„Wenn’s läuft, dann läuft’s“
Antidoping-Schwerpunktstaatsanwaltschaft gibt Einblicke zu Ermittlungen gegen Erfurter Sportmediziner Mark Schmidt
München/Erfurt. Gräber ist der Stolz anzusehen. Die Abteilung des Münchner Oberstaatsanwalts hat in nicht ganz sechs Wochen einen konspirativ von Erfurt aus agierenden Dopingring zur Strecke gebracht.
Inzwischen sitzen vier Beschuldigte in Deutschland in Untersuchungshaft und eine 48jährige Erfurterin noch in Auslieferungshaft in Österreich. Die Ermittlungen betreffen bereits 21 Athleten aus acht Nationen. Und das ist noch immer nicht das Ende des Verfahrens. Denn die nun ins Visier genommenen Sportler wissen noch nichts davon. Auch deshalb lässt der Oberstaatsanwalt vorerst offen, ob auch deutsche Athleten mittels Blutdoping betrogen haben.
In einem Fernsehbeitrag hat der österreichische Ski-Langläufer Johannes Dürr Mitte Januar Blutdoping eingeräumt. Er nennt eine Autobahnraststätte bei München, den Flughafen, aber auch Oberhof. Die bayerischen Staatsanwälte leiten ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt ein. Die nationale Antidoping-Agentur des Sports (Nada) erstattet Anzeige.
Auch bei der Staatsanwaltschaft in Meiningen geht eine Anzeige ein. Die Thüringer geben das Verfahren nach München ab. Nur wenige Tage nach der ersten Veröffentlichung trifft sich Kai Gräber mit Kollegen aus Österreich in Wien. Die länderübergreifende Zusammenarbeit passt sofort. Unterstützt werden die Münchner AntidopingStaatsanwälte von Zollfahndern aus Lindau am Bodensee und Nürnberg. Wenige Tage danach können deutsche Fahnder und Staatsanwälte Johannes Dürr in Österreich selber befragen.
Was der Athlet ihnen erzählt, löst eine Kaskade von Maßnahmen aus. Unter anderem soll ein Sportmediziner in Erfurt überwacht werden. Das Amtsgericht München stimmt zu und Oberstaatsanwalt Gräber ist erstaunt. Denn was er und seine Kollegen bereits am ersten Tag am Telefon mithören überrascht sie.
Sie hätten nur eine ältere Telefonnummer gehabt, erzählt der Jurist gestern auf der Pressekonferenz. Die Erwartungen seien daher nicht allzu hoch gewesen. Doch sie belauschten sofort ein relevantes Gespräche zwischen dem späteren Hauptverdächtigen und einer weiteren Person. Es ging um die ARD-Dokumentation. Der spätere Hauptbeschuldigte soll am Telefon erzählt haben, dass die Unterlagen zu Johannes Dürr bereits geschreddert seien.
Die Ermittler staunen, denn der Erfurter Sportarzt Mark Schmidt stellt nach dem Fernsehbeitrag seine illegalen Aktivitäten nicht ein, sondern macht weiter. So erfährt die Staatsanwaltschaft auch von Absprachen, Sportler bei der nordischen Ski-WM Ende Februar im österreichischen Seefeld mit Blutdoping zu versorgen. Kai Gräber hat keine Antwort auf die Frage, wieso sich die Beschuldigten trotz der Veröffentlichung so sicher waren, nicht erwischt zu werden. Belege dafür, dass in Thüringen womöglich eine schützende Hand über den Sportarzt gehalten wurde, hält er für Spekulationen.
Aber darauf angesprochen, macht er auch klar, dass seine Behörde die gesamte Entwicklung der Beschuldigten interessiert. „Ich möchte schon wissen, wo jemand, der sich lange nichts zu Schulden kommen lassen hat, vom rechten Weg abgebogen ist“, erklärt er. Da interessieren dann auch familiäre und berufliche Verflechtungen.
Knapp sechs Wochen beobachten und belauschen die Ermittler das Treiben der Verdächtigen. Sie sammeln Beweise für vermutete Straftaten und bereiten gemeinsam mit den Kollegen in Österreich eine Razzia in Seefeld während der nordischen Ski-WM vor. Denn die Verdächtigen um den Erfurter Sportarzt haben dort ein Hotelzimmer sowie ein Apartment angemietet.
Als klar ist, wann vier der WM-Sportler Blut übertragen bekommen sollen, schlagen die österreichischen Kollegen zu. Sie erwischen in einem Hotelzimmer den österreichischen Ski-Langläufer Max H. Er hat noch die Nadel der Bluttransfusion im Arm.
Es sei einer der traurigsten Momente der bisherigen Ermittlungen gewesen, meint Kai Gräber. Den Sportler dort sitzen zu sehen, wie ihn alle anstarren. Die Fahnder mussten auf einen Sanitäter warten, um die Transfusionsnadel mit dem Blutbeutel entfernen zu können.
Parallel dazu rückten am 27. Februar die Ermittler auch in Erfurt aus. Eine Arztpraxis wird durchsucht, Privaträume und eine Garage in einem Garagenkomplex. Dort stellen die Zollfahnder hinter einer Bretterwand medizinische Gerätschaften sicher.
Ein Tiefkühlschrank für Blutprodukte und eine Zentrifuge, um das Blutplasma von den roten Blutkörperchen zu trennen, kommen aus Österreich, finden die Ermittler heraus. Es fällt der Namen eines Sportmanagers. Er soll vor Jahren versichert haben, die Zentrifuge für einen gemeinnützigen Zweck abzugeben.
Das Gerät landet stattdessen nach Angaben der Staatsanwaltschaft für 50.000 Euro beim Erfurter Sportmediziner. In Erfurt stellen die Zollfahnder auch etwa 40 Blutbeutel sicher. Die codierten Aufschriften verraten die Blutspender nicht gleich. Inzwischen scheinen die Ermittler dem Code aber auf die Spur gekommen zu sein. Ob Kai Gräber schon eine Ahnung hat, wessen Blut da lagerte, bleibt gestern sein Geheimnis.
Dafür sagt der Oberstaatsanwalt noch einiges zum Umfang des mutmaßlichen Blutdopings. So seien zwei der Beschuldigten zu den Olympischen Winderspielen nach Südkorea geflogen. Vor dem Abflug soll Sportlern zusätzlich Blut gespritzt worden sein. Auch in Hawaii wurden offenbar Blutgeschäfte erledigt. Dort findet alljährlich einer der berühmtesten Triathlon-Wettbewerbe statt. Zwischen 4000 und 12.000 Euro soll die Blutbehandlung gekostet haben. Der Frage, ob das Geschäft die Beschuldigten reich gemacht hat, gehen die Ermittler noch nach. Auch ob es weitere Festnahmen geben wird, blieb gestern offen.
„Wenn’s läuft, dann läuft’s“, bemerkte Kai Gräber nur trocken.
Erstaunte Zuhörer bei Überwachung
Einer der traurigsten Momente