Was ist Fentanyl und wie wirkt es?
Gotha. Die Pflaster mit dem Schmerzmittel werden in Stücke geschnitten und gekaut. Oder ausgekocht und mit Ethanol versetzt in die Blutbahn gespritzt. Für Suchtkranke bringt Fentanyl einen Kick mit sich, der stärker sein soll als der von Heroin. Das verschreibungspflichtige Medikament wird illegal gehandelt und konsumiert.
„Etwa ein Drittel der von uns betreuten Suchtkranken konsumiert Fentanyl. Die Dunkelziffer ist aber sicher höher“, sagt Franziska Stunz, Leiterin der Gothaer Beratungsstelle der Suchthilfe in Thüringen (Sit), die derzeit 25 Personen hilft.
Zusammen mit ihren Kollegen unterstützt sie Drogenabhängige, die sich für die Substitution, sprich für eine ambulante Therapie mit einer Ersatzdroge, entschieden haben. Immer wieder griffen die Suchtkranken jedoch auf weitere Mittel zurück, um ihr Verlangen zu stillen, das mit den Ersatzstoffen nicht immer befriedigt werden kann, berichtet Stunz.
Für Heroinabhängige ist das künstliche Opioid Fentanyl ein solches Mittel. „Man fühlt sich wie ein Fötus im Mutterleib, eine wohlige Wärme umgibt einen. Insgesamt lässt sich der Rausch am Anfang als Dämmerzustand ohne Bedürfnisse beschreiben“, erklärt die Sit-mitarbeiterin die Wirkung von Opiaten. Später sei dann der Konsum nur noch ein Kampf gegen die Entzugserscheinungen.
Auch das Schmerzmittel Fentanyl bringe diese Wirkung mit sich, nur dass die Wirkung viel stärker als die anderer Opiate sei. „Die Dosierung ist außerdem sehr schwierig, weil der Wirkstoff aus den Pflastern entnommen wird“, sagt Stunz. Nino Fischer, Suchtmedizinerin in Gotha
Hinzu komme, dass der Beikonsum von Fentanyl während der Substitutions-therapie zum Ausschluss aus der Behandlung führen kann. „Viele geben ihn deshalb nicht an“, erklärt die Suchtberaterin und spricht dabei noch nicht von all jenen Abhängigen, die sich gar nicht erst in eine Therapie begeben.
Doch mit der Beobachtung des Fentanyl-konsums scheint das Team der Sit in Gotha nicht allein. Auch in der Psychosozialen Beratungs- und ambulanten Behandlungsstelle für Suchtgefährdete, Suchtkranke und deren Angehörige (PSBS) in Arnstadt schildern Mitarbeiter ähnliche Erfahrungen. Über den Beikonsum von Fentanyl wurde hier in Beratungsgesprächen informiert, oder Arztberichte wiesen darauf hin. „Dieser Stoff wird sehr selten konkret benannt, häufig sind es die Klienten, die konsumieren, was sie kriegen können‘“, schreibt Ulrike Kaps, Leiterin der PSBS Ilmkreis. Die Suchtkranken hätten die Fentanyl-pflaster aus dem Abfall im Krankenhaus gesammelt und dann ausgekocht, schildert Kaps die Beschaffung.
Thüringenweit gibt es keine genaueren Daten über den illegalen Konsum des Schmerzmittels.
„Wir wissen aber, dass es vereinzelt zu Missbrauch von Fentanyl-pflastern kommt“, sagt Dörte Peter von der Thüringer Landesstelle für Suchtfragen (TLS).
Das Problem sei bundesweit beobachtet worden, im Freistaat wurde es 2017 erstmals öffentlich thematisiert.
Nicht nur Heroinabhängige, auch andere Suchtkranke griffen auf das Schmerzmittel zurück, etwa, um der aufputschenden Wirkung von Crystal Meth etwas entgegenzusetzen. „Der Trend geht in den letzten fünf Jahren zum Mischkonsum“, sagt Dörte Peter. Um sich aufzuputschen, nehmen Abhängige beispielsweise Amphetamine ein; um sich „runterzuholen“, nutzen sie beruhigendere Substanzen wie etwa Cannabis.
Die Polytoxikomanie, wie der Mischkonsum in der Fachsprache heißt, sei besonders gefährlich, da sich das Risiko eines Kontrollverlustes und einer Überdosis für den Konsumenten potenziere.
„Die akute Gefahr bei einer Überdosierung von Fentanyl besteht im Tod durch Atmenstillstand“, sagt die Ärztin Nino Fischer, die seit drei Jahren Patienten in der Substitutions-therapie aus dem Raum Gotha, Erfurt, Eisenach betreut. „Wir stellen immer wieder den Konsum von Fentanyl oder Benzodiazipinen fest“, sagt die Medizinerin. In regelmäßigen Abständen nimmt Fischer Urinproben ihrer Patienten, die im Labor auch auf Wirkstoffe wie Fentanyl getestet werden.
„Unser Ziel ist es, dass die Patienten nur auf das Ersatzmittel zurückgreifen“, sagt die Ärztin weiter. Stellt sie bei einer Person den Beikonsum fest, spricht sie zuerst mit der oder dem Betroffenen und versucht, die Ersatzmittel höher zu dosieren, damit ▶ ▶ ▶ Fentanyl ist ein künstlich hergestelltes Opioid. Der Wirkstoff hat eine stark schmerzstillende Wirkung, indem er im Gehirn die Schmerzwahrnehmung und die Intensität der Schmerzempfindung herabsetzt.
Es wird beschrieben, dass die Wirkung von Fentanyl bis zu 100-mal stärker als die von Morphin sei.
Das Mittel wird bei Narkosen als Schmerzmittel in der Anästhesie eingesetzt.
„Wir stellen immer wieder den Konsum von Fentanyl fest. Die akute Gefahr bei einer Überdosierung besteht im Tod durch Atemstillstand.“
▶ ▶ ▶ ▶ Außerdem kommt es bei der Behandlung schwerster Schmerzen zum Einsatz, zum Beispiel bei Krebs.
Häufig wird Fentanyl in Form von Pflastern verschrieben, die den Wirkstoff über die Haut abgeben.
In der Regel wird ein Pflaster drei Tage lang auf der Haut angewendet. Die individuelle Dosierung richtet sich nach der Beschwerde.
Bei zu hoher Dosierung kann es zu Nebenwirkungen ▶ ▶