Steinmeier auf dem Lande
Wie der Bundespräsident durchs nördliche Thüringen zog, um dem Strukturwandel zu begegnen
Greußen. Gerade ist noch ein Vater an der Schule vorgefahren, aufgeregt und ziemlich besorgt. Ob denn etwas passiert sei, fragt er, oder warum sonst stünde bitteschön überall so viel Polizei herum?
Der Mann kann rasch beruhigt werden. Die bewaffneten Beamten, der Spürhund, die Einsatzwagen: Sie alle sind nur wegen Frank-Walter Steinmeier da, dem Bundespräsidenten, der an diesem Dienstag das nördliche Thüringen durchstreift.
Kurz nach elf Uhr parkt die Karawane vor der Gemeinschaftsschule „Friedrich von Hardenberg“in Greußen. Sie besteht aus einem halben Dutzend schwarzer Limousinen, mehreren Polizeimotorrädern und -autos und, man weiß ja nie, einem Krankenwagen.
Alles läuft am Dienstagmittag so, wie es nun mal bei derlei Besuchen läuft. Schulkinder singen, so fern der Thüringer Wald recht auch sein mag, das „Rennsteiglied“, während der Präsident mitklatscht. Schulkinder spielen in der Turnhalle Ball, bis sich der Präsident in die Mitte der Spielfläche zu ihnen hockt und nach dem Stundenplan fragt. Schulkinder stehen auf dem Schulhof und filmen sich gegenseitig mit ihren Handys, wie sie dem Präsidenten die Hand schütteln.
Überhaupt wirkt das Arrangement überaus schick, modern und vorzeigbar. Das Schulgebäude wurde erst vor einem Jahr generalüberholt. Zudem ist die Gemeinschaftsschule, in der Grund-, Regel- und Gymnasialschüler gemeinsam lernen, das von der rot-rot-grünen Landesregierung bevorzugte Bildungsmodell, auch wenn es davon in Thüringen erst knapp 70 gibt.
Doch in das vorgefertigte, zwischen Bundespräsidialamt und Staatskanzlei sorgsam abgestimmte Programm mogelt sich immer mal die Lebenswirklichkeit. So sitzt der Präsident mit Ministerpräsident, Landrätin, Bürgermeister sowie den Vertretern von Eltern, Schülern und Lehrern in der lichtdurchfluteten Bibliothek zusammen. Dort gibt es Kaffee, belegte Brötchen vom örtlichen Fleischer – und ein paar Probleme.
Nachdem der Schulleiter vorsichtig sagt, dass es für einen Pädagogen eher schwierig sei, Klassen mit bis zu 27 Schülern zu bewältigen, formuliert es die Elternsprecherin direkt: „Wir haben einen Mangel an Lehrern!“Und schon ist man mittendrin in einer kleinen Debatte über Unterrichtsausfall und die besondere Schwierigkeit, Pädagogen aufs Land zu locken.
Aber so soll es ja auch sein auf dieser präsidentiellen Deutschlandreise, in der es, wie es offiziell heißt, um die „Zukunft ländlicher Räume“geht – in Zeiten von demografischem Wandel, Transformationsprozessen und wie die ganzen soziologischen Begrifflichkeiten lauten. Und da Thüringen – die wenigen größeren Städte ausgenommen – ein einziger ländlicher Raum ist, wird es natürlich auch besucht.
Schon im vergangenen Jahr war Steinmeier durch den Bayerischen Wald, die Oberlausitz oder die Südwestpfalz gereist. Dabei geht es um die Frage, die er schon in seiner Antrittsrede vor zwei Jahren stellte: „Wie erhalten wir Hoffnung dort, wo im Dorf Schule, Arzt, Friseur, Tankstelle längst geschlossen sind und jetzt auch noch die letzte Busverbindung gekappt wird?“
Nun, soweit ist es in Nordthüringen zwar noch nicht. Aber mit Ausnahme des Eichsfelds gilt die Region als strukturschwach und verliert Einwohner. Hier will Steinmeier Zuversicht spenden. „Wir sind nicht gekommen, um zu bedauern“, sagt er. „Wir sind gekommen, um mit denjenigen zu reden, die sich den Herausforderungen des Strukturwandels stellen.“
Am Vormittag war Steinmeier deshalb in der Schachtbau GmbH in Nordhausen, die das Ende des Bergbaus im Land überlebt hat und mit mehr als 800 Mitarbeitern international tätig ist. Nun ist er in der Gemeinschaftsschule in Greußen, die nicht nur sehr schön und neu aussieht, sondern die auch garantiert, dass die Jugendlichen in der Kleinstadt im südlichen Kyffhäuserkreis ihr Abitur machen können. Weil dem Gymnasium, das viel zu wenige Schüler hatte, die Schließung drohte, kümmerten sich Bürgerschaft, Lokalpolitik und Landespolitik gemeinsam um die neue Schule.
Steinmeier gibt sich angemessen beeindruckt. Hier, sagt er, hätten sich Eltern, Lehrer und die Stadt in vorbildlicher Weise zusammengetan und gesagt: „Wir können das nicht einfach nur hinnehmen, sondern wir brauchen eine Perspektive.“
Am Ende des Besuchs in Greußen steht der Präsident auf dem Schulhof vor den Fernsehkameras, umgeben von aufgeregt schwatzenden Schülern, und wird grundsätzlich. Es gebe keine abgehängten Regionen, sagt er, sondern es gebe Regionen, die noch auf Ideen warteten.
Nachdem noch einige wenige Bürgerinnen und Bürger aus dem Wohngebiet, die an der Wagenkolonne stehen, persönlich begrüßt sind, geht es weiter nach Sondershausen. Dort besucht er das Erlebnisbergwerk und debattiert mit Jugendlichen. Und er gibt einen Empfang für Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren.
„Man muss Schicksal nicht hinnehmen“, sagt er. „Man kann Zukunft in die Hand nehmen.“