Bei aller sportlichen Härte bleibt Fairness das Gebot
Thüringer Theaterlandschaft ist nicht provinziell. Leser erlebten die Weimarer Tosca-Premiere als Höhepunkt
Zu „Sex & Crime im Kirchenstaat“vom 11. März:
Ich liebe gute Verrisse. Wenn ein Kritiker ein Kunstwerk kenntnisreich demontiert, kann das reinen Lesegenuss bedeuten. Voraussetzung ist, dass der Kritiker die Gründe für seinen Furor oder seine Aversion offenlegt. Ich will nachvollziehen können, warum er eine Autorin oder einen Regisseur geräuschvoll in die Pfanne haut.
Bei aller sportlichen Härte bleibt Fairness das Gebot.
Leider ist es damit bei der Tosca-Rezension nicht weit her. Dass der Autor partout keinen Spaß haben will und die große Begeisterung des Premierenpublikums nicht teilt, ist sein gutes Recht. Aber dass er einer 11 Jahre alten Inszenierung nachtrauert, statt wenigstens den Versuch zu unternehmen, sich auf diesen neuen hauseigenen Wurf des Intendanten Hasko Weber einzulassen, ist schwer verständlich. Da werden sauertöpfisch Petitessen moniert („anachronistische Mätzchen“, „unnötige Fehler in manchem Detail“, „überdehnte Tempi“), um nichts weiter als Bescheidwissertum zu demonstrieren.
Was gäbe es nicht alles zu sagen, das motivieren könnte, diese Inszenierung zu besuchen? Dass die Regie diesem über 100 Jahre alten Werk frisches Leben einhaucht. Dass die Geschichte ungeahnte Spannung offenbart und die MeToo-Debatte unterhaltsam und ohne moralischen Dampfhammer kommentiert. Dass die Kostüme toll sind und stilvoll und die Musik wundervoll und selbst was für Banausen wie mich.
Aber der Kritiker hat offenbar im Sinn, den Intendanten des DNT schlicht runterzuschreiben. Das ist so durchsichtig wie ärgerlich. Dem Theatermacher Provinzialität vorzuwerfen, ist einfach. Zumal, wenn der Stücke in einer Stadt inszeniert, die nicht mal 70.000 Einwohner hat, die sich in einem Bundesland befindet, das deutlich weniger Einwohner hat als Berlin.
Wer im Glashaus der Provinz hockt, sollte nicht mit pseudourbanen Steinen werfen.
Jochen Voit, Erfurt überragendes, zum Nachdenken und Diskutieren anregendes Bühnenbild.
Erlauben Sie mir einen Perspektivwechsel, um die Kritik besser erfahrbar zu machen: Ich bin Lehrer (tatsächlich) und möchte einem Schüler ein Feedback über die Leistungen des letzten Halbjahres geben. Insgesamt ist er sehr kreativ, setzt sich mit dem Lernstoff kritisch auseinander, er ist sozial engagiert und bezieht Schwächere ein, unterstützt sie. Er ist überaus fleißig, kann neu erworbenes Wissen anwenden, übertragen, analysieren, abstrahieren. So wie jedem Menschen widerfahren ihm Fehler. Kurz: Alle Leistungen könnten mit „hervorragend“bewertet werden. Dennoch kann ich diese durchweg positive Einschätzung nicht transportieren. Mir gelingt es nicht, die Stärken hervorzustellen. Stattdessen verwende ich geschätzte 7/8 meiner Zeit darauf, auszudrücken, welche Schwächen aufgefallen sind. Zum Ende des „Gesprächs“gibt es dann, weil ich ja doch durch und durch Pädagoge bin, doch noch ein paar warme Worte.
Upps – habe ich den Beruf verfehlt? Zurück zur Realität.
Mir ist vollkommen klar, dass der Kulturbetrieb ein hartes Geschäft ist. Noch viel härter scheint es jedoch zu sein, darüber schreiben zu müssen. Jede und Jeder muss sich behaupten. Je auffälliger, desto besser! Aufmerksamkeit um jeden Preis! Lobhudelei verkauft sich vermutlich weniger gut als Bad Talking. Doch das auf Kosten der Künstler und des Publikums?
Und nun der Showdown. Das DNT und all die Besucher, die begeistert nach Hause gingen, „sind unter Weber nun dort angekommen, wo sie sind …“– in der Provinz. Danke dafür, dass Herr Hirsch uns auch noch zum Schluss einschenkt, dass wir, als lautstarker Teil des Publikums, auch Teil der Provinz sind! Mittelklasse, bildungsfern, borniert, fernab des Besitzes einer Interpretationsfähigkeit.
Diese Kritik ist eine Diskreditierung der Thüringer Theaterlandschaft.
Thomas Mülverstedt, Mühlhausen und hinter der Bühne und im Orchestergraben, die alle gemeinsam mit großem Geschick und hoher Meisterschaft dem Publikum eine hervorragende Vorstellung präsentierten.
Keine Kunstgattung ist so international im DNT wie die Oper. Hier singen nicht nur Menschen aus aller Welt, sondern auch die Werke selbst präsentieren Themen aus den verschiedensten Teilen der Erde.
Puccinis Oper „Tosca“ist wohl der spannendste Krimi der Opernliteratur und musikalisch eines der mitreißenden Werke. Nur in wenigen Opern sind politische Willkür und persönliche Leidenschaften von Liebe, Ehre, Verrat, Macht und Eifersucht so eng miteinander verwoben und liegen so grausam offen wie hier und sind aktueller denn je.
Das DNT ist ein oft emotional diskutiertes Thema in der Politik, in der Stadt, im Land, bei den Bürgern und in den Massenmedien, wegen seines Erhalts und seiner künstlerischen Qualität. Es ist ein wichtiger Ort der städtischen und deutschen Identität, ein wichtiger sozialer Treffpunkt zwischen Bühne und Publikum.
Zum Welttheatertag am 27. März erinnern wir an Schillers Worte: Die Schaubühne als eine moralische Anstalt zu betrachten!
Heidrun & Stanislav
Sedlacik, Weimar Scannen Sie einfach den Code ein und sehen Sie mehr Bilder. Sollten Sie keine passende App haben, versuchen Sie es mit QR Droid (Android) oder QR Code Scanner (iPhone).
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