Lenchens Rolle neu gedeutet
Die Beinert-schwestern setzen auf weibliche Hauptfiguren, die bisher im Schatten der Geschichte standen
Erfurt. Wer Karl Marx nicht leiden kann, dem kommt die Geschichte mit Lenchen Demuth gerade recht: Noch heute echauffiert sich mancher darüber, dass Marx mit der Dienstmagd ein Kind zeugte. Die einen sagen: Der hat sich wie ein wohlfeiler Kapitalist genommen, was ihm zu gehören schien – und dazu zählte auch das Personal. Die anderen schweigen lieber über diese Geschichte, als ginge es um eine kleine Verfehlung des großen Marx. Ganz anders die Romanautorinnen Claudia und Nadja Beinert, die so eng mit Erfurt verbunden sind. Sie widmen der „heimlichen Liebe“ihr neuestes Buch mit dem Titel „Revolution im Herzen“. Lenchen Demuth ist hier nicht das Opfer von Notzucht, sondern eine starke Frau an der Seite von Karl Marx, wobei Jenny Marx durchaus zunächst schäumt wegen dieses „Bastards von Karl“. Dann aber wird das Kind weggegeben und die Beteiligten raufen sich wieder zusammen. Das klingt abenteuerlich in Zeiten, in denen die Machtverhältnisse von Mann und Frau ganz genau betrachtet werden. Aber: Ganz aus der Luft gegriffen ist diese Sicht nicht.
Zum Lutherjahr hatten die beiden Autorinnen „Die Mutter des Satans“in den Blick genommen. Nun wenden sie sich wiederum „einem großen bekannten Deutschen zu, beleuchten ihn neu – und zwar durch die Augen einer ihm nahe stehenden Frau, die den Leserinnen und Lesern noch nicht so bekannt ist und die wir vom Dunkeln ins Licht holen“, wie sie sagen. Von der Dienstmagd zur Gefährtin: Das ist der Kern jener leicht lesbaren und unterhaltsamen Geschichte, die die Beinert-schwestern – Fachfrauen für historische Romane – auf fast 500 Seiten (Nachwort, Glossar und bibliografische Hinweise eingeschlossen) entwickeln.
Dieser Marx ist ein Flegel: frühreif und frech
Jenny, Lenchen und Karl begegnen sich – im Roman – bereits in jungen Jahren. Und dieser Marx ist ein Flegel: frühreif und frech. Lenchen dagegen kommt aus ärmlichsten Verhältnissen. Sie ist lieb, schüchtern und schusselig. Sie flieht aus der Enge und Not ihres Elternhauses und will in der Stadt ihr Glück als Hausangestellte machen.
Und eben hier zeigt sich – wieder einmal – die große Stärke der Beinert-schwestern: Sie recherchieren für ihre Romane sehr genau all das, was einst das Leben ausmachte – ob es nun der Bergbau zu Luthers Zeiten war oder jetzt in diesem Fall die Bedingungen sind, unter denen die Dienstmägde schuften.
Zunächst ist Lenchen Demuth bei Jennys Eltern, der Familie von Westphalen, angestellt, später wird sie Jenny an die Seite gestellt – und ihre Position von der stummen Dienerin hin zur Hausgenossin nimmt ihren Lauf. Immerhin fast 40 Jahre hält diese bisweilen pikante, offenbar aber auch von großer Wertschätzung getragene Verbindung. „Sie wird sehr schnell unersetzlich“, sagt Nadja Beinert und spricht davon, dass Lenchen den Marx‘schen Kindern „liebevolle Zweitmutter und eine notwendige Stütze für das herausfordernde Leben der Marx-familie wird“– und das über alle Höhen und Tiefen auch finanzieller Art hinweg.
Einen „unverzichtbaren Familienbestandteil“nennen die Beinertschwestern diese Frau – und schreiben Lenchen Demuth die Rolle „der mithin engsten Vertrauten des großen deutschen Philosophen“zu. Es ist der Vorzug der Romanschreiberinnen, dass sie Fakten und Fiktion so kombinieren dürfen, dass eine historische Geschichte entsteht, die nicht der landläufigen Sicht auf solche Dreiecksbeziehungen entspricht. Zugleich gibt es – und das stützt die Sicht der Beinert-schwestern – eine Überlieferung von Friedrich Engels, der in seiner Grabrede auf Lenchen erwähnt haben soll, wie wichtig die Rolle diese Frau über die Arbeit von Marx und Engels war. Und damit war weder auf den Bettschatz noch auf die Putzhilfe angespielt worden, wie sie betonen. Auch auf andere Zitate von Zeitgenossen stießen die Beinert-schwestern. „Darüber sind wir dieser Frau, über die sonst so wenig bekannt war, näher gekommen“, sagen sie.
Während Nadja Beinert sich sehr genau mit den Lebensumständen im 19. Jahrhundert befasste, so auch mit der Frage der Dienstmägde-ordnung und der revolutionären Veränderung bei der Beleuchtung von der Kerze