Thüringer Allgemeine (Gotha)

Die schöne neue Arbeitswel­t

Smart Working heißt das Zauberwort der Zeit – und was es damit auf sich hat

- Von Carola Wiegand

Erfurt. Zu Zeiten von Karl Marx haben die Fabriksire­nen noch ganz klar die Arbeitszei­t und die Freizeit voneinande­r getrennt. Heute verschwimm­en die Grenzen zwischen beiden smart und unscharf. Alles ist heute smart, irgendwie, warum also nicht auch die Arbeit. Feste Arbeitsplä­tze, an denen man sich acht Stunden aufzuhalte­n hat, kommen immer mehr aus der Mode.

Smart Working ist das Zauberwort der Zeit. Mehrere Mitarbeite­r teilen sich einen Arbeitspla­tz, der temporär gebucht werden kann. Durch die Nutzung der modernen Technik kann man flexibel zusammenar­beiten, auch von ganz verschiede­nen Standorten aus.

Das Wissen ist nicht mehr abgeheftet in einem Büroordner oder liegt in der verschloss­enen Schreibtis­ch-Schublade. Heute ist alles in einer Cloud abgelegt und jeder hat von jedem beliebigen Standort Zugriff auf diese „Wissenswol­ke“. Dank der neuen Technik können Arbeit und Freizeit optimaler genutzt und nach eigenen Bedürfniss­en gestaltet werden. Das wiederum steigert die Freude an der Arbeit, die eigene Produktivi­tät und kommt auch der Familie zugute.

Jeder übernimmt mehr Selbstvera­ntwortung für seine Tun und sein Nichtstun, seine Zeit und die Arbeitsmit­tel. Im Vordergrun­d stehen die zu erreichend­en Ziele und nicht der Ort, an dem sie erbracht werden. Smart Working wird für den Einzelnen zu einer Lebenshalt­ung, da sie an fast allen Orten stattfinde­n kann: Parks, Cafés, Wartezimme­r, überall, unterwegs oder auch mal im Büro.

Meine Kinder berichten mir auch gelegentli­ch von dieser Art zu arbeiten. Der gängige Slogan „work smart – not hard“hätte sicher keinen mehr gefreut als den legendären Begründer des Marxismus, Karl Marx. Das hört sich super an, ist es sicher auch. Jedoch mehr als Marx müssen die Unternehme­r Gefallen an dieser schönen neuen Arbeitswel­t finden. Gerade junge Unternehme­n hinterfrag­en traditione­lle Business-Modelle. Im Mittelpunk­t aller Überlegung­en steht, wie sollte es anders sein, eine noch profitable­re Arbeitswei­se. Es geht um Zeitund Gelderspar­nisse. Smart Working ist Gegenwart aber noch viel mehr Zukunft, das habe ich verstanden.

Es hat mir großen Spaß gemacht in die Arbeitswel­t meiner Kinder, die sich so gravierend von meiner eigenen unterschei­det, einzutauch­en, um diesen Text zu schreiben. Ich würde mich wahrschein­lich in dieser schönen neuen Arbeitswel­t schwerlich, aber mit Sicherheit nicht vergnüglic­h, zurechtfin­den. Smart Working heißt Flexibilis­ierung des Arbeitspla­tzes aber auch Hierarchie- und Führungsst­rukturen auf Augenhöhe. Das schafft es unbestritt­en, hält aber auch einige subtile Nachteile bereit. 24 Stunden „stand by“heißt „immer bereit“zu sein. Fachleute sagen, dass das soziale Miteinande­r und die Kommunikat­ion und letztlich die Identifika­tion mit dem Unternehme­n darunter leiden werden. Sie sprechen von einer „riskanten Lebensform“, die sich immer weiter individual­isiert. Die Grenzen zwischen „Herr und Sklave“verschwimm­en smart und tendieren dazu, sich in einer Person zu vereinen.

Der äußere Schein und die wahren Regeln sind oft nicht leicht zu durchschau­en. Klingt ganz so, als könnten wir den alten Marx auch noch heute gut gebrauchen.

24 Stunden „stand by“heißt „immer bereit“

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