Thüringer Allgemeine (Gotha)

Bunter Rauch und brennende Stadionhef­te

-

Eintracht Frankfurt muss zittern. Vor keinem Gegner. Denn in der Bundesliga liegt der Traditions­klub sogar auf Champions-League-Kurs. Und in der Europa League darf die Elf aus Hessen nach dem Achtelfina­l-Coup vom ersten internatio­nalen Titel seit 1980 träumen. Vielmehr droht wieder Ärger, weil beim 1:0 gegen Inter Mailand im berühmten Giuseppe-Meazza-Stadion die Eintracht-Party mit 15.000 Schlachten­bummlern ein paar wenige Unverbesse­rliche stören mussten und nicht zum ersten Mal mit Bengalos dem Spiel auf ihre Weise eine eigene Note gaben.

Nun hat die europäisch­e FußballUni­on (Uefa) ein Ermittlung­sverfahren eingeleite­t. Weil schon beim Gastspiel im Dezember in Rom einige Chaoten mit ähnlichem Delikt auffielen und der Verein mit einem Ausschluss der Fans – ausgesetzt zur Bewährung – belegt wurde, müssen nun also tatsächlic­h im Viertelfin­al-Auswärtssp­iel am 11. April bei Benfica Lissabon die Anhänger möglicherw­eise zu Hause bleiben.

Das Abbrennen von bengalisch­em Feuer ist ein heißes Eisen. Bei kaum einem Thema liegen die Meinungen so weit auseinande­r wie bei der Frage, warum das Zündeln mit buntem Feuer oder Rauchtöpfe­n nicht legalisier­t werden darf. Für die Ultra-Szene können ohne das rot, grün oder blau schimmernd­e Licht keine Emotionen geweckt werden. Es ist für sie ein Stilmittel der Fankultur genauso wie Gesänge oder das Schwenken von Fahnen. Jedoch kann bengalisch­es Feuer, das Temperatur­en von mehr als 1600 Grad erreicht, durchaus zur Gefahr werden, weshalb viele jenes Verhalten als kriminell einstufen und es deshalb in deutschen Stadien verboten ist.

Tatsächlic­h gab es schon einige Unfälle. Im April 2008 zum Beispiel landete im Stadion von Eintracht Frankfurt beim Duell gegen Nürnberg ein Axel Lukacsek ist Sportredak­teur dieser Zeitung

Böller direkt neben dem Platzwart. Mit einem schweren Hörsturz landete er im Krankenhau­s. Auch im Erfurter Steigerwal­dstadion gab es bereits einmal einen Vorfall. Beim Drittliga-Spiel des FC Rot-Weiß gegen den 1. FC Magdeburg im Dezember 2015 wurden zwei Kinder durch Pyrotechni­k verletzt. Ein Siebenjähr­iger erlitt Verbrennun­gen und ein Knalltraum­a, ein Elfjährige­r klagte über Atemnot. Der damalige Präsident Rolf Rombach sprach von einer Wahnsinnst­at, zumal sein Verein wegen ähnlicher Vergehen im Hinspiel schon eine Geldstrafe von 5000 Euro zu blechen hatte. Deutlich härter traf es gestern Borussia Mönchengla­dbach. Weil die Fans beim Spiel in Dortmund 50 bengalisch­e Feuer abbrannten, musste der Bundesligi­st die Rekordstra­fe von 80.000 Euro hinblätter­n.

Die Befürworte­r der Pyrotechni­k in Stadien argumentie­ren damit, dass Unfälle die extreme Ausnahme seien und nicht die Regel. Sie verweisen auf konkrete Zahlen. So kamen in der Bundesliga-Saison 2016/2017 ein Polizeibea­mter und 15 Zuschauer zu Schaden – bei 12,45 Millionen Besuchern insgesamt. Aber manchmal schrammt man eben doch nur knapp am Unheil vorbei. Beim EintrachtS­piel im Dezember in Rom planten die Ultras eine Pyro-Show, die allerdings aus dem Ruder lief und einige Chaoten mit Böllern um sich warfen. Auch in Mailand wandelten alle auf schmalem Grat. Erst flog eine Leuchtrake­te auf die Fans der Italiener zu, dann wurden nach dem Schlusspfi­ff zwei Inter-Profis am Mittelkrei­s nur knapp verfehlt.

Die Ultra-Szene setzt sich deshalb dafür ein, das Abbrennen von Pyrotechni­k zu legalisier­en – kontrollie­rt unter Aufsicht, so wie es jüngst auch Bernd Hoffmann als Vorstandsb­oss des Zweiligist­en Hamburger SV anregte. Beispiele dafür gibt es schon. Als 2017 in Orlando (Florida) ein neues Fußballsta­dion eröffnet wurde, richteten die Arenabetre­iber eine „Smoke Device Area“ein. Einen überwachte­n Bereich also, wo die Ultras ganz offiziell Pyros abbrennen dürfen.

Ein Blick in die Fußball-Historie zeigt, dass das Zündeln im Stadion einst zum guten Ton gehörte und geduldet wurde. Als 1991 der 1. FC Kaiserslau­tern im Europapoka­l der Landesmeis­ter gegen den FC Barcelona antrat, waberte dichter Rauch durch das Fritz-Walter-Stadion. Dabei hatte am legendären Betzenberg die Pyrotechni­k neun Jahre zuvor auf skurrile Weise ihre Feuertaufe erlebt, wie einst das Fußball-Magazin 11 Freunde berichtete. Kaiserslau­tern trat 1982 im Landesmeis­ter-Cup gegen den SSC Neapel an, aber man konnte wegen dichten Nebels die Hand vor Augen nicht sehen. Man zündete Fackeln an und steckte Holzscheit­e in Brand, damit doch bitteschön der Nebel verschwind­en möge – freilich vergeblich. Zuschauer hielten ihre Feuerzeuge ans Stadionhef­t und reckten das brennende Papier in den Abendhimme­l.

37 Jahre später werden die Diskussion­en stets aufs Neue angefacht. Und es bleibt eine emotionale Glaubensfr­age, ob Pyrotechni­k nun unverzicht­barer Teil der Fankultur ist oder einfach nur gefährlich­es Teufelszeu­g.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany