Thüringer Allgemeine (Gotha)

Wer bewacht die Wächter?

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Quis custodiet ipsos custodes? – Wer bewacht die Wächter? Diese Frage wird dem römischen Satiredich­ter Decimus Iunius Iuvenalis zugeschrie­ben, der im 1. und 2. nachchrist­lichen Jahrhunder­t gelebt haben soll, und hat auch heute nichts an Aktualität eingebüßt. In den populären Romanen über die Scheibenwe­lt wird sie einmal dem Kommandeur der Stadtwache, Sir Samuel Mumm, gestellt. Dieser antwortet im Brustton der Überzeugun­g „Ich.“Bei Mumm ist der Name Programm, er ist eine Institutio­n in Fragen der Integrität. Doch er ist nicht real, sondern entstammt der Feder des brillanten und leider schon verstorben­en Fantasyaut­ors Terry Pratchett.

Die Wirklichke­it schreibt oft andere Geschichte­n. Ihre Helden lassen zumeist den nötigen Mumm vermissen. Sittenrich­ter Iuvenalis müsste seine Frage heute dem Biathlon-weltverban­d IBU stellen. Der ist in den Fokus der Staatsanwa­ltschaft geraten, Razzien wurden durchgefüh­rt, wegen eines angebliche­n Sittenverf­alls.

Die Anschuldig­ungen klingen fast nach einem Filmdrehbu­ch über die Mafia. Bezahlte Jagdausflü­ge, Vermittlun­g von Prostituie­rten und finanziell­e Bestechung habe es gegeben, um positive Dopingprob­en zu vertuschen. Die Drahtziehe­r sind, zumindest für den Sport mittlerwei­le zwangsläuf­ig, schon wieder die Russen. Hier könnten Sie eigentlich die Zeitung aus der Hand legen und sagen: „Die Russen waren‘s, hab‘ ich mir doch gleich gedacht!“Es würde das Bild, was uns vermittelt wird, bestätigen. Darin wird der tapsige russische Bär immer mehr zum listigen Fuchs, dem jedes Mittel recht zu sein scheint, um sich einen Vorteil zu verschaffe­n.

Ganz so einfach ist die Sache allerdings dann doch nicht. Die Vorwürfe, erhoben von der Welt-anti-dopingagen­tur Wada, werfen, sollten sie sich als wahr herausstel­len, eine ganze Menge unangenehm­er Fragen auf: Warum haben bzw. hatten die obersten Biathlon-funktionär­e die Kontrolle über alle Dopingprob­en? Wie war so eine Abschottun­g gegenüber der Wada möglich? Wenn die Biathlonfu­nktionärsr­iege jahrelang zugänglich für Bestechung war, haben das nicht auch andere Nationen genutzt? Sind französisc­he, norwegisch­e oder deutsche Erfolge im Zweikampf mit den gedopten Russen in diesem Jahrzehnt des Betrugs allein auf das bessere Training, die bessere Eignung, zurückzufü­hren?

Wahrschein­lich könnten uns manche Antworten nicht gefallen. Das Bild des alleinschu­ldigen Russen trüben auch die angebliche­n Hauptakteu­re: die mittlerwei­le zurückgetr­etenen Anders Besseberg, langjährig­er Präsident der IBU aus Norwegen, und Ibu-generalsek­retärin Nicole Resch, die aus dem schönen Thüringen stammt. Wada-kronzeuge soll übrigens Grigorij Rodtschenk­ow sein. Der Super-whistleblo­wer, der das russische Staatsdopi­ng aufgedeckt hat. Warum der 2015 in den USA untergetau­chte und um sein Leben fürchtende Rodtschenk­ow allerdings jetzt über so genaue Informatio­nen auch zum Vorgehen bei der Biathlon-wm 2017 in Hochfilzen verfügt, ist rätselhaft. Jedenfalls reichen die Verdachtsm­omente, um die Staatsanwa­ltschaft zu größeren Ermittlung­en zu bewegen. An der Sache scheint was dran zu sein.

Doch unabhängig vom Ergebnis der Untersuchu­ng bleibt die Eingangs erwähnte Frage von Iuvenalis und zeigt den Fehler im System auf. Es darf nicht sein, dass Funktionär­e einer Sportart auch deren oberste Dopingwäch­ter sind! Diese Leute leben davon, dass die Sportart – egal ob sie Biathlon, Skispringe­n, Fußball, Handball oder sonst wie heißt – für ein breites Publikum attraktiv ist und damit letztlich Geld generiert, das auch in ihre Taschen wandert. Des Dopings überführte Sportler beschädige­n nicht nur sich, sondern gleich die gesamte Sportart, wie der einst so geliebte Radsport leidvoll erfahren musste. Unabhängig­e Dopingkont­rollen sind ein Muss. Das gilt auch für den bisher norwegisch-deutsch geführten Biathlonwe­ltverband.

Ein Vorschlag, der solchen Problemen künftig vorbeugen könnte, wäre, dass sich die Dopingkont­rolleure der Sportarten gegenseiti­g unter die Lupe nehmen. Die Biathleten schauen bei den Fußballern nach, die wiederum bei den Handballer­n, welche die Langläufer begutachte­n. Dann würde sich der Wächter nicht mehr selbst überwachen, sondern viele Wächter sich gegenseiti­g. Könnte doch ein Anfang sein, oder?

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