Eine völlig verrückte Wahl
Vor drei Jahren haben die Briten für den Brexit gestimmt – trotzdem müssen sie nun an der Europawahl teilnehmen
London. In der rechtspopulistischen Ukip-partei, die immer wieder für den Brexit getrommelt hatte, gibt es jede Menge schräge Vögel. Auch die Kandidaten für die Europawahl haben Seltenheitswert. Einer von ihnen, Mark Meechan, hat seinem Hund beigebracht, die Pfote zu heben und auf die Aufforderung „Sieg Heil“den Hitlergruß zu geben. Der andere, ein Comedian namens Carl Benjamin, nannte die Labour-politikerin Jess Phillips „eine gigantische Zicke“. Ukip hatte schon immer Probleme, seriöse Leute aufzustellen. Aber die Kandidaten, mit denen sie jetzt zu den Europawahlen antritt, sind abseitig wie selten.
Nigel Farage tritt mit neuer Partei an
Moment mal: Europawahlen? Haben die Briten nicht vor fast drei Jahren für den Austritt aus der EU gestimmt? Und war nicht der 29. März als Brexit-tag festgeschrieben? Schon wahr, aber es kam alles anders als versprochen. Weil sich die Regierung mit ihrem Brexit-deal drei Mal im Parlament eine Abfuhr geholt hatte, weil sich das Parlament nicht auf einen alternativen Brexit-kurs einigen konnten und weil weder Regierung noch Parlament einen ungeregelten Ausstieg riskieren wollen. Deshalb ist der Brexit verschoben und Großbritannien bleibt vorerst bis zum 31. Oktober in der EU. Das bedeutet: Das Königreich muss von Rechts wegen am 23. Mai an den Wahlen zum Europaparlament teilnehmen und 73 Abgeordnete bestimmen.
Ukip ist die Partei, die das konservative Establishment bei den letzten Europawahlen 2014 das Fürchten gelehrt und die meisten Sitze errungen hatte. Damals führte noch Nigel Farage, einer der charismatischsten Brexit-propagandisten des Landes, Ukip an. Nach dem gewonnenen Referendum im Juni 2016 trat er zurück – und der Niedergang von Ukip begann. Die Partei driftete nach ganz rechts außen. Jetzt liegt Ukip in den Umfragen bei gerade mal sechs Prozent.
Die Europawahlen in Großbritannien werden nur ein einziges überragendes Thema kennen: den Brexit. Das Land ist immer noch tief gespalten in sogenannte Leaver, die den Austritt wollen, und sogenannte Remainer, die den Brexit für ein Unglück halten. Seit gut einem Jahr gibt es eine beständige Mehrheit für den Verbleib. Zur Zeit würden rund 55 Prozent der Briten die Entscheidung zurücknehmen wollen. Die Leute werden entsprechend ihrer Haltung zu Europa abstimmen.
Da sollte Ukip eigentlich gute Chancen haben – denn ihre zentrale Botschaft ist der kompromisslose Austritt. Doch eine andere Partei gräbt Ukip das Wasser ab. Nigel Farage hat sich wieder zurückgemeldet und die „Brexit-partei“gegründet. Mit genau der gleichen Botschaft, aber populäreren Kandidaten, allen voran Farage selbst. 14 Abgeordnete des Europaparlaments, die ehemals Ukip angehörten, sind übergetreten. In der letzten Yougov-umfrage liegt die „Brexit-partei“mit 30 Prozent noch vor Labour, die 21 Prozent erzielt. Farage hat gute Chancen. Denn eine aktuelle Meinungserhebung unter Wählern der Konservativen Partei zeigt, dass mehr als 60 Prozent von ihnen bei der Europawahl zur „Brexit-partei“schwenken wollen.
Das Remain-lager hat es schwerer. Zwar dürfte stimmen, was der deutsche Spitzenkandidat der Grünen, Sven Giegold, erhoffte, als er sagte, dass die Wahlen „eine Mobilisierung der Proeuropäer in Großbritannien sehen werden, wie wir sie bisher nicht erlebt haben“. Doch die Remain-anhänger sind gespalten. Mindestens drei kleinere dezidiert proeuropäische Parteien bieten sich an: die Grünen, die Liberaldemokraten und die neugegründete „Change Uk“-partei aus Labour-überläufern. Keine von ihnen hat Aussichten, stärkste Partei zu werden.
Die große Frage ist, wie Labour abschneiden wird. Die Position der Arbeiterpartei ist ein weicher Brexit: Man will das Referendumsresultat respektieren, also austreten, aber einen möglichst engen Schulterschluss mit der EU bewahren. Keine Frage ist dagegen, dass die Konservativen eine Klatsche bekommen werden. In der letzten Yougov-umfrage wollten nur 13 Prozent die Regierungspartei wählen. Es gibt keine Strategie, wie man gegen den Erzfeind Farage vorgehen sollte. Parteiaktivisten streiken und wollen keine Flugblätter verteilen. Die Stimmung hat sich völlig gegen die Vorsitzende und Premierministerin Theresa May gekehrt.