Im Jahr der Wahrheit
Wahljahre sind Jahre, in denen alles Mögliche behauptet wird, das einer näheren Betrachtung kaum standhält. Die eigenen Errungenschaften werden noch stärker übertrieben als sonst – genauso wie die Fehlleistungen der anderen.
Dennoch sind Wahljahre auch Jahre der Wahrheit. Denn die Regierenden müssen, um der Abstrafung zu entgehen, noch rasch die Probleme abräumen, die sie bis dahin geleugnet haben. Oft sieht das nicht schön aus, klingt dazu populistisch und kostet viel Geld.
Zum Beispiel die Thüringer Gefängnisse. In ihnen gab es in den vergangenen Jahren ungewöhnlich häufig Ausbrüche, Randale und Suizide, die jedoch der Justizminister geradezu routinemäßig auf das Personal abschob.
Die Klagen, dass die Missstände auch damit zu tun hätten, dass zu wenige Bedienstete für zu wenig Geld arbeiten müssten, wurden größtenteils ignoriert. In den Niederungen des Vollzugs galt der sogenannte Personalabbaupfad, während oben, in der Ministerialverwaltung, nicht gespart wurde.
Doch nun, im Jahr der Wahrheit, beginnt das Ministerium unter Schmerzen einzugestehen, dass etwa 100 Bedienstete in den Gefängnissen fehlen. Parallel dazu versuchen Teile der Koalitionsfraktionen die Stellenpläne aufzubessern, obwohl dafür mehrere Jahre Zeit gewesen wäre.
Wie gesagt, das sieht nicht schön aus, und wirkt darüber hinaus ziemlich unglaubwürdig – so wie zuvor die abrupten Wendemanöver bei der angeblich alternativlosen Gebietsreform oder dem ach so modernen Schulgesetz.
Aber auch das ist Demokratie.