Heimatgefühle Matthias Kaiser testet für die Ta-leser Restaurants entlang des Rennsteigs. Heute: Unterwegs in Schmalkalden und Tambach-dietharz
Wie gut ist der Rennsteig? Oder noch besser gefragt: Wie gut kann ich rasten und essen auf dem Rennsteig? Im Auftrag der Thüringer Allgemeinen macht sich der Restauranttester Matthias Kaiser auf den Weg und prüft die Gastronomie auf Herz und Nieren. Da er den Rennsteig schon einmal vor mehr als zehn Jahren abgegangen ist, kann er auch vergleichen: Hat sich was verändert oder vielleicht verbessert?
Obwohl wir erfreut feststellen durften, dass in den Herzen der Eichholzens noch immer das Feuer der Gastfreundschaft brennt, waren wir schon ein wenig deprimiert, als wir die Schanzenbaude, die sie bewirtschaften, verließen. Brennt doch für den alltäglichen Rennsteigwanderer dieses Feuer nicht mehr ganz so heiß, sondern ausschließlich für jene in meinem letzten Rennsteig-report erwähnten Sportler, die das Engagement der beiden profilierten Gastronomen zu würdigen wissen.
Also adieu l'amouré – erneut hat sich eines der Wirtshäuser aus meiner Empfehlungsliste verabschiedet, die viele Gäste früher auf den Rennsteig lockten. Womit ich keinesfalls die Gesamtleistung der beiden Wirtsleute schlecht reden möchte. Ihr Kommentar „Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus“ist in ihrem Fall menschlich völlig verständlich; für die Rennsteig-gastronomie im Ganzen jedoch ein weiterer Tiefschlag.
Natürlich wollten wir unsere Wanderung auf dem Rennsteig nicht einfach fortsetzen, ohne einen Abstecher in das Zentrum Oberhofs unternommen zu haben. Immerhin gab es eine Zeit, da pflegte ich mit diesem Wintersportort ein derart inniges Verhältnis, sodass ich dort sogar persönliche Entscheidungen traf, die bis heute mein Leben beeinflussen. An dieser Stelle jedoch ins Detail zu gehen, würde am Zweck meiner Rennsteigwanderung vorbeizielen. Sicherlich wird sich dafür mal eine andere Gelegenheit finden.
Auch über das Ambiente des Ortskerns möchte ich mich nicht ausführlicher auslassen. Vielleicht nur so viel: Da Schnee allein den Feriengast nicht glücklich und zufrieden macht, müsste ein Wintersportort wie Oberhof so etwas wie Flair besitzen. Doch das ist das Letzte, was diese sogenannte Landstadt ausstrahlt, die einst den Ruf anstrebte, ein deutsches St. Moritz zu sein. Dabei will ich an dieser Stelle gar nicht über die Verkaufs-, sprich: Ramschkultur, lamentieren, noch über eine chaotische Verkehrsplanung, die vor allem motorisierte Touristen in pekuniäre Fallen lockt, gegen die sich mittelalterliche Raubritter
wie die barmherzigen Soldaten der Heilsarmee ausnehmen. Allein die Parkplatzgebühren müssten ausreichen, um Oberhof wirtschaftlich aufblühen zu lassen.
Die seit Jahren sinkenden Gästezahlen sind ein Hinweis darauf, dass Oberhof immer mehr an Reputation verliert. Als ich mir einen Eindruck von der Situation machen wollte und deshalb einige Gaststätten im Ort aufsuchte, kam ich sowohl mit Urlaubern als auch mit Einheimischen ins Gespräch. Das Ergebnis war ernüchternd: Die Gäste vermissten vor allem den Funken, der zwischen Gastgebern und Besuchern zünden muss. – Die Gastgeber selbst machten den Eindruck, als sei ihnen das Herz in die Hose gerutscht. Und da gehört es nicht hin.
Eine solche Anhäufung von Mittelmaß hat ein solcher traditionsreicher Urlauberort nun wirklich nicht verdient. Gäbe es ein Ranking für Desinteresse, Dienst nach Vorschrift und einer im Angesicht der oben erwähnten Mutlosigkeit völlig deplatzierten Arroganz, würde das von mir einst so empfehlenswerte Oberhof ganz oben rangieren. Leid tut es mir nur für die wenigen unermüdlichen Gastwirte, die natürlich auch in Oberhof Tag für Tag ihr Bestes geben. Sie jedoch aufzuspüren, bedarf es einer großen Lupe und wahnsinnig viel Glück. Eigentlich hätte mein Fazit noch krasser ausfallen können.
