Strafkammer will Serie über Hannibal Lecter nicht anschauen
Beim Prozess um den Jenaer Stückelmord erwägt jetzt die Nebenklage, die Gerichtsbesetzung abzulehnen
Gera. In Gerichtssälen gibt es bisweilen skurrile Bilder zu sehen. Da kippt der wegen Mordes Beschuldigte kalkweiß ab, liegt anschließend mit Genehmigung auf dem Stuhl, um die Füße hochzuhalten. Als der Vorsitzende Richter einen Beschluss verkündet, schläft der Physikstudent ein. Anschließend will ein Nebenklagevertreter die Strafkammer infrage stellen.
Aber von vorn: In der vergangenen Sitzung hatte die forensische Psychiaterin Helmburg Göpfert-Stöbe ihr Gutachten über den Beschuldigten erstattet, der im August 2018 einen chinesischen Studenten in Jena umgebracht hat. Zum Tatzeitpunkt soll er wegen einer Schizophrenie schuldunfähig gewesen sein.
Auf Nachfrage der Nebenklage-Vertreter musste sie einräumen, nicht die Serie Hannibal über den kannibalistischen Serienmörder Hannibal Lecter gesehen zu haben. Der Beschuldigte jedoch hatte diese in den Wochen vor der Tat komplett konsumiert und möglicherweise Anregungen übernommen, um bei der Untersuchung als schuldunfähig durchzukommen.
Die Gutachterin bot dem Vorsitzenden Richter Uwe Tonndorf an, alle 36 Folgen der drei Staffeln zu schauen. Jener erteilte daraufhin den Auftrag. Göpfert-Stöbe stellte beim 40-Stunden-Marathon durchaus Begriffe fest, die sowohl in der fiktiven Serie als auch in den Aussagen des Beschuldigten vorkamen. Allerdings sieht sie gravierende Unterschiede im Vorgehen, so dass sich an ihrer Einschätzung nichts ändere. „Er hat mit seiner Erkrankung das Falsche geschaut. Aus meiner Sicht sollte niemand, der psychisch instabil ist, diese Serie schauen“, sagt die Gutachterin.
Nebenklage-Vertreter Christian Stünkel beantragt, die Serie im Prozess zu sehen oder zumindest hilfsweise das Verfahren für drei Wochen zu unterbrechen, damit jeder Beteiligte daheim die drei Staffeln sehen könne. Er müsse die Inhalte kennen, um der Sachverständigen Fragen stellen zu können. Sogar die beiden Verteidiger des Angeklagten, Peter Tuppat und Andreas Wiese, schließen sich an.
Die Kammer lehnt den Antrag ab. Das Gericht habe der Aufklärungspflicht in dieser Sache durch den Gutachtenauftrag genügt. Die Sachverständige sei als „Augenscheinsgehilfin“im Einsatz gewesen und klar zur Erkenntnis gekommen, dass der Beschuldigte keine Anleihen aus der Serie übernommen habe. Deshalb sei es nicht nötig, die Serie im Prozess zu schauen.
Rechtsanwalt Stünkel kündigt daraufhin an, mit den Eltern des Opfers in China zu telefonieren, ob er einen Ablehnungsantrag gegen die Kammer stellen soll. Der nächste Verhandlungstermin am kommenden Donnerstag findet wie geplant statt: Bis dahin sollte sich auch der Beschuldigte von seinem Schwächeanfall erholt haben.