinsichtlich der Geschäftsaufgabe Stieglers tiefer zu bohren. Was folgte, war im Grunde genommen etwa die Quintessenz des Versagens der Gastronomie im Thüringer Wald.
Euphorisiert vom Versprechen blühender Landschaften nahmen von ihrer Heimat beseelte Menschen wie die Stieglers riesige Kredite mit zum Teil haarsträubenden Zinsraten auf, um in ihrer Heimat zu investieren. Was sie damals noch nicht wussten, war, dass die Zukunftsaussichten ihrer Region meist auf realitätsfremden Strukturprognosen beruhten. Nachdem einige Jahre später die ersten Zinsraten fällig wurden, fiel vor allem in der Gastronomie die Mehrzahl dieser Betriebe wie Kartenhäuser in sich zusammen. Für Bad Lobenstein bedeutete das beispielsweise, dass einstmals so geschätzte Restaurationen, wie der „Reußische Hof“, das „Berghotel“oder das „Oberland“verschwanden.
Eine Lücke, die binnen kürzester Zeit von asiatischen Gastronomen und Händlern besetzt wurde, die in Bad Lobenstein den „Markt“beherrschen. Und das nicht nur im sprichwörtlichen Sinne. Nichts gegen diese Handelskultur – man wird in vielen dieser Geschäfte zuvorkommend und vor allem preiswert bedient. Andererseits schmerzt es mich als Thüringer schon ein wenig, dass nur wenige alteingesessene Geschäfte den Strukturwandel überlebten. Wehmütig erinnere ich mich an eine Zeit, als Bad Lobensteins Innenstadt noch mit abwechselndem Markttreiben Gäste aus nah und fern anlockte.
Zweiter Sonntag im März: Sonnenschein. Erstmals seit Wochen milde Temperaturen. Ausflugszeit. Der Lobensteiner Marktplatz jedoch wirkte auf uns wie eine ausgestorbene Filmkulisse im mittleren Westen der USA.
Am Markt steuerten wir geradewegs in das kleine Eis-café „Dolce Vita“an. Dort trafen wir Patrone Bruno. Unser Anliegen, bei ihm durch den Verzehr mehrerer (ausgezeichneter) Espressi so etwas wie Vertrauen aufzubauen, um ihm Informationen über das weltweit erfolgreiche Geschäftsmodell der Italiener im Allgemeinen und die offensichtliche gastronomische Misere der Mitwerber in Bad Lobenstein im Besonderen zu entlocken, scheiterten kläglich. Umso dankbarer waren wir, dass uns zwei Einheimische das Rügener Fischhaus empfahlen. „Das findet ihr gleich um die Ecke im neuen Schloss.“
Obwohl es fürs Mittagessen eigentlich noch etwas zu früh war, standen wir nach wenigen Augenblicken vor dem „Neuen Schloss“. Das Fischrestaurant empfängt seine Gäste denn auch hochherrschaftlich im einstigen Prunksaal des Hauses – hohe Wände, Kreuzgewölbe. „Hier bestellt man Champagner und keinen Küstennebel“, lästerte eine meiner Testerinnen. Als ich sie mahnte, unsere Unternehmung etwas respektvoller zu betrachten, verstummte sie sofort.
Besonders nachdem ich feststellen musste, dass das Restaurant schon zu dieser frühen Mittagsstunde bis auf wenige Plätze besetzt war. Im Nachgang erfuhr ich dann, dass vor allem an den Wochenenden so viele Gäste kommen, dass man unbedingt vorbestellen sollte.
Uwe Baumgart, der heutige Restaurantbetreiber, ist eigentlich gelernter Werkzeugmacher, der nach seiner wendebedingten Kündigung eine Videothek eröffnete. Die lief wie geschmiert – bis die Digitalisierung kam.
Also räumte er seine Regale und verfrachtete Hunderte von Filmen in Gelbe Säcke; hielt jedoch inne, als ihm „Brust oder Keule“in die Hände fiel. Während er sich über die Kapriolen von Louis de Funès amüsierte, reifte in ihm der Plan, sich im Kochen zu üben. Und irgendwann schmiedete er den waghalsigen Plan, in Bad Lobenstein ein Speiselokal zu eröffnen.
Ein Urlaub auf Rügen und der Besuch eines Fischrestaurants dort gaben dann den Ausschlag, mitten im Rostbratwurstland Fischspezialitäten zu servieren.