Doch sozusagen
I N Rauf den letzten Ritt widerfuhr uns im Vergissmeinnicht, im Zentrum Oberhofs, eine Wiedergutmachung, die uns derart hoffnungsfroh stimmte, dass ich meine Beurteilung der Fairness halber einfach mildern muss.
In diesem seit Generationen von einer Familie betriebenen Hotel, Ferienhaus und Restaurant erlebten wir alles das, was in der Thüringer Gastronomie schon lange nicht mehr zur Selbstverständlichkeit gehört: eine überdurchschnittliche Sauberkeit, raffinierte regionale Küche und einen aufmerksamen und endlich auch einmal kompetenten Service. Das alles in einem Wohlfühl-ambiente, das uns schnell heimisch werden ließ. Da das Vergissmeinnicht jedoch nicht auf unserer Route eingeplant war, habe ich mich entschlossen, seine ausführlichere Beurteilung auf einen späteren Zeitpunkt zu verlegen.
Eine letzte Szene möchte ich Ihnen jedoch noch schildern: Als wir nach diesem bemerkenswerten Aufenthalt zufrieden ins Freie hinaustraten, versackten wir in Sekundenschnelle in einem Schwall Thüringer Weihrauch. Jeder Thüringer weiß, dass man so den Rauch nennt, der entsteht, wenn Rostbratwürste über einem Holzkohlefeuer gegrillt werden. Und ein solcher stand nur wenige Schritte entfernt vom Eingang des Vergissmeinnicht und vernebelte an diesem windstillen Tag einen Großteil des Zentrums derart, dass kaum ein relaxtes Shopping möglich war. Einerseits verstehe ich natürlich das berechtigte kaufmännische Interesse des Hotels, auch jene Gäste zu bedienen, die sich einen Besuch im doch sehr hochpreisigen Restaurant nicht leisten können oder wollen. Anderseits erleichtert man den
Händlern
nicht gerade ihr Geschäft. Da fehlt mir einfach ein Handin-hand. Das ist vielleicht einer Gründe für Oberhofs Misere.
Wir aber kehrten anderntags zum Rennsteig zurück und trafen uns an einem sonnigen, aber bitterkalten Montagmorgen am Grenzadler. Dort legten wir eine Gedenkminute am Gustavfreytag-gedenkstein ein, der hier am sogenannten Donnershauk in Erinnerung an einen der Schauplätze aus dem Historienroman „Die Ahnen“aufgestellt wurde. Ein Über-tausend-seiten-epos, das ich als heranwachsender Jüngling wochenlang heimlich aus dem Bücherschrank meines Vaters stibitzte, um es nachts mit der Taschenlampe unter der Bettdecke zu lesen.
Lange aufhalten konnten wir uns indes nicht, denn unser Ziel war die Neue Ausspanne oberhalb von Tambach-dietharz. Obwohl der Rennsteig hier oben asphaltiert ist, er wird im Sommer als Rollerskistrecke genutzt, haben vor allem mir die rund 13 Kilometer einiges abverlangt. Noch dazu, weil sich dieser Abschnitt, ebenso wie vor zwölf Jahren, noch immer als gastronomische Durststrecke entpuppte. Womit ich
keinesfalls die Leistung der Freunde des Schmalkaldener Wandervereins schmälern möchte, die in ihrer auf halber Strecke stehenden Jahnhütte an den Neuhofer Wiesen vorbildliche Arbeit leisten. Eine traditionelle Berghütte, in der in drei Gemeinschaftszimmern auf Vorbestellung sogar übernachtet werden kann. In der Woche heißt es für den Renner auf der Runst jedoch, sich selbst zu verpflegen; an den Wochenenden indes – genauer von freitags 17 Uhr bis sonntags 18 Uhr – wird ihm von überaus liebenswürdigen naturverbundenen Wäldlern sogar ein leichter Imbiss serviert. Wer die unverfälschte Rennsteigromantik sucht, keine Gruppen-schlafräume und Gemeinschaftstoilette scheut, sollte hier mindestens eine Nacht verweilen.
Genauso freundlich wird man übrigens in der nicht weit entfernten Paul-schlösser-hütte, die von der Bergwacht Rotterode bewirtschaftet wird, empfangen und bewirtet. Eben nur an den Wochenenden. Für beide Hütten von mir indes ein Hut ab! Wer's eleganter möchte ... Vergissmeinnicht!
