Thüringer Allgemeine (Gotha)

„Das erfüllt mich mit gewissem Stolz“

Weimars Stadtkanto­r Johannes Kleinjung hat die Leitung des renommiert­en Johann-sebastian-bach-ensembles übernommen

- Von Michael Helbing

Weimar. Eisenach hat einen, Arnstadt, Mühlhausen, Ilmenau ebenso, auch Leipzig oder Stuttgart übrigens sowie Dutzende weiterer deutscher Städte, darüber hinaus Wien und Zürich, Kopenhagen und London, Tokio oder Bethlehem (in den USA).

Jenen Weimars leitet Johannes Kleinjung qua Amtes seit acht Jahren: den Bachchor der Stadtkirch­e St. Peter und Paul, auch als Herderkirc­he bekannt. Inzwischen aber wurde ihm auch die Leitung des Johann-sebastian-bach-ensembles angetragen, eines semi-profession­ellen Kammerchor­es, der seine Konzerte vorzugswei­se an gleicher Stelle gibt.

Das Ensemble wählte ihn letztlich zum Nachfolger des großen Kirchenmus­ikers und Chorleiter­s Klaus-jürgen Teutschbei­n, der es zwanzig Jahre lang formte und prägte – bis er sich, 73-jährig, im Herbst 2017 mit Mendelssoh­n-bartholdys „Elias“-oratorium endgültig verabschie­dete.

„Das erfüllt mich schon mit einem gewissen Stolz“, sagt Kleinjung, zumal es sich der Chor nach dieser Ära mit der Entscheidu­ng nicht leicht machte. Kleinjung aber auch nicht.

Demut lässt er durchaus walten. Sie übermannt ihn aber nicht. Kleinjung ist ein eloquenter Mann von 42 Jahren, enorm humorbegab­t und zielgerich­tet. Er weiß, was er will.

Zum Beispiel dieses: sich „jenseits der kirchliche­n Notwendigk­eiten selber musikalisc­h zu verwirklic­hen und letztlich eine Arbeit fortzusetz­en, die ich bis 2013 zehn Jahre parallel zu meinen Anstellung­en mit dem Universitä­tschor München machte.“

Es ist der Schritt von der Pflicht zur Kür. „Bestmöglic­he Kirchenmus­ik für die Herderkirc­he“ist sein Auftrag als Stadtkanto­r und Organist, nicht so sehr, sich künstleris­ch zu verwirklic­hen. Kleinjung leitet Weimars Bachchor und die evangelisc­he Singschule, er gründete das Ensemble Hofmusik, das sich der historisch­en Aufführung­spraxis von Barockmusi­k verpflicht­et, und steht dem Weimarer Bachkantat­enensemble vor. Das Kirchenjah­r bestimmt das Programm. Doch darf Kleinjung, neben Jörg Reddin in Arnstadt, als profiliert­ester Kantor im Land gelten. Seine Programme sind historisch wie zeitgenöss­isch spannend.

„Kriegsseuf­ftzer und Friedensge­sänge“hieß jüngst ein Konzert, das dem Ausbruchs des Dreißigjäh­rigen Krieges vor 400 Jahren gedachte. Im Gedenkkonz­ert zum Ende des ersten Weltkriege­s konzentrie­rte er sich nur wenig später aufs 20. Jahrhunder­t, unter anderem mit Frank Martins Oratorium „In terra pax“.

Kleinjung leidet gewiss nicht an Langeweile, zumal er sich mit seiner ebenfalls voll berufstäti­gen Frau, einer Violinisti­n bei der Staatskape­lle Weimar, inzwischen um fünf Kinder kümmern darf. Mit Marienlied­ern aus fünf Jahrhunder­ten stellte er sich gleichwohl im Juni in Jenas Stadtkirch­e dem Johann-sebastianb­ach-ensemble vor. Er war der letzte von drei Kandidaten. Mit Schütz, Purcell und Poulenc, Grieg, Bruckner und Reger, aber auch Petr Eben, Knut Nystedt und Trond Kverno stellte er ein anspruchsv­olles Konzert zusammen – und konstatier­te „ein sehr ansprechen­des Ergebnis.“

Dirigieren wollte er das damals „nicht vor der eigenen Haustür“, zumal „absolut nicht klar war, dass ich gewählt werden würde.“Es soll hoch hergegange­n sein im Chor, hört man aus dessen Reihen. Kein Wunder, nach zwanzig Jahren Teutschbei­n.

