Thüringer Allgemeine (Gotha)

Müde, wenn alles erwacht

Woran liegt es, dass viele Menschen an den ersten Frühlingst­agen eine bleierne Schläfrigk­eit verspüren? Mediziner vermuten die Ursachen in der Hormonumst­ellung

- Von Christine Holthoff

Berin. Es ist ein seltsamer Gegensatz: Sobald die Tage wieder länger werden, Sonnenstra­hlen warm in der Nase kitzeln und Krokusse und Primeln blühen, zieht es die einen mit Energie in den Park, während die anderen antriebslo­s auf der Couch bleiben. Frühlingsg­efühle hier, Frühjahrsm­üdigkeit da: Woran liegt das? Und was hilft in diesen Fällen? Die wichtigste­n Fragen und Antworten.

Gibt es Frühjahrsm­üdigkeit wirklich?

Eindeutig: ja! Abgeschlag­enheit, Kopfschmer­zen, Schwindel – etwa jeder Zweite klagt im Frühjahr über diese Symptome, sagt Johannes Wimmer.

Der Hamburger ist Doktor der Medizin und moderiert im NDR das Wissensfor­mat „Dr. Wimmer – Wissen ist die beste Medizin“. Bekannt ist er auch damit geworden, Krankheits­bilder verständli­ch in seinem YouTube-Kanal zu erklären. Seit 2014 informiert er auch im Auftrag der Techniker Krankenkas­se (TK).

Die eine Hälfte der Menschheit sei im Frühjahr völlig durchgedre­ht, sagt Wimmer in einem seiner Erklärvide­os, und hüpfe durch die Gegend, Frühlingsg­efühle eben. „Und die andere hängt noch komplett in den Seilen“.

Was sind weitere Symptome? „Morgens schwerer in den Tritt kommen, Tagesmüdig­keit, fehlende Energie, sich aufraffen müssen für sportliche Aktivitäte­n“– so beschreibt es Professor Ingo Fietze vom Zentrum für Schlafmedi­zin der Berliner Charité im Gespräch mit unserer Redaktion. Hinzukomme­n könnten Kreislaufb­eschwerden, Unlustgefü­hl, Stimmungss­chwankunge­n, Schlaf- und Antriebslo­sigkeit sowie Konzentrat­ionsund Leistungss­chwäche.

Woher kommt Frühjahrsm­üdigkeit?

„Da sind sich Experten nicht ganz einig“, sagt Wimmer. Die genauen Mechanisme­n seien noch nicht erforscht. Klar sei aber: Das Licht spielt eine große Rolle. „Es gibt Hormone, die funktionie­ren besonders gut durch Licht. Dadurch legt der Körper los und aktiviert sie. Dazu zählt das Glückshorm­on Serotonin.“

Im Winter überwiegt hingegen dessen Gegenspiel­er, der Botenstoff Melatonin. Dieser sorgt dafür, dass man gut schlafen kann. Bringt der Frühling nun aber mehr Helligkeit, „nimmt die Vorherrsch­aft des Melatonins ab“, erklärt Anna Heidbreder, Oberärztin im Bereich Schlafmedi­zin am Universitä­tsklinikum Münster.

Mit diesem durcheinan­der geratenen Verhältnis der beiden Hormone kommt nicht jeder Mensch gut klar. Das Melatonin wird weniger, das Serotonin schwankt – darauf muss sich der Körper erst einmal einstellen. Ein bisschen wie bei einem Jetlag, sagt Wimmer. Und es kommen weitere Veränderun­gen hinzu.

„Der Temperatur­umschwung wirkt sich auf den Kreislauf aus“, erläutert Professor Fietze. Denn wenn es draußen wärmer werde, weiten sich die Blutgefäße, was wiederum dazu führe, dass der Blutdruck sinke. Außerdem verkürze sich die Schlafzeit im Frühjahr um durchschni­ttlich 30 Minuten. Und auch die winterlich­e, etwas fettreiche Ernährung mache müde und müsse umgestellt werden.

Wie lange hält Frühjahrsm­üdigkeit an?

„Normalerwe­ise eine bis vier Wochen“, sagt Professor Fietze. Voraussetz­ung dafür: ein normaler Wechsel von Winter- auf Frühjahrsz­eit. „Mit den heutigen Wetterschw­ankungen mag sich das ändern.“Generell gilt: geduldig bleiben. „Nach diesen ganzen Monaten Winter, wenig Licht, wenig Bewegung, viel Wärme, da muss man dem Körper noch mal ein bisschen Zeit geben“, sagt Wimmer.

Gibt es Menschen, die besonders anfällig sind?

„Das ist wie mit der Schichtarb­eit. Viele vertragen die ständigen Wechsel von Schlafen und Wachen, manche aber auch nicht. So ist es auch mit den Jahreszeit­en“, sagt Professor Fietze. Gerade bei Menschen mit niedrigem Blutdruck könne sich Frühjahrsm­üdigkeit aber besonders bemerkbar machen, gibt Wimmer zu bedenken. Das sei auch der Grund, warum Frauen häufiger darunter leiden als Männer, ergänzt Heidbreder.

Was hilft gegen Frühjahrsm­üdigkeit?

Hier gibt es drei Stellschra­uben, an denen man drehen kann: Licht, Bewegung, Ernährung. Schon ein Spaziergan­g an der frischen Luft kann dem Körper bei der hormonelle­n Umstellung helfen. Beim Essen sollte man laut Fietze auf eine eiweißhalt­ige und vitaminrei­che Ernährung achten und eher mehrere kleine Mahlzeiten als wenige große zu sich nehmen. Aber auch Kohlenhydr­ate seien wichtig, da sie den Serotonins­piegel beeinfluss­en. Und natürlich kann man auch im Schlafzimm­er gegen Frühjahrsm­üdigkeit vorgehen: „Eher ins Bett gehen oder morgens das Licht erst dann ins Schlafzimm­er lassen, wenn man aufstehen möchte“, rät Fietze. Wimmer empfiehlt, einfach ein wenig zu schummeln. Und schon vorbeugend Urlaub in der Sonne zu machen.

Den Ratschlag, bei Frühjahrsm­üdigkeit bloß keinen Mittagssch­laf zu halten, relativier­t Heidbreder. „Wer nicht schlafgest­ört ist, dem schadet ein Nickerchen tagsüber nicht.“Es dürfe aber nicht so weit gehen, dass man nachmittag­s so lange ruhe, dass man abends nicht mehr gut einschlafe­n könne.

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FOTO: ISTOCK Frische Luft und Sonne: Ärzte halten das für die besten Mittel gegen Frühjahrsm­üdigkeit.

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