Gotha oder Gotham – Stadt der Helden?
D S Annabella Gmeiner sieht ein bemaltes Ortsschild. Mit einem Mal kreisen ihre Gedanken um Comics und Kapitalismus und Güte
Stellen wir uns kurz vor, Gotha würde erweitert. Wir fügen ein „m“hinzu. Flugs verwandelt sich die Residenzstadt in das düstere „Gotham“der Comicwelt. Vor ein paar Monaten sah ich ein so verziertes (oder verschmiertes) Straßenschild, und es hat mich amüsiert. Natürlich nicht der Vandalismus, sondern das Gedankenspiel, das dahinter steckt.
Gotham ist eine fiktive Stadt, in der sich Helden tummeln, unter anderem Batman. Der „Fledermaus-mann“hat keine übermenschlichen Kräfte. Als Inhaber eines Weltkonzerns schwimmt er im Geld und besitzt obendrein ein Arsenal an Hightech-ausrüstung, mit der er Bösewichte zur Strecke bringt. Sein persönlicher Reichtum hat also eine wichtige Funktion für das Gemeinwohl. Man muss dazu sagen, dass Gotham zutiefst verderbt ist, im Gegenteil zu Gotha! Wobei der „böse Kapitalismus“hier inzwischen auch Fuß gefasst hat. Es ist schon eine Zeit her, da war das in Gotha anders. Die Fassaden waren noch nicht so bunt, die Stadtkassen (vermutlich) leer, die Bürger „hatten ja nüscht“.
Mit der Wende wollten (natürlich, nicht) alle den Westen. Was von dort kam, galt als exotisch, anders. Autos, Kleider, Platten, Bands. Wird etwas jahrzehntelang verwehrt, erlebt man es als besonders reizvoll.
Die deutsche Einheit war natürlich wichtig und richtig. Bereits
Sechs Monate in Gotha
▶ ▶ Jährlich wählt eine Jury aus Bewerbungen eine Autorin oder einen Autoren als Stadtschreiber aus.
In diesem Jahr ist es die Österreicherin Annabella Gmeiner aus Klaus in Vorarlberg. Sie erhielt das mit 5000 Euro dotierte Kurdlaßwitz-stipendium und lebt für sechs Monate in 1963 stellte John F. Kennedy fest: „Die Mauer ist die abscheulichste und stärkste Demonstration für das Versagen des kommunistischen Systems.“ ▶ ▶ der Stadtschreiber-wohnung am Brühl.
In Gotha hat Gmeiner einen Fantasy-roman für Jugendliche geschrieben, der teils in der Stadt spielt.
Diese Kolumne über ihre Eindrücke und Erlebnisse schreibt sie exklusiv für unsere Zeitung. Doch auch der Kapitalismus wirft einen Schatten. Stellen Sie ein Kind in eine Bäckerei und sagen ihm: Du kannst ALLES haben. Was willst du? Das Kind wird mit dem Überangebot Schwierigkeiten haben. Das betrifft auch Erwachsene, die zwischen sieben oder acht Paar Schuhen keine Entscheidung mehr treffen können.
Alle Möglichkeiten zu haben, macht nicht automatisch frei und glücklich. Das ist ein Trugschluss, nicht wahr? Aber was hat das alles mit Gotha(m) zu tun? Ganz einfach: Es lässt mich an Helden von heute denken.
Die Menschheit braucht Helden. Vor allem in einer Zeit, in der der moralische Kompass häufig kaputt scheint.
Sowieso und überhaupt: Die Welt ist nicht schwarz-weiß, nicht teilbar in gut und böse. Sie ist grau, in vielschichtigen Dimensionen. Die Helden von heute laufen inkognito, maskiert als ganz normale Menschen herum, während sie, ein bisschen wie Batman, im Untergrund wirken. Unermüdlich kämpfen sie, nicht gegen etwas, sondern für! Für das Gute und für die Menschlichkeit.
Sie verschenken Liebe, Zeit und Unterstützung. Und das nicht, weil sie was zurückhaben wollen. Unkorrumpiert, sind sie die heimlichen Sieger über den Kapitalismus und zugleich unfassbar reich. Sie haben nämlich erkannt, dass es nicht materieller Reichtum ist, der glücklich macht, sondern die Qualität der Begegnung. Sollten Sie bereits ratlos im Strudel der möglichen Weihnachtsgeschenke taumeln, besinnen Sie sich. Tun Sie was Gutes! Schenken Sie Liebe, schenken Sie Zeit.