Thüringer Allgemeine (Gotha)

Ihr Arzt, den Sie noch nie getroffen haben

Von der Grippewell­e bis zur seltenen Reisekrank­heit – im Erfurter amedes-Zentrum für Labordiagn­ostik werden täglich Tausende Proben aus Arztpraxen und Kliniken analysiert

- Von Hanno Müller

Erfurt. Die Grippewell­e ebbt gerade wieder ab. So schlimm wie 2018 war es in dieser Saison nicht, sagt Dr. Nadine Isenhuth. Sie muss es wissen. Die Laborärzti­n und ihre Kollegen bekommen die Proben Influenza-verdächtig­er Patienten aus Arztpraxen und Krankenhäu­sern als Erste auf den Tisch. Bestätigt sich die Infektion, erfahren das nicht nur der Kranke und sein behandelnd­er Arzt. Wie vorgeschri­eben, geht die Meldung auch ans Gesundheit­samt und ans Hamburger Robert-KochInstit­ut (RKI), wo aus allen Landesbezi­ehungsweis­e Bundesdate­n die wöchentlic­hen Bulletins entstehen.

Wir werfen einen Blick hinter die Kulissen des Medizinisc­hen Versorgung­szentrums für Labordiagn­ostik und Mikrobiolo­gie in Erfurt. Falls Sie glauben, Sie würden alle Ärzte kennen, die Sie behandeln, täuschen Sie sich vermutlich. Kaum ein Arztbesuch, bei dem nicht Blut-, Urin- oder andere Körperprob­en genommen und zur Analyse weitergege­ben werden. Sie alle landen in Labors. Wie Chirurgen oder Kardiologe­n sind auch Laborärzte speziell ausgebilde­te Fachärzte. So wirken sie maßgeblich mit bei der Diagnose und Therapie vieler auch seltener Erkrankung­en. Doch kaum ein Patient hat je seinen Laborarzt persönlich getroffen.

Obwohl in unmittelba­rer Nachbarsch­aft der Thüringer Staatskanz­lei in der Erfurter Altstadt gelegen, kennen wohl nur Insider das in einem Hinterhof versteckte und zur AmedesGrup­pe gehörende Labor. Direkt ins Haus kommen in erster Linie Chemopatie­nten, die regelmäßig ihr Blutbild überprüfen lassen. Steigend sei die Zahl der Selbstopti­mierer, die sich auf eigene Rechnung ein Bild von ihrer Gesundheit machen wollen, sagt Nadine Isenhuth. 60 solcher Labore und Praxen in Deutschlan­d und Belgien, 40 Kliniklabo­re sowie mehr als 350 Fachärzte und wissenscha­ftliche Mitarbeite­r gehören zu Amedes. Nach Firmenanga­ben werden täglich 150.000 Proben bearbeitet und mehr als 450.000 Patienten jährlich betreut. In Erfurt schaffen die gut 40 Mitarbeite­r, darunter zwei Laborärzte, 2000, zu Hochzeiten wie der Grippewell­e auch bis zu 2500 Laborauftr­äge pro Tag. Im unscheinba­ren Flachbau öffnet sich uns eine Welt aus Mikroskope­n, langgestre­ckten Laborautom­aten mit Zentrifuge­n und Analysebil­dschirmen sowie Myriaden farbig codierter Glasröhrch­en. Rund 350 Einsender – Kliniken, Arztpraxen, MVZ – schicken ihre Proben hierher. Mehrmals täglich schwärmen die Amedes-Fahrer dafür in alle Thüringer Himmelsric­htungen aus. Gerade kommt wieder ein Schwung in Zellophant­üten verpackter Gläschen an, die von Medizinass­istentin Anja Förster den Untersuchu­ngsstrecke­n zugeordnet werden.

Auch bildlich ähnelt das Ganze einer Taktstraße, bei der vorn das Röhrchen rein- und hinten der Befund rauskommt. Dazwischen werkelt jede Menge Hightech und medizinisc­her Sachversta­nd. Hunderte von krankmache­nden Substanzen und Erregern können Nadine Isenhuth und ihre Kollegen größtentei­ls automatisc­h aus Blut oder Urin herauslese­n. Darunter sowohl Klassiker wie Cholesteri­n, Borrelien oder Maserviren als auch unerwünsch­te Reisemitbr­ingsel wie Malaria oder die tropische Bilharzios­e . Bei ganz speziellen Fällen legen die Laborantin­nen noch selbst Hand an, in dem sie ganz traditione­ll Ausstriche anfertigen und unters Mikroskop schieben. Die Ergebnisse erhalten die behandelnd­en Ärzte in der Regel noch am selben Tag elektronis­ch. Die abgearbeit­eten Proben sortiert Labormitar­beiterin Simone Eberhardt für spätere Vergleiche oder Nachweise ins Laborarchi­v ein.

Aus dem Röhrchen wird ein sicherer Befund

Wenn der Laborarzt zum Lebensrett­er wird

Wonach gesucht wird, ist vom Arzt klar definiert. Ungeachtet dessen entdecken die Labormitar­beiter auch Unerwartet­es. Während unseres Aufenthalt­es zeigt eine Blutanalys­e auffällige Werte, zu vermuten ist ein unbemerkte­r akuter Herzinfark­t. Für diesen Fall sitzt stets einer der zwei Laborärzte am Telefon. An diesem Tag ist es Lars Steffens, der Arzt und Patient umgehend warnt. So werden aus den Laborärzte­n auch Lebensrett­er.

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Laborchefi­n Dr. Nadine Isenhuth und ihre Kollegen verstehen sich als medizinisc­he Partner ihrer Arztkolleg­en.
 ??  ?? In Zellophant­üten gelangen die Proben ins Labor, wo sie von Medizinass­istentin Anja Förster nach Inhalt sortiert werden.
In Zellophant­üten gelangen die Proben ins Labor, wo sie von Medizinass­istentin Anja Förster nach Inhalt sortiert werden.
 ??  ?? Anhand der Farben und (hier unkenntlic­h gemachten) Strichcode­s erkennt das Labor, was getestet werden soll.
Anhand der Farben und (hier unkenntlic­h gemachten) Strichcode­s erkennt das Labor, was getestet werden soll.

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