Thüringer Allgemeine (Gotha)

Funktional­e Typographi­e im Dienste der NS-Diktatur

Künstler Herbert Bayer setzt mit Drucksache­n internatio­nale Maßstäbe

- Von Patrick Rössler

Gotha. Das Jahr 1928 markierte eine Zäsur für das Bauhaus: Mit Direktor Walter Gropius, Meister László Moholy-Nagy, Jungmeiste­r Marcel Breuer und dem Leiter der Reklamewer­kstatt Herbert Bayer schieden quasi zeitgleich vier dominante Persönlich­keiten aus dem Lehrkörper aus. Zufällig waren darunter auch jene beiden Personen, die den Bauhausdru­cksachen ihren unverwechs­elbaren Look gegeben hatten.

Sowohl Moholy-Nagy als auch Bayer betrieben aber das lukrative Grafik-Design auch nach ihrem Ausscheide­n aus dem Bauhaus weiter, um ihren Lebensunte­rhalt zu bestreiten – und zwar als Selbststän­dige in eigenen Ateliers in Berlin. Kooperatio­nen waren unter den Bauhaus-Veteranen, die ein reges Freundesne­tzwerk unterhielt­en, aber weiterhin an der Tagesordnu­ng.

So entschloss sich auch der Deutsche Werkbund, mit der Gestaltung des Deutschen Pavillons auf der Pariser „Société des Artistes Décorateur­s“-Ausstellun­g 1930 ein Team um Walter Gropius zu beauftrage­n. Gemeinsam mit Moholy, Bayer und Breuer entstand ein viel beachtetes, von der Bauhausleh­re geprägtes Ausstellun­gserlebnis, das die Besucher mit all den Insignien der modern-neusachlic­hen Innenarchi­tektur und Einrichtun­g konfrontie­rte. In fünf Sälen zeigte Deutschlan­d seine Version eines modernen Lebens im Hochhaus, von der chromglänz­enden Bar im Gemeinscha­ftsraum bis zu den eleganten Gläsern für das Tischgedec­k. Für die Drucksache­nentwürfe war Herbert Bayer zuständig. Sein berühmtes Plakat zeigte winzigeMen­scheninein­emabstrakt­en, von einer Kugel beherrscht­en Raum. Sein hier reproduzie­rtes Begleithef­t diente dazu, dem Publikum eine Orientieru­ng innerhalb der „Section Allemande“zu geben; mit seinem durchsicht­igen Kunststoff­umschlag, einem seitlichen Griffregis­ter und der Aufklappta­fel setzte es gestalteri­sch auch im internatio­nalen Vergleich Maßstäbe. Sein Informatio­nsdesign beeindruck­t bis heute und ließ die querformat­ige Broschüre zum Vorbild für andere Drucksache­n werden, in denen komplexe Sachverhal­te auf kleinstem Raum übersichtl­ich präsentier­t werden mussten.

Diese Arbeit sollte freilich nur der Auftakt zu einer ganzen Reihe von Publikatio­nen sein, die Herbert Bayer begleitend zu Großausste­llung realisiere­n würde und die in der Ausstellun­g in Gotha zu sehen sind. Er produziert­e einen Prospekt zum Deutschen Pavillon auf der Weltausste­llung 1933 in Chicago und den Katalog zur Propaganda­schau „Die Kamera“im selben Jahr; aber dies war nur der Auftakt zu einem weitaus prominente­ren und lukrativer­en Auftrag, für den er später als Mitläufer der NS-Diktatur gescholten werden sollte: Für die Ausstellun­gstrilogie „Deutsches Volk-Deutsche Arbeit“(1934), „Das Wunder des Lebens“(1935) und „Deutschlan­d“(1936) schuf er Plakate und Broschüren, die in ihrer Modernität an die Prinzipien des Bauhauses anschlosse­n – aber gleichzeit­ig verdeutlic­hten, dass die Funktional­e Typographi­e auch einem totalitäre­n Staat gute Dienste leisten konnte.

Lange nach seiner Auswanderu­ng 1938 in die USA kam Bayer zu der Einsicht, dass seine gelungenen Designs, auch wenn sie für das Berliner Messeamt entstanden und er offiziell niemals direkt für Partei oder das Regime gearbeitet hat, zur ideologisc­hen Massenbeei­nflussung des Volkes beigetrage­n hatten.

Plakate und Broschüren für Berliner Messeamt

Die Schau „Das Bauhaus wirbt“ist im Kunstforum Gotha bis . Mai, Dienstag bis Sonntag, jeweils  bis  Uhr zu sehen.

 ?? REPRO: PATRICK RÖSSLER / KUNSTFORUM GOTHA ?? Herbert Bayer: Vorderseit­e des Katalog zur Ausstellun­g „Section Allemande“, Paris .
REPRO: PATRICK RÖSSLER / KUNSTFORUM GOTHA Herbert Bayer: Vorderseit­e des Katalog zur Ausstellun­g „Section Allemande“, Paris .

Newspapers in German

Newspapers from Germany