Fasten – neue Freiheit oder alter Zopf
Welche positiven Effekte der zeitweise Verzicht auf Nahrung haben kann
Der Brauch des Fastens ist sehr alt. Er ist in allen großen Weltreligionen zu finden. Das gemeinsame Grundanliegen besteht ursprünglich darin, „Gott näher zu kommen“und sich intensiver dem Glauben zu widmen. Es geht um Verzicht und um Askese und darum, Buße zu tun. Es geht um „die Reinigung der Seele“.
Fasten wird heute sehr viel großzügiger ausgelegt, als das früher der Fall war. Man kann alles fasten: Fernsehen, Internet, Alkohol, Essen, viele lästige Laster oder auch liebgewonnenen Kleinkram wie Shopping. Verzicht ist per se keine Riesenfreude, doch Fasten liegt im Trend.
Was der heutige Verzicht auf alles Mögliche mit dem ursprünglichen Fasten noch gemein hat, erschließt sich nicht immer auf den ersten Blick.
Die Fastenzeit dauert 40 Tage, beginnt am Aschermittwoch und endet am Karfreitag. Zieht man die sechs Sonntage ab, an denen nicht gefastet wird, kommt man auf 40 Fastentage und Nächte. Die heilige Zahl 40 hat bei den Christen und Juden eine hohe Symbolkraft. Das Wasser der Sintflut stieg 40 Tage und Nächte auf 40 Ellen hoch, das Volk Israel wanderte 40 Tage durch die Wüste und der Prophet Mose fastete 40 Tage in der Wüste. Alles, um Läuterung zu erfahren. 40 Tage sind aus theologischer Sicht angemessen, um Buße zu tun, sich zu besinnen und wenn nötig, eine Neuorientierung herbeizuführen. Die Zahl 4 symbolisiert die vier Himmelsrichtungen sowie die Elemente Feuer, Erde, Wasser und Luft, die Lebensphasen Kindheit, Jugend, Erwachsensein und Alter. In der Zahl 10 findet alles seine Vollendung als Ganzes. Der Naturphilosoph und Mathematiker, Johannes Keppler, drückte es so aus: „Gott hat bei der Schöpfung Geometrie betrieben.“Auch Goethe, Keller, Kafka und andere Autoren greifen diese Zahlenmystik in ihren Werken auf.
Frühlingszeit ist Fastenzeit. Manche fasten überhaupt nicht.
Ich habe in der Vergangenheit mehrfach gefastet, doch meine Überlegungen waren viel weniger symbolträchtig. Ich wollte einfach nur Gewicht verlieren, um figurtechnisch unbeschwert in den Frühling zu gehen und mit Vergnügen und ohne Speckröllchen die ersten Frühlingssonnenstrahlen begrüßen zu können. Kein Wein, nichts Süßes, kein Essen, gar nichts. Heilfasten ist sehr beliebt, aber durchaus keine lustige Unternehmung. Auf feste Nahrung zu verzichten tut weh, körperlich und seelisch. So hat Jesus nicht gefastet, habe ich gelesen. Er wollte nichts öffentlich zur Schau stellen. Deshalb galt er einigen Widersachern als „Fresser und Säufer“. Menschen mit leerem Magen und griesgrämigem Gesicht mochte er nicht. Er verstand Fasten im Sinne von „Halt machen“und sich besinnen, damit die „Fesseln des Unrechts gelöst werden“, damit „Versklavte“freigelassen werden, den Hungrigen Brot gereicht und den Obdachlosen ein Heim geboten wird.
Fastengründe sind heute unkonventionell, vielfältig und eigenwillig. Die wenigsten sind religiös intendiert. Für mich war Fasten eine ungewohnte, sehr spezielle Erfahrung. Ich habe meine Komfortzone verlassen und bin an meine Grenzen gestoßen, habe mich jeden Tag erneut überwunden und bin über mich hinausgewachsen. Denke ich mit einigem Abstand über das Fasten nach, gibt es eigentlich nur zwei Zustände aller Dinge: Zu viel oder zu wenig. Das Zauberwort lautet: Das richtige Maß! Vielleicht will uns die Fastenzeit auch nur jedes Jahr aufs Neue daran erinnern.