Halt finden und echte Hilfe
In Thüringen unterstützen Selbsthilfegruppen Menschen mit chronischen Krankheiten. Ehrenamtliche Arbeit lenkt von Beschwerden ab
Saalfeld/seebach. Als Sigrid Weidner vor 22 Jahren die Diagnose Zöliakie erhielt, war sie – so hart sie das traf – in gewisser Weise auch erleichtert. Denn endlich hatte ihr Leiden einen Namen. Ein Jahr lang hatte sich die heute 66-Jährige aus Seebach im Wartburgkreis mit Beschwerden herumgeplagt, ohne dass ihr jemand hätte sagen können, woran genau sie litt.
Niemand fand heraus, weshalb sie permanent einen Blähbauch hatte, nachts bis zu sechs Mal und häufiger wegen schwerer Durchfälle raus musste und körperlich und seelisch abbaute. Letztlich war es das dritte Krankenhaus, in dem sie sich vorstellte, das den richtigen Schluss zog.
Anders als heute aber konnte man damals noch nicht im Internet recherchieren, wie man am besten mit der Krankheit umgeht. Echte Hilfe bekam Sigrid Weidner erst durch eine Zöliakie-selbsthilfegruppe im thüringisch-hessischen Grenzgebiet. Dort auf Menschen zu stoßen, die wussten, wie es ihr ging, das hat sie „sehr aufgebaut“.
Als die damalige Leiterin der Selbsthilfegruppe dann 2001 den Vorsitz aufgab, übernahm Sigrid Weidner deren Part. „Damals waren wir 35 Mitglieder, heute sind es 120.“Unterstützt wird Sigrid Weidner seit neun Jahren vor allem von Heike Schuchardt aus Dankmarshausen, die ebenfalls selbst betroffen ist.
Tipps für den Alltag der Betroffenen
Die beiden bieten nicht nur Erstberatungen für Erkrankte und ihre Angehörigen an. Sie organisieren auch viele Veranstaltungen: Koch- und Backtage mit zöliakiekranken Kindern zum Beispiel, die eben nicht mal schnell eine Pizza essen gehen können, Fahrten zu Herstellern von glutenfreien Lebensmitteln oder zu Selbsthilfegruppen in anderen Bundesländern.
Sigrid Weidner hat 2007 aus gesundheitlichen Gründen ihre Arbeit aufgeben und die Erwerbsunfähigkeitsrente beantragen müssen. Doch längst füllt die Arbeit mit der Selbsthilfegruppe ihren Alltag aus. Auch Heike Reyhl aus Saalfeld leidet an einer unheilbaren Erkrankung und hat in einer Selbsthilfegruppe nicht nur Halt und Unterstützung, sondern auch eine erfüllende neue Aufgabe gefunden. Bei der heute 52-Jährigen wurde im Jahr 2001 Fibromyalgie diagnostiziert. Eine Erkrankung, bei der die Betroffenen unter chronischen Schmerzen in verschiedenen Körperregionen, kolossaler Müdigkeit und Erschöpfung leiden. Eine Erkrankung, die auch zum Weichteilrheuma gezählt wird.
Sie selbst habe über die Krankheit alles gelesen, was sie in die Finger bekam – auch ein Buch der Rheuma-liga, das für sie einer Art Offenbarung glich: „Denn ich fühlte mich endlich verstanden, nachdem ich unmittelbar nach der Diagnose erst einmal in das sprichwörtliche Loch gefallen war.“
2010 wurde Heike Reyhl Mitglied der Rheuma-liga und begann sich in der seit 1991 bestehenden Arbeitsgemeinschaft Rudolstadt zu engagieren: „Ich dachte, dass mir die ehrenamtliche Arbeit gut tun würde. Und so war es dann auch“, sagt die Saalfelderin. Von Anfang an gehörte Heike Reyhl dem Vorstand der AG an, im Februar vergangenen Jahres übernahm sie deren Leitung.
Die Arbeit für die Selbsthilfegruppe, die heute fast 380 Mitglieder zählt, ist für jemanden, der selbst erkrankt ist, durchaus herausfordernd. Doch Heike Reyhl will helfen. Sie und ihre Mitstreiter koordinieren die Arbeit von ehrenamtlichen Betreuern, die sich um Rheumakranke kümmern, sie zu Geburtstagen oder immer dann besuchen, wenn akute Phasen ihnen das Leben schwer machen, die Einkäufe erledigen oder Betroffene zu Ärzten oder Behörden begleiten.
Darüber hinaus gibt die AG Tipps für den Alltag und zur Suche von Rheumatologen und Kliniken und unterbreitet Bewegungsangebote. „Denn Rheuma braucht Bewegung“, sagt Heike Reyhl.
Sie selbst lenkt die ehrenamtliche Arbeit von ihren Beschwerden ab. „Sie stärkt mein Selbstwertgefühl, ich fühle mich akzeptiert“, sagt sie. Es mache sie sehr froh, dass sie anderen helfen könne, besser mit der Krankheit zu leben.
Sie selbst versuche, ihre Krankheitsschübe hinzunehmen. Diese Haltung habe dazu beigetragen, dass sie ihre Krankheit als etwas akzeptieren konnte, das zu ihrem Leben nun einmal dazugehört.
Vor Ort
▶ ▶ ▶ In Thüringen gibt es nach Angaben des Verbandes der Ersatzkassen etwa 650 Selbsthilfegruppen.
Die Krankenkassen unterstützen die Aktivitäten durch immaterielle, infrastrukturelle und finanzielle Hilfen. Patienten erhalten bei Ärzten und Krankenkassen Auskunft zu Selbsthilfegruppen in ihrer Nähe.