Thüringer Allgemeine (Gotha)

Das Nürnberger Chörlein

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Der Vorhof der Wartburg wirkt dank seiner Fachwerkba­uten besonders romantisch. Vor allem ein hölzerner Erker an der Vogtei sticht ins Auge. Hier, so scheint es, ist die mehrfach überbaute Wartburg noch unverfälsc­ht wie eh und je…

Doch warum ist dieser aus der Spätgotik stammende Erker dann auf einem Foto von 1855 noch nicht zu sehen? Wurde das Bild etwa retuschier­t?

Eigentlich stammt dieser Erker aus Nürnberg. Hier hatte er sich während vier Jahrhunder­ten

an einem prächtigen Bürgerhaus befunden. Die Nürnberger sprechen selbst nicht von Erkern, sondern von Chörlein. Einst befanden sich in ihnen kleine Andachtsrä­ume. Später sollen diese Erker auch dafür beliebt gewesen sein, weil man von ihnen aus gut das Geschehen auf der Straße beobachten konnte, ohne selbst gesehen zu werden.

Als 1872 ein solches Nürnberger Haus nebst Chörlein abgerissen werden sollte, erfuhr Großherzog­in Sophie von Sachsenwei­mar und Eisenach davon. Sie erwarb den Erker und ließ ihn auf die Wartburg versetzen. Diese bauliche Ergänzung reiht sich ein in den umfänglich­en Wiederauf au der Burg in der Mitte des 19. Jahrhunder­ts. Damit ist auch klar: Der Erker konnte auf einem Foto von 1855 noch nicht zu sehen sein.

Original oder Kopie? Diese Frage stellt sich angesichts des heutigen Erkers ein weiteres Mal. Schließlic­h wurde das Original in den frühen 1950er-jahren durch einen originalge­treuen Nachbau ersetzt. Zu sehr hatte der Zahn der Zeit dem hölzernen Anbau zugesetzt.

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Früher: Der Vorhof der War burg anno 1855. Statt eines Erkers gibt es an der Vog ei nur ein Fenster.
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FOTO: MIRKO KRÜGER Heute: Der gleiche Vorhof im Jahre 2019, nun mit dem dominanten Erker an der Vog ei.

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