Schramm: Haltung zu Naziglocken ist absurd
Behörden verzichten auf Ermittlungen gegen Bischöfin. Keine öffentliche Verwendung von Nazisymbolen
() ()
() () Erfurt. Der Vorsitzende der Jüdischen Landesgemeinde in Thüringen, Reinhard Schramm, hat mit Unverständnis auf die Erklärung der Erfurter Staatsanwaltschaft reagiert, wonach es sich bei den Naziglocken in Thüringen nicht um die Nutzung von Nazisymbolen handelt. „Seit Jahrhunderten sollen Glocken die auf ihnen vermerkten Botschaften vernehmbar in alle Welt verkünden. Dass dies ausgerechnet für Hitlerglocken nicht gelten soll, ist absurd“, sagte Schramm gestern.
Zuvor war bekannt geworden, dass im Fall der sechs Naziglocken in fünf Thüringer Kirchen jetzt die Generalstaatsanwaltschaft in Jena über eine Klage gegen Bischöfin Ilse Junkermann und die EKM entscheiden soll. Geklagt hat der Saarländer Gilbert Kallenborn, weil die Hitlerglocken seiner Meinung nach gegen das Verbot des Vorrätighaltens und Nutzens verfassungsfeindlicher Symbole der Nazidiktatur (Paragraf 86, 86 a StGB) verstoßen.
Die Erfurter Staatsanwaltschaft erklärte dazu gegenüber dem MDR, sie werde keine Ermittlungen aufnehmen. Danach billige das Läuten von Kirchenglocken mit Nazisymbolik nicht die nationalsozialistische Gewaltund Willkürherrschaft. Zudem handele es sich nicht um ein öffentliches Verwenden von Nazisymbolen. Gegen die Entscheidung sei bereits Beschwerde eingelegt worden.
Der Streit um die Thüringer Naziglocken war nach dem Holocaust-Gedenktag neu entbrannt. Kritiker werfen EKM und Gemeinden das heimliche Läuten der Hitlerglocken ausgerechnet an einem Tag zu Ehren der Opfer der Naziherrschaft vor. Vor den Erfurter Juristen hatte die Staatskanzlei gegenüber dieser Zeitung erklärt, man sehe keinen Straftatbestand, respektiere aber die Betroffenheit vor allem jüdischer Mitbürger.
Streitpunkt ist zudem, dass die EKM die Standorte der Glocken geheim hält, um – wie es heißt – einen Missbrauch auszuschließen. Laut Reinhard Schramm verzögert dies die Aufarbeitung der Nazizeit. In der Verantwortung sieht er vor allem die betroffenen Gemeinden. „Die Glocken hängen vermutlich da, wo es NS-treue Protestanten gab. Es ist traurig, dass es dort bis heute kein Gefühl für die Schande gibt, die vor allem die evangelischen deutschen Christen auf sich geladen haben“, sagte Schramm gestern.