Steinmeier: Ländliche Regionen dürfen nicht geräumt werden
Der Bundespräsident stellt sich in Thüringen gegen Forderungen, vor allem größere Städte finanziell zu fördern
Erfurt/Greußen. Im Streit um die Förderpolitik in Ostdeutschland hat sich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier dafür ausgesprochen, die ländlichen Regionen zu stärken. „Gerade in einem Land wie Thüringen, in dem zwei Drittel der Menschen im ländlichen Raum wohnen, kann es keine Entscheidung sein, den ländlichen Raum nicht mehr zu fördern“, sagte er am Dienstag auf Nachfrage der Thüringer Allgemeinen. Wenn das Land vernachlässigt werde, sinke die Lebensqualität und fehlten Perspektiven. Darüber hinaus würde die Unterhaltung der Infrastruktur für immer weniger Menschen noch teurer.
Steinmeier reagierte damit auf das jüngste Gutachten des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH). Darin hatten die Volkswirtschaftler empfohlen, die ostdeutschen Städte stärker zu fördern, um Anschluss an das westdeutsche Niveau zu erhalten. Staatliches Fördergeld solle künftig vor allem in Ballungszentren fließen. „Das Bestehen auf gleichwertige Lebensverhältnisse in Deutschland hat in die Irre geführt“, sagte IWH-Chef Reint Gropp.
Diese Aussagen hatten für Empörung in der ostdeutschen Politik gesorgt. Thüringens Regierungschef Bodo Ramelow (Linke) warnte davor, auf dem Land „Wüstungen“entstehen zu lassen. Allein in Thüringen gebe es 62 Unternehmen auf dem Land, die international mit an der Spitze stünden.
Auch Steinmeier distanzierte sich von Gropps Schlussfolgerungen. Zwar sei es sinnvoll, über die Effizienz staatlicher Förderung nachzudenken, sagte er. Aber ländliche Regionen dürften nicht geräumt werden. „Die Menschen brauchen Heimat und Lebensperspektiven“, so Steinmeier.
Der Bundespräsident äußerte sich am Rande einer Besuchstour durch Nordthüringen. Neben einem SchachtbauUnternehmen in Nordhausen besuchte er eine Gemeinschaftsschule in Greußen (Kyffhäuserkreis) und das Erlebnisbergwerk in Sondershausen. Zudem debattierte er mit Jugendlichen und ehrenamtlich engagierten Bürgern. Auf TA-Nachfrage, ob der Bund nach dem Auflaufen des Solidarpaktes II in diesem Jahr stärker ländliche Regionen fördern müsse, sagte Steinmeier, dass ja zuletzt wieder der Anspruch diskutiert werde, gleichwertige Lebensverhältnisse in Deutschland herzustellen. „Das kann nicht Gleichheit der Lebensverhältnisse heißen, aber erinnert an die Verantwortung der Politik, das Leben auch abseits der großen Städte und Ballungsräume lebenswert zu erhalten.“
Auch die Union im Bundestag distanzierte sich am Dienstag deutlich von der IWH-Studie. Anders als von den Wissenschaftlern behauptet, hätten ländliche Räume in Deutschland ein hohes Entwicklungspotenzial, erklärte der CDU-Abgeordnete Christian Haase für die kommunale Arbeitsgruppe seiner Fraktion. „Ländliche Räume sind kein bewohntes Freilichtmuseum und mehr als nur Naherholungsgebiete für Stadtbewohner“, sagte Haase. Sie seien die Heimat für die Mehrheit der in Deutschland lebenden Menschen. Stadt und Land dürften nicht gegeneinander ausgespielt werden.