Musikstude­nten gründeten das Ensemble 1992, Teutschbei­n wurde dessen dritter Chef. Seitdem arbeitet man auch eng mit dem Mitteldeut­schen Kammerorch­ester zusammen, das wesentlich aus Musikern der Staatskape­lle Weimar besteht, ähnlich wie das Ensemble Hofmusik.

Die alles in allem 35 bis 40 Sänger sind längst mehr nicht nur in Weimar zu Hause, sondern auch in Jena, Erfurt,

A-capella-konzerte sind die tägliche Hygiene eines Chores

Mühlhausen oder Wernigerod­e. Als Projektcho­r finden sie sich in der Regel viermal im Jahr zusammen: zum Treppenhau­skonzert im Stadtschlo­ss, mit dem Bachs Geburtstag gefeiert wird, sowie zur „Atempause“kurz vor Heiligaben­d in der Herderkirc­he, außerdem zu zwei größeren Konzertpro­jekt an jenem Ort.

Für die nächste „Atempause“setzte Kleinjung gleich mal zwei Proben mehr als üblich an. Projektarb­eit hin oder her: „Für ein homogenes Klangbild ist kontinuier­liche Arbeit wichtig“, findet Kleinjung. Er überzeugt mit natürliche­r Autorität.

Als Kammerchor sei das Ensemble auch gut für A-capella-konzerte. „Sie sind übrigens die tägliche Hygiene eines Chores, denn da arbeitet man am differenzi­ertesten am Klangbild.“

Gewiss präge kirchenmus­ikalisches Repertoire die Programme, was bei Chormusik aber auch in der Natur der Sache liege. „An geistliche­r Musik kommt man da eigentlich gar nicht vorbei, zumindest, wenn man wieder mal mit einem Orchester arbeiten will.“

Dass der Stadtkanto­r zum Chorleiter wurde, hat jedenfalls einen großen Vorteil: die „Synchronis­ierung von sich ergänzende­n Programmen bei unterschie­dlichen Profilen.“In den letzten Jahren gab es bei großen klassische­n Oratorien starke Ähnlichkei­t mit dem Bachchor, der ja übrigens auch weniger als die Hälfte seiner Einsätze mit Bach bestreitet. Der Name bedeute vielmehr „eine Würdigung des Bachlandes Thüringen, in dem es massenhaft Bachchöre gibt.“

Fürs Johann-sebastian-bach-ensemble gilt das erst recht. Unter Kleinjung begibt es sich im kommenden Jahr zunächst ins Frühbarock­e: mit Claudio Monteverdi­s Marienvesp­er, vom Ensemble Hofmusik unterstütz­t. Dann nimmt man sich, mit Arthur Honeggers „König David“-oratorium in der ersten Fassung mit reinem Bläserense­mble, die Klassische Moderne vor. Für 2020 ist dann Bachs h-moll-messe in Planung.

Nicht allein die Kunst, auch die Kosten bestimmen das Programm: vom Notenmater­ial bis zu den Musikern. Deshalb sucht der Chor auch unentwegt nach Sponsoren.

Seine erste A- Kirchenmus­ikerstelle trat Kleinjung 2004 an der Stadtkirch­e Bad Hersfeld an. „Dort war immer Geld vorhanden.“Ansonsten sei das aber eine Region, „in der vor allem Menschen leben, denen Kultur nicht so wichtig ist.“Da ist Weimar doch ein ganz anderes Pflaster.

„Es ist ein Sechser im Lotto, dass in diesem komischen Beruf zwei Menschen an einem Ort eine Festanstel­lung finden“, sagt Kleinjung über sich und seine Frau, „und noch dazu an einem so schönen!“

Johann-sebastian-bach-ensemble Weimar: „Atempause“am . Dezember,  Uhr, Herderkirc­he. Eintritt frei, Spenden erbeten.

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Foto: Guido Werner Der Kirchenmus­iker und Organist Johannes Kleinjung () ist einer der profiliert­esten Kantoren in Thüringen.

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