Der Spielverderber
Der britische Parlamentspräsident John Bercow vermasselt Premierministerin Theresa May mit einer Regel aus dem Jahr 1604 den Brexit-Plan
London/Berlin. Ein bisschen sieht der Mann aus wie ein Zeremonienmeister. Dunkler Talar, grell gemusterte Krawatte, durchdringende Stimme. Und wehe, einer der Abgeordneten tanzt aus der Reihe oder hält sich nicht an die Regeln. „Order!“– „Ordnung!“, ruft der 56Jährige dann auf seinem leicht erhöhten grünen Ledersessel. John Bercow, der Sprecher des britischen Parlaments, ist derzeit einer der berühmtesten Politiker des Landes. Mittlerweile kennt man ihn selbst in Brüssel, Paris oder Berlin. Nun hat Bercow wieder einmal sich selbst übertroffen und ist der Regierung in die Parade gefahren. Völlig überraschend gab der Parlamentspräsident bekannt, dass das Unterhaus nicht noch einmal über den bereits zweimal abgelehnten Austrittsvertrag aus der EU abstimmen könne. Ohne Änderungen an dem Deal verstoße dies gegen eine 415 Jahre alte Regel. Demnach darf dieselbe Vorlage nicht beliebig oft innerhalb einer Legislaturperiode vorgelegt werden.
Damit machte der exzentrische Bercow Premierministerin Theresa May einen Strich durch die Brexit-Pläne. Bis zum heutigen Mittwoch wollte May ihre Kritiker doch noch überzeugen und das Papier erneut zur Abstimmung stellen. Der Plan war, beim EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag im Fall einer Annahme um eine kurze und im Fall einer Ablehnung um eine längere Fristverlängerung zu bitten. Die britische Regierung will es jedoch in der nächsten Woche noch einmal versuchen, wie der Brexit-Minister Stephen Barclay am Dienstag gegenüber der BBC unterstrich.
Sollten sich genügend Abgeordnete finden, die Mays Deal unterstützen, argumentierte Barclay, würden sie „einen Weg Schlagzeile des „Daily Express“
finden“, um Bercows Entscheidung zu umgehen. Der gelernte Politikwissenschaftler wird zu einer immer bedeutenderen Figur im Brexit-Drama. So selbstverliebt der Mann gelegentlich auftritt, er ist der ultimative Schiedsrichter im Parlament. Er erteilt das Wort, legt Redezeiten fest, wählt Änderungsanträge aus und modifiziert auch schon mal das Reglement, wenn er es für nötig hält.
Pikant dabei: Bercow gehört den Torys an, ist also ein Mitglied der Konservativen. Aber er ist alles andere als ein Parteisoldat. Eigentlich wollte der lizenzierte Tennistrainer Profi im Weißen Sport werden, doch eine Erkrankung am Pfeiffer’schen Drüsenfieber machte diesen Berufswunsch zunichte. Nach mehreren Anläufen gewann er 1997 erstmals einen Sitz im Unterhaus. Bercow hat aus seiner Ablehnung des Brexits nie einen Hehl gemacht. Im Referendum im Juni 2016 hatte er für den Verbleib in der Europäischen Union gestimmt. Das macht ihn zur Hassfigur aufseiten der Brexit-Hardliner. Die britische Presse schoss sich am Dienstag schon einmal auf ihn ein. Der „Daily Express“nannte ihn einen „Brexit-Zerstörer“und das Massenblatt „Sun“wurde auf seiner Titelseite geradezu ausfällig mit der Schlagzeile „Scheiß auf Bercow“.
Das dürfte den Sohn eines rumänischstämmigen Taxifahrers jedoch nur noch mehr antreiben. Kontroversen hat der gerade einmal 168 Zentimeter große Sprecher immer genossen. Als Bercow 2009 zum Parlamentssprecher gewählt wurde, gelobte er, die Rechte der Legislative gegenüber der Exekutive zu stärken.
Selbstverliebt und egozentrisch
Doch noch eine dritte Abstimmung?
Zurzeit bearbeiten Unterhändler der Regierung fieberhaft die Vertreter der nordirischen DUP, Mays Koalitionspartner. Sollten diese am Ende doch für den Brexit-Deal stimmen, könnten möglicherweise auch konservative Deal-Gegner umfallen. Wenn genügend Abgeordnete zusammenkommen, gäbe es sogar die Chance, Bercows Entscheidung auszuhebeln: Durch eine einfache Mehrheit ließe sich kurzerhand der Punkt der Geschäftsordnung ändern, dass Regierungsanträge nicht wiederholt in der gleichen Form gestellt werden dürfen.
Damit wäre der Weg frei für eine dritte Abstimmung. Es wäre der Versuch, Bercow verfahrenstechnisch auszutricksen. Aber vielleicht zieht er in diesem Fall eine Vorschrift aus dem Jahr 1602 aus dem Ärmel. Überraschungen sind seine besondere Spezialität.