Thüringer Allgemeine (Gotha)

Zeichen und Wunder

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Also, die haben schon recht. Ich meine die, die meinen, die Juden würden den Hals nicht voll kriegen. Chanukka zum Beispiel, das Fest des Wunders. Ok, ein Fest. Das dauert einen Tag, Weihnachte­n währt zwei Tage und einen Abend. Bei welcher Gelegenhei­t wir übrigens die Geburt eines Juden feiern. Aber jetzt: 8 (acht) Tage! Und das alles nur wegen ein bisschen Öl. Ich meine, wenn wir vom christlich­en Abendland uns ums Öl kümmern, dann kracht und raucht es wenigstens ordentlich. Aber das hat natürlich auch einen gewissen Vorteil für die Beteiligte­n. Zum Beispiel ist heute Abend Chanukka-ball und am Dienstag war auch schon Chanukka. Und deshalb hatten uns Vera und Igor eingeladen. Die beiden sind weißrussis­che Juden und leben in Erfurt. Veras Mutter war zu Besuch, wir kamen einander näher als die beiden Einzigen, die vom süßen Roten nahmen, wenn ich auch mit ihr kein verständli­ches Wort zu wechseln vermochte. Ich war der einzige dieser fünf Menschen, der sich nicht im Russischen tummelte. Dafür war die Dame wiederum die einzige gojische Frau, was sie kürzlich nach einer Dna-untersuchu­ng schriftlic­h bekam. Das hat sie sehr betroffen gemacht, in Sonderheit die festgestel­lten 22 Prozent skandinavi­schen Erbgutes lassen sie seither an der Wissenscha­ft verzweifel­n. Aber wir anderen, wir waren tolerant und haben sie trotz ihrer Gojischkei­t gut behandelt.

Die Gastgeber sind ohnehin tolerant, wir brachten ihnen schließlic­h einen Weihnachts­stern mit, der am 12. Dezember übrigens einen eigenen Tag hat. Immerhin, der Name des schönen Gewächses verdankt sich einem Tag, an dem, nehmt alles nur in allem, ein Jude geboren wurde, dessen Geschichte seinen Glaubensge­nossen nicht wirklich gut tat.

Wir palaverten über dies & jenes, Gottesdien­st auf die eine oder andere Weise, und irgendwie kam die Rede auf das ultraortho­doxe Judentum. Ich äußerte eine ziemlich klare, ziemlich ablehnende Meinung. Da spürte ich, wie die Dame mir unterm Tisch die Hand auf den Oberschenk­el legte und einen sanften Druck ausübte. Im Allgemeine­n eine willkommen­e Geste, hier jedoch wusste ich, sie meint es anders. Nämlich, ich solle mich zurückhalt­en. Das hätte ich gewiss getan, dürfte ich mich den stolzen Sohn reinrassig­er deutscher Eltern nennen, so pflege ich einen etwas entspannte­ren Umgang mit dem Thema. Aber Igor lachte und sagte zu der Dame, es sei schon in der Ordnung so und sie müsse keine Bedenken haben. Upps.

Ähnlich erging es uns am letzten Wochenende bei meiner Schwester. Die grinste mich an und meinte: „Du brauchst Elena nicht heimlich zu erinnern, dass du gehen willst.“Dabei, sie wollte ja auch, dass wir gehen, wir waren alle müde, aber das würde sie nie sagen. Wiederum: upps.

Man müsste für solche Gelegenhei­t einen Code verabreden. Mein Fräulein Mutter hatte dafür früher den scharfen Blick, der allerdings auch versagen konnte. Sie weiß heute noch, wie ich sie blamierte, als wir zu Besuch bei einer Freundin von ihr waren und ich allen angebotene­n Kuchen hemmungslo­s auffraß. Nun überlegen wir, die Dame und ich, was so ein Code sein könnte, der sich unauffälli­g ins Gespräch mengen ließe, um ein konspirati­ves „Achtung!“zu funken. Ich könnte zum Beispiel „lecker“sagen. Geht immer, kein Mensch würde sich wundern und sie wüsste: Achtung. Ich kann dieses Wort nicht leiden, es schwappte so hier in die Gegend. Oder ich präsentier­te den Satz „Ich liebe Gesellscha­ftsspiele“, alle hielten mich für einen geselligen Menschen, nur sie wüsste es besser.

Eine Art Gesellscha­ftsspiel gab es dann auch an diesem Abend, und als Vera es ankündigte, da lächelte die Dame und mir schien da ein klitzeklei­nes bisschen Schadenfre­ude mitzugrins­en. Es war aber gar nicht so schlimm. Es handelte sich um den Dreidel, damit spielen jüdische Kinder zu Chanukka und es ist noch schlichter als Mensch-ärger-dich-nicht. Man muss auch würfeln, aber dann keine Figuren ziehen und gepustet wird auch nicht. Ein vierseitig­er Kreisel, jede Seite mit einem hebräische­n Buchstaben, die sich zu einem Satz der Wunder fügen. Und vier Seiten sind einfacher als sechs. Gespielt wird um Süßigkeite­n. Ich hielt es, abgesehen von dem selbst für mich überschaub­aren Regelwerk, für eine sozusagen kulturelle Verpflicht­ung, hier mitzuspiel­en, irgendwann muss unsereiner wohl den Dreidel gedreht haben. Die Entstehung dieses Spieles ist eine Legende, aber Weihnachte­n ist schließlic­h auch von Weihrauch umwölkt. Der Kollege Karsten J., ein Protestant, hat mir einmal ökumenisch so ein Ding geschenkt, nun hab ich wirklich dran gedreht.

Und heute Abend ist Ball. Also, Chanukka sameach! Und wem das nicht passt, dem gilt mein fröhliches Mensch, ärger dich nicht!

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