Nach drei Stunden straffen Wanderns erreichten wir die Neue Ausspanne, wo wir uns mit einem der namhaftesten Experten für dieses Teilstück des Rennsteigs verabredet hatten: mit dem Tambacher Urgestein Egon Stötzer. Ein ehemaliger Gothaer Schlachthof-direktor, der sich nach der Wende als Bürgermeister von Tambach-dietharz derart beharrlich für die Belange seiner Heimatstadt einsetzte, dass die Bürger am Tage seiner Pensionierung im Herzen
Trauer flaggten. Wer Egon Stötzer kennt, weiß jedoch, dass sich so ein umtriebiges Mannsbild nicht einfach in die Hollywoodschaukel verkriecht, um ein Rentnerleben bei Haferschleim und Kamillentee zu fristen. Ja, es scheint sogar, dass er mit dem Tag, als er aufhörte, Haushaltspläne zu schmieden und Scharmützel mit dem Kommunalverband auszufechten, das Engagement für seine Heimatgemeinde sogar noch steigerte. Ob als Heger und Jäger im herzoglichen Forst oder beim Wegebau entlang des Rennsteigs – überall trifft man auf die Spuren der Leidenschaft für seine Heimat. Dabei animiert er andere nicht durch kluge Sonntagsreden, sondern greift trotz seiner 72 Jahre noch immer persönlich zu Kettensäge, Hacke, und Schaufel. Legt so beispielsweise entlang des Rennsteigs Rastplätze für Wanderer an – erkennbar an den großen Steinplatten, die er mühevoll zu Sitzgarnituren zusammenfügt. Ein Höhepunkt seiner letzten Aktivitäten ist dabei zweifelsfrei der von ihm im vorigen Jahr geschaffene Ausblick am stillgelegten Hangwegsteinbruch, zu dem er uns im Laufe einer ausgedehnten Revierfahrt führte, die wir ihm natürlich nicht abschlagen konnten. Auch nicht abschlagen wollten, denn Egon Stötzer avancierte in jener Zeit, als wir ganz in der Nähe fast anderthalb Jahrzehnte lang das Vierpfennighaus bewirtschafteten, nicht nur zum gern gesehenen Gast, sondern auch zum wahren Freund und guten Ratgeber. Gemeinsam genossen wir schweigend den wunderbaren Panoramablick, der dort oben bis weit hinein ins Thüringer Land reicht. Ausgeschildert ist er übrigens als Spitterblick. Nur 50 Meter abseits vom Rennsteig gelegen, zweigt er kurz vor der Ebertswiese ab. – Hier überkam mich plötzlich das vertraute und leider viel zu selten gewordene Gefühl, zu Hause zu sein.
Nach zwei Stunden führte uns Egon dann zu unserem Ausgangspunkt Neue Ausspanne zurück. Die er einst als Bürgermeister im Jahre 1993 dort, wo der Rennsteig die L 1028 überquert, errichten ließ. Damit füllte er hier, am Kreuzungspunkt zweier uralter Handelsstraßen (denen Tambach-dietharz letztlich seine Entstehung verdankt), eine gastronomische Lücke. In die zwei Jahre nach der Fertigstellung Detlev Clemen als Pächter einzog und seither täglich von 10 bis 18 Uhr bewirtschaftet – und das mit einer solchen Verlässlichkeit, dass beschlossen wurde, hier eines jener Rennsteighäuser zu errichten, in dem die Wanderer tagsüber ausruhen und ihre Ausrüstung instand setzen können. Dass diese zweckmäßige, barrierefreie Einrichtung, in der die Gäste sogar duschen können, sich so blitzsauber präsentiert, ist sicherlich auch der wachsamen Obhut des Wirtes zu verdanken.
Sicherlich wurde die Neue Ausspanne nicht als Gourmettempel konzipiert. Erhebt auch keinen Anspruch darauf, so bezeichnet zu werden. Das Angebot reicht vom frisch zubereiteten Imbiss, über warme und kalte Getränke bis zum Pflaster für die wund gelaufenen Füße. Damit erfüllt Detlev – und manchmal, wenn die Zeit es zulässt, auch seine Frau – alle Kriterien, die ein echter Renner erwartet. In jedem Fall ist die Neue Ausspanne aber ein absolut zuverlässiger Anlaufpunkt. Was nicht nur dem Wanderer zugutekommt, sondern auch zahlreiche Stammgäste angelockt hat, die sich hier oben regelmäßig treffen, um bei einer Bratwurst, einem Bier oder einem Kaffee ein Pläuschchen abzuhalten. Ach ja, der Kaffee. . .
Egon riet mir zu einem Bierchen. Wie immer folgte ich seinem Rat.