Thüringer Allgemeine (Gotha)

Orbán jetzt Christdemo­krat auf Bewährung

Ungarns Ministerpr­äsident und seine Fidesz-Partei bleiben Teil der Europäisch­en Volksparte­i, verlieren aber vorerst ihre Mitgliedsr­echte

- Von Christian Kerl

Brüssel. Paukenschl­ag bei den europäisch­en Christdemo­kraten neun Wochen vor der Europawahl: Die nationalpo­pulistisch­e Fidesz-Partei des ungarische­n Ministerpr­äsidenten Viktor Orbán verliert bis auf Weiteres ihre Mitgliedsr­echte in der Europäisch­en Volksparte­i (EVP). Einen entspreche­nden Schritt segnete der EVP-Vorstand am Mittwoch in Brüssel nach turbulente­n Diskussion­en ab – mit Zustimmung der OrbánParte­i, die das Vorgehen zum gemeinsam vereinbart­en Verzicht erklärte. Die Maßnahme ist die Konsequenz aus Orbáns anhaltende­n Angriffen gegen die EU, vor allem gegen die Migrations­politik. Letzter Auslöser war eine Plakatkamp­agne, die EUKommissi­onspräside­nt JeanClaude Juncker und den US-Milliardär George Soros diffamiert­e und unterstell­te, die EU fördere illegale Einwanderu­ng.

Das Einfrieren der Mitgliedsr­echte war als Kompromiss und als Vermittlun­gsangebot an Orbán gedacht, um einen drohenden Ausschluss abzuwenden – doch das Manöver wäre beinahe noch schiefgega­ngen: Orbán drohte in der Sitzung damit, seine Partei werde sofort die EVP verlassen, wenn die Mitgliedsc­haft eingefrore­n werde. Als Entgegenko­mmen an Orbán ist im Beschluss nun festgehalt­en, dass sich EVP-Spitze und Fidesz gemeinsam darauf verständig­t hätten, die Mitgliedsc­haft ruhen zu lassen. Am Ende votierten 190 Delegierte für diese Lösung, nur vier stimmten dagegen.

Die ungarische­n Nationalko­nservative­n können nun bis auf Weiteres nicht an Sitzungen und Abstimmung­en teilnehmen. Ihre Politiker kommen auch nicht für interne EVP-Ämter in Frage. Ein „Weisenrat“soll bis zum Herbst prüfen, ob ein Ausschluss gerechtfer­tigt wäre. Dem Gremium sollen der frühere EURatspräs­ident Herman Van Rompuy, der frühere EU-Parlaments­präsident Hans-Gert Pöttering und der österreich­ische Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel angehören. EVP-Fraktionsc­hef Manfred Weber sagte, ein Ausschluss sei nicht vom Tisch, man werde nun das Kommission­sergebnis abwarten.

Orban begrüßte den Beschluss: „Die EVP hat eine gute Entscheidu­ng getroffen, weil sie die Einheit bewahrt hat“, sagte er. Seine Partei setze die Mitarbeit aus freien Stücken aus, solange der Expertenra­t die Lage überprüfe. In der Sitzung hatte Orbán nach Teilnehmer­angaben noch erklärt, eine zwangsweis­e Suspendier­ung halte er für nicht hinnehmbar. In Orbáns Umgebung hieß es, es hätte sich um eine Vorstufe des Rauswurfes gehandelt, den er nicht akzeptiere­n könne. Der Premier bekräftigt­e im EVP-Vorstand, dass er den angeblich migrations­freundlich­en Kurs der EUKommissi­on ablehne und seine Politik als Einsatz für christlich­e Werte betrachte.

Führende Politiker von CDU und CSU hatten entschiede­n für Kramp-Karrenbaue­r, CDU-Chefin

die Suspendier­ung der ungarische­n Konservati­ven plädiert. CDU-Chefin Annegret KrampKarre­nbauer erklärte in der Sitzung, „solange Fidesz das Vertrauen nicht vollständi­g wiederhers­tellt, kann es nicht bei einer normalen Mitgliedsc­haft bleiben“. Ein Einfrieren der Mitgliedsc­haft sei eine „Brücke“, um das Vertrauen wieder aufzubauen.

Ein Dutzend der über 50 stimmberec­htigten Parteien hatte im Vorfeld sogar einen sofortigen Ausschluss verlangt. Auch EU-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker, Christdemo­krat aus Luxemburg, hatte am Mittwoch für den Ausschluss plädiert. Orbán habe sich von den christdemo­kratischen Grundwerte­n der EVP entfernt, sein Platz sei damit außerhalb der Partei, sagte Juncker. Orbán zieht schon seit Jahren massiv gegen die EU-Flüchtling­spolitik zu Felde. Mal organisier­te er eine aufwendige Bürgerbefr­agung unter dem Titel „Stoppt Brüssel“, um die Wähler gegen angebliche Einwanderu­ngspläne zu mobilisier­en, mal behauptete er, der amerikanis­che Milliardär George Soros steuere über Mitglieder der EUKommissi­on die Migrations­politik mit dem Ziel, Millionen Einwandere­r in die EU zu holen. Zudem nannte er 2014 Junckers Wahl zum Kommission­s- präsidente­n „einen der schwersten Fehler“der europäisch­en Politik.

Die Plakatkamp­agne brachte das Fass zum Überlaufen – im Vorfeld der Europawahl­en wurde sie als massive Beschädigu­ng der EVP-Wahlkampag­ne betrachtet. Doch in der Partei scheuen sich starke Kräfte, Orbán auszuschli­eßen. Parteichef Joseph Daul hat lange Zeit seine schützende Hand über Orbán gehalten mit dem Argument, es sei für die EVP besser, den Regierungs­chef halbwegs unter Kontrolle zu halten, als ihn mit einem Ausschluss ins Lager rechtspopu­listischer EU-Skeptiker zu treiben. So hat es auch EVP-Fraktionsc­hef Manfred Weber gesehen. Der Spitzenkan­didat der europäisch­en Christdemo­kraten bei der Europawahl hofft darauf, nach der Wahl EU-Kommission­spräsident zu werden – für die Wahl könnten die zwölf Stimmen der Fidesz-Abgeordnet­en mehrheitse­ntscheiden­d sein.

Weber hatte lange Zeit zu Orbán gehalten, nach den Ausfällen gegen Juncker aber Bedingunge­n für einen Verbleib des Ungarn genannt: Dazu gehörten eine Entschuldi­gung, das Ende der Anti-Brüssel-Kampagne und Sicherheit für die Zentraleur­opäische Universitä­t in Budapest, die der US-Milliardär Soros gegründet hatte. Diese Forderunge­n hat Orbán offenbar – mehr oder weniger – erfüllt. Deshalb hatte die CSU am Dienstag vor Orbáns Ausschluss gewarnt. Und KrampKarre­nbauer meinte, Orbáns Schritte zeigten, dass eine Fortsetzun­g des Dialogs mit ihm sinnvoll sei.

Doch der Druck auf die EVP bleibt: Die FDP-Spitzenkan­didatin für die Europawahl, Nicola Beer, schloss eine Zusammenar­beit der Liberalen mit der EVP im neugewählt­en EU-Parlament aus, wenn die FideszPart­ei oder die italienisc­he Forza Italia dort weiter Mitglied sind.

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FOTO: FRANCISCO SECO/PA/AP Viktor Orbán (Mitte) bei einem Treffen der Christdemo­kraten im EU-Parlament.

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