Müde, wenn alles erwacht
Woran liegt es, dass viele Menschen an den ersten Frühlingstagen eine bleierne Schläfrigkeit verspüren? Mediziner vermuten die Ursachen in der Hormonumstellung
Berin. Es ist ein seltsamer Gegensatz: Sobald die Tage wieder länger werden, Sonnenstrahlen warm in der Nase kitzeln und Krokusse und Primeln blühen, zieht es die einen mit Energie in den Park, während die anderen antriebslos auf der Couch bleiben. Frühlingsgefühle hier, Frühjahrsmüdigkeit da: Woran liegt das? Und was hilft in diesen Fällen? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Gibt es Frühjahrsmüdigkeit wirklich?
Eindeutig: ja! Abgeschlagenheit, Kopfschmerzen, Schwindel – etwa jeder Zweite klagt im Frühjahr über diese Symptome, sagt Johannes Wimmer.
Der Hamburger ist Doktor der Medizin und moderiert im NDR das Wissensformat „Dr. Wimmer – Wissen ist die beste Medizin“. Bekannt ist er auch damit geworden, Krankheitsbilder verständlich in seinem YouTube-Kanal zu erklären. Seit 2014 informiert er auch im Auftrag der Techniker Krankenkasse (TK).
Die eine Hälfte der Menschheit sei im Frühjahr völlig durchgedreht, sagt Wimmer in einem seiner Erklärvideos, und hüpfe durch die Gegend, Frühlingsgefühle eben. „Und die andere hängt noch komplett in den Seilen“.
Was sind weitere Symptome? „Morgens schwerer in den Tritt kommen, Tagesmüdigkeit, fehlende Energie, sich aufraffen müssen für sportliche Aktivitäten“– so beschreibt es Professor Ingo Fietze vom Zentrum für Schlafmedizin der Berliner Charité im Gespräch mit unserer Redaktion. Hinzukommen könnten Kreislaufbeschwerden, Unlustgefühl, Stimmungsschwankungen, Schlaf- und Antriebslosigkeit sowie Konzentrationsund Leistungsschwäche.
Woher kommt Frühjahrsmüdigkeit?
„Da sind sich Experten nicht ganz einig“, sagt Wimmer. Die genauen Mechanismen seien noch nicht erforscht. Klar sei aber: Das Licht spielt eine große Rolle. „Es gibt Hormone, die funktionieren besonders gut durch Licht. Dadurch legt der Körper los und aktiviert sie. Dazu zählt das Glückshormon Serotonin.“
Im Winter überwiegt hingegen dessen Gegenspieler, der Botenstoff Melatonin. Dieser sorgt dafür, dass man gut schlafen kann. Bringt der Frühling nun aber mehr Helligkeit, „nimmt die Vorherrschaft des Melatonins ab“, erklärt Anna Heidbreder, Oberärztin im Bereich Schlafmedizin am Universitätsklinikum Münster.
Mit diesem durcheinander geratenen Verhältnis der beiden Hormone kommt nicht jeder Mensch gut klar. Das Melatonin wird weniger, das Serotonin schwankt – darauf muss sich der Körper erst einmal einstellen. Ein bisschen wie bei einem Jetlag, sagt Wimmer. Und es kommen weitere Veränderungen hinzu.
„Der Temperaturumschwung wirkt sich auf den Kreislauf aus“, erläutert Professor Fietze. Denn wenn es draußen wärmer werde, weiten sich die Blutgefäße, was wiederum dazu führe, dass der Blutdruck sinke. Außerdem verkürze sich die Schlafzeit im Frühjahr um durchschnittlich 30 Minuten. Und auch die winterliche, etwas fettreiche Ernährung mache müde und müsse umgestellt werden.
Wie lange hält Frühjahrsmüdigkeit an?
„Normalerweise eine bis vier Wochen“, sagt Professor Fietze. Voraussetzung dafür: ein normaler Wechsel von Winter- auf Frühjahrszeit. „Mit den heutigen Wetterschwankungen mag sich das ändern.“Generell gilt: geduldig bleiben. „Nach diesen ganzen Monaten Winter, wenig Licht, wenig Bewegung, viel Wärme, da muss man dem Körper noch mal ein bisschen Zeit geben“, sagt Wimmer.
Gibt es Menschen, die besonders anfällig sind?
„Das ist wie mit der Schichtarbeit. Viele vertragen die ständigen Wechsel von Schlafen und Wachen, manche aber auch nicht. So ist es auch mit den Jahreszeiten“, sagt Professor Fietze. Gerade bei Menschen mit niedrigem Blutdruck könne sich Frühjahrsmüdigkeit aber besonders bemerkbar machen, gibt Wimmer zu bedenken. Das sei auch der Grund, warum Frauen häufiger darunter leiden als Männer, ergänzt Heidbreder.
Was hilft gegen Frühjahrsmüdigkeit?
Hier gibt es drei Stellschrauben, an denen man drehen kann: Licht, Bewegung, Ernährung. Schon ein Spaziergang an der frischen Luft kann dem Körper bei der hormonellen Umstellung helfen. Beim Essen sollte man laut Fietze auf eine eiweißhaltige und vitaminreiche Ernährung achten und eher mehrere kleine Mahlzeiten als wenige große zu sich nehmen. Aber auch Kohlenhydrate seien wichtig, da sie den Serotoninspiegel beeinflussen. Und natürlich kann man auch im Schlafzimmer gegen Frühjahrsmüdigkeit vorgehen: „Eher ins Bett gehen oder morgens das Licht erst dann ins Schlafzimmer lassen, wenn man aufstehen möchte“, rät Fietze. Wimmer empfiehlt, einfach ein wenig zu schummeln. Und schon vorbeugend Urlaub in der Sonne zu machen.
Den Ratschlag, bei Frühjahrsmüdigkeit bloß keinen Mittagsschlaf zu halten, relativiert Heidbreder. „Wer nicht schlafgestört ist, dem schadet ein Nickerchen tagsüber nicht.“Es dürfe aber nicht so weit gehen, dass man nachmittags so lange ruhe, dass man abends nicht mehr gut einschlafen könne.