Seitdem grillt, dünstet und brät er gegen den Trend solche geschmacklich und preislich durchaus als aufsehenerregenden Delikatessen wie Steinbeißer, Talapia-buntbarsch, Victoriaseebarsch, Rotbarsch, Heilbutt, Seelachs, Pangasius, Seehecht, Wels, Zander und zum Zeitpunkt unseres Besuches vor allem Skrei – einen jungfräulichen Kabeljau, der von Januar bis März Saison hat.
Die Gerichte aus dem inzwischen zum Kultfisch arrivierten Mitglied aus der Familie der Dorsche haben wir natürlich besonders unter die Lupe genommen. Zuvor jedoch bestellten wir einige Hors D’oeuvre aus der Vorspeisenkarte: Riesengarnelen mit Knoblauch, Kirschtomaten und Lauchzwiebeln für unschlagbare 9,90 Euro, Tomaten-bruschetta (5,90 Euro) und ein den Geschmack seiner ostdeutschen Gäste hofierendes Baguette „au four“(5,90 Euro), das im Rügener Fischhaus mit Gouda überbacken serviert wird, der einmal nicht an einen alten Fahrradschlauch erinnert. Ein „Mecklenburger Teufelsbrot“mit scharfem Chili-paprika-gemüse und gegrillten Fischwürfeln für 8,90 Euro begeisterte uns schließlich fast so sehr, wie die pikante „Rügener Fischsuppe“, in die wir uns förmlich verliebten, denn sie bewies in ihrer Klarheit, dass der Koch ohne Netz und doppelten Boden – sprich aus frischen Zutaten und ohne den Einsatz chemischer Geschmacks- und Konservierungsstoffe – sein Handwerk verrichtet.
Wobei unter frischen Zutaten hauptsächlich frischer Fisch zu verstehen ist, den der Wirt mehrmals in der Woche entweder aus Chemnitz oder Hof selbst holt. „Ich will sehen, riechen und fühlen, was ich meinen Gästen auftische.“
So, wie jetzt den anfangs erwähnten Skrei, den er vorwiegend auf der Haut gebraten anbietet, nachdem er ihn relativ scharf angebraten in einer mit 90 Grad Celsius vorgeheizten Röhre nachgegart hat.
„So absolut glasig mögen‘s die meisten Gäste nicht. Die sind konservativ.“Ich genoss den Skrei klassisch ohne viel Firlefanz mit zerlassener Butter und bestellte mir dazu einen Specksalat (13,90 Euro), dessen Machart mir endgültig bestätigte, dass in der Küche solide Handarbeit verrichtet wird. Ein anderer Tester entschied sich für im Weißweinsud gedünsteten Skrei mit Dillrahmsauce und Petersilienkartoffeln (16,90 Euro). Dazu ein schlichter Gurkensalat mit einfachem Süß-sauer-dressing. Ein Genuss, der auch dadurch so harmonisch ausfällt, weil der junge Koch seine Gewürzmischungen selbst herstellt.
Nur unsere Vorlaute hatte ein wenig Pech: Gemäß dem Motto „Kleine Sünden bestraft der liebe Gott sofort“, hatte sie den Skrei im Ofen gebacken (17,90 Euro) bestellt. Der Fisch Weltklasse gegart; das dazu gereichte Broccoligemüse ertrank jedoch in einer Flut von Fertig-hollandaise, von der ich wünschte, sie würde zukünftig die Küche umschippern. Warum nicht Mandelbutter oder eine einfache Béchamelsauce?
Immerhin kostet dieser Rückfall in die Barbarei der Convenience-kultur den fünften Stern unser Speisen-bewertung.
Übrigens steht auch die heimische Forelle, die er immer, wenn dies möglich ist, nebenan bei den Lobensteiner Stadtteichen einkauft, auf der Speisekarte. „Doch die würde mich nicht ernähren, weil sie zu wenig geordert wird“, erklärt er.
Erfreut stellten wir fest, dass aus dem akribischen Werkzeugmacher und umtriebigen Videothekbetreiber Uwe Baumgart inzwischen ein ausgezeichneter Fischkoch geworden ist. Einer, der nie aufgibt und dem die Gabe in die Wiege gelegt wurde, ohne künstliche Aromen aus Meeresgetier schnörkellose und authentische Mahlzeiten zuzubereiten, die einfach nur für Gaumenfreude sorgen.
Wer keinen Fisch mag, hat überdies die Wahl in einer bemerkenswerten Schnitzelkarte. Aber testen Sie selbst. Guten Appetit wünscht
Ihr Matthias Kaiser
P. S. Niemand bestellte während unserer Anwesenheit Champagner. Alle tranken Störtebeker-bier, Küstennebel oder Rostocker Kümmel.