Thüringer Allgemeine (Gotha)

Steinmeier auf dem Lande

Wie der Bundespräs­ident durchs nördliche Thüringen zog, um dem Strukturwa­ndel zu begegnen

- Von Martin Debes

Greußen. Gerade ist noch ein Vater an der Schule vorgefahre­n, aufgeregt und ziemlich besorgt. Ob denn etwas passiert sei, fragt er, oder warum sonst stünde bitteschön überall so viel Polizei herum?

Der Mann kann rasch beruhigt werden. Die bewaffnete­n Beamten, der Spürhund, die Einsatzwag­en: Sie alle sind nur wegen Frank-Walter Steinmeier da, dem Bundespräs­identen, der an diesem Dienstag das nördliche Thüringen durchstrei­ft.

Kurz nach elf Uhr parkt die Karawane vor der Gemeinscha­ftsschule „Friedrich von Hardenberg“in Greußen. Sie besteht aus einem halben Dutzend schwarzer Limousinen, mehreren Polizeimot­orrädern und -autos und, man weiß ja nie, einem Krankenwag­en.

Alles läuft am Dienstagmi­ttag so, wie es nun mal bei derlei Besuchen läuft. Schulkinde­r singen, so fern der Thüringer Wald recht auch sein mag, das „Rennsteigl­ied“, während der Präsident mitklatsch­t. Schulkinde­r spielen in der Turnhalle Ball, bis sich der Präsident in die Mitte der Spielfläch­e zu ihnen hockt und nach dem Stundenpla­n fragt. Schulkinde­r stehen auf dem Schulhof und filmen sich gegenseiti­g mit ihren Handys, wie sie dem Präsidente­n die Hand schütteln.

Überhaupt wirkt das Arrangemen­t überaus schick, modern und vorzeigbar. Das Schulgebäu­de wurde erst vor einem Jahr generalübe­rholt. Zudem ist die Gemeinscha­ftsschule, in der Grund-, Regel- und Gymnasials­chüler gemeinsam lernen, das von der rot-rot-grünen Landesregi­erung bevorzugte Bildungsmo­dell, auch wenn es davon in Thüringen erst knapp 70 gibt.

Doch in das vorgeferti­gte, zwischen Bundespräs­idialamt und Staatskanz­lei sorgsam abgestimmt­e Programm mogelt sich immer mal die Lebenswirk­lichkeit. So sitzt der Präsident mit Ministerpr­äsident, Landrätin, Bürgermeis­ter sowie den Vertretern von Eltern, Schülern und Lehrern in der lichtdurch­fluteten Bibliothek zusammen. Dort gibt es Kaffee, belegte Brötchen vom örtlichen Fleischer – und ein paar Probleme.

Nachdem der Schulleite­r vorsichtig sagt, dass es für einen Pädagogen eher schwierig sei, Klassen mit bis zu 27 Schülern zu bewältigen, formuliert es die Elternspre­cherin direkt: „Wir haben einen Mangel an Lehrern!“Und schon ist man mittendrin in einer kleinen Debatte über Unterricht­sausfall und die besondere Schwierigk­eit, Pädagogen aufs Land zu locken.

Aber so soll es ja auch sein auf dieser präsidenti­ellen Deutschlan­dreise, in der es, wie es offiziell heißt, um die „Zukunft ländlicher Räume“geht – in Zeiten von demografis­chem Wandel, Transforma­tionsproze­ssen und wie die ganzen soziologis­chen Begrifflic­hkeiten lauten. Und da Thüringen – die wenigen größeren Städte ausgenomme­n – ein einziger ländlicher Raum ist, wird es natürlich auch besucht.

Schon im vergangene­n Jahr war Steinmeier durch den Bayerische­n Wald, die Oberlausit­z oder die Südwestpfa­lz gereist. Dabei geht es um die Frage, die er schon in seiner Antrittsre­de vor zwei Jahren stellte: „Wie erhalten wir Hoffnung dort, wo im Dorf Schule, Arzt, Friseur, Tankstelle längst geschlosse­n sind und jetzt auch noch die letzte Busverbind­ung gekappt wird?“

Nun, soweit ist es in Nordthürin­gen zwar noch nicht. Aber mit Ausnahme des Eichsfelds gilt die Region als struktursc­hwach und verliert Einwohner. Hier will Steinmeier Zuversicht spenden. „Wir sind nicht gekommen, um zu bedauern“, sagt er. „Wir sind gekommen, um mit denjenigen zu reden, die sich den Herausford­erungen des Strukturwa­ndels stellen.“

Am Vormittag war Steinmeier deshalb in der Schachtbau GmbH in Nordhausen, die das Ende des Bergbaus im Land überlebt hat und mit mehr als 800 Mitarbeite­rn internatio­nal tätig ist. Nun ist er in der Gemeinscha­ftsschule in Greußen, die nicht nur sehr schön und neu aussieht, sondern die auch garantiert, dass die Jugendlich­en in der Kleinstadt im südlichen Kyffhäuser­kreis ihr Abitur machen können. Weil dem Gymnasium, das viel zu wenige Schüler hatte, die Schließung drohte, kümmerten sich Bürgerscha­ft, Lokalpolit­ik und Landespoli­tik gemeinsam um die neue Schule.

Steinmeier gibt sich angemessen beeindruck­t. Hier, sagt er, hätten sich Eltern, Lehrer und die Stadt in vorbildlic­her Weise zusammenge­tan und gesagt: „Wir können das nicht einfach nur hinnehmen, sondern wir brauchen eine Perspektiv­e.“

Am Ende des Besuchs in Greußen steht der Präsident auf dem Schulhof vor den Fernsehkam­eras, umgeben von aufgeregt schwatzend­en Schülern, und wird grundsätzl­ich. Es gebe keine abgehängte­n Regionen, sagt er, sondern es gebe Regionen, die noch auf Ideen warteten.

Nachdem noch einige wenige Bürgerinne­n und Bürger aus dem Wohngebiet, die an der Wagenkolon­ne stehen, persönlich begrüßt sind, geht es weiter nach Sondershau­sen. Dort besucht er das Erlebnisbe­rgwerk und debattiert mit Jugendlich­en. Und er gibt einen Empfang für Menschen, die sich ehrenamtli­ch engagieren.

„Man muss Schicksal nicht hinnehmen“, sagt er. „Man kann Zukunft in die Hand nehmen.“

 ?? FOTO: MICHAEL REICHEL/DPA ?? Ein Bundespräs­ident zur großen Mittagspau­se: Frank-Walter Steinmeier war gestern dem Schulhof der Gemeinscha­ftsschule „Friedrich von Hardenberg“in Greußen die konkurrenz­lose Hauptattra­ktion.
FOTO: MICHAEL REICHEL/DPA Ein Bundespräs­ident zur großen Mittagspau­se: Frank-Walter Steinmeier war gestern dem Schulhof der Gemeinscha­ftsschule „Friedrich von Hardenberg“in Greußen die konkurrenz­lose Hauptattra­ktion.

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