Bei Anruf Ministerin
Das SPD-Personalkarussell dreht sich: Christine Lambrecht wird Justizministerin. Thomas Kutschaty und Franziska Giffey preschen vor
Wiesbaden. Auf dem vielerorts engen Wohnungsmarkt in Deutschland ist keine Entspannung in Sicht: In den ersten vier Monaten dieses Jahres wurden weniger Baugenehmigungen erteilt als im Vorjahreszeitraum. Die Behörden gaben grünes Licht für den Neubau von gut 105.800 Wohnungen, wie das Statistische Bundesamt am Mittwoch mitteilte. Das waren nach Angaben der Wiesbadener Behörde fast 1500 Einheiten oder 1,3 Prozent weniger als vor Jahresfrist.
Eine Steigerung gab es den Angaben zufolge nur bei Einfamilienhäusern mit plus 2,2 Prozent auf 29.013 Bauvorhaben. Bei allen übrigen Gebäudearten registrierten die Statistiker Rückgänge. Besonders deutlich war dies bei Zweifamilienhäusern (minus 5,2 Prozent auf 6546 Bauvorhaben). Bei Mehrfamilienhäusern blieben die Genehmigungen mit insgesamt 53.388 um 0,5 Prozent unter dem Wert des Vorjahreszeitraums.
Um die große Nachfrage nach Immobilien zu decken, müssen nach Einschätzung von Politik und Bauwirtschaft in Deutschland jährlich 350.000 bis 400.000 Wohnungen entstehen. Im vergangenen Jahr wurde der Neubau von knapp 302.800 Wohnungen in reinen Wohngebäuden genehmigt.
Inklusive Nichtwohngebäuden gab es im gesamten Jahr 2018 gut 347.000 Genehmigungen. Gebremst wird die Zahl der Neubauten dadurch, dass Flächen in Ballungsräumen knapp sind und die Preise deutlich angezogen haben. (dpa) Berlin. Als am Mittwochmorgen bei Christine Lambrecht das Handy klingelte und Malu Dreyer dran war, dachte sich die Angerufene zunächst nichts dabei. „Ich habe geglaubt, sie will mir zum Geburtstag gratulieren.“Das machte die kommissarische SPD-Chefin Dreyer auch. Dann kam noch etwas, was das 54 Jahre alte Geburtstagskind Lambrecht ein paar Stunden später bei einer eiligst einberufenen Präsentation in der Parteizentrale als „Gänsehautmoment“beschrieb.
Dreyer informierte Lambrecht, dass sie vom 1. Juli an nicht mehr zur Arbeit als parlamentarische Staatssekretärin zu Olaf Scholz ins Bundesfinanzministerium fahren wird, sondern als Chefin ins Bundesjustizministerium . Die hessische Bundestagsabgeordnete wird Nachfolgerin von Katarina Barley. Die gibt das Amt schweren Herzens auf. Die Spitzenkandidatin der SPD bei der Europawahl wechselt ins EU-Parlament nach Brüssel.
Klar war, dass es nach Barley wieder eine Frau werden musste. Die SPD vergibt die ihr zustehenden sechs Ministerposten nach einer 50:50-Quote. Lambrechts Name fiel hin und wieder, stand auf der Favoritenliste aber hinten. Mit dem Rücktritt der Partei- und Fraktionsvorsitzenden Nahles wurden die Karten neu gemischt. Stefanie Hubig winkte endgültig ab. Die Bildungsministerin in RheinlandPfalz war unter Heiko Maas Staatssekretärin im Bundesjustizministerin. Auch Nancy Faeser, Generalsekretärin der Hessen-SPD und designierte Landeschefin, scheute den Wechsel nach Berlin ins Bundeskabinett. Wer weiß schon, wie lange die Koalition hält? In der SPD wollen viele nur noch raus aus der GroKo. Die Entscheidung könnte auf einem Parteitag im Dezember oder früher fallen. An diesem Montag will der Parteivorstand einen Fahrplan verabschieden und klären, ob es eine Doppelspitze geben soll.
Ist Lambrecht also eine reine Verlegenheitslösung, weil die GroKo Weihnachten vielleicht Geschichte ist? Damit täte man der Volljuristin unrecht. Der amtierende Co-Parteichef Thorsten Schäfer-Gümbel, wie Lambrecht aus Hessen, zählte minutiös auf, was sie auf dem Kasten hat. Seit 20 Jahren ist sie im Bundestag, hat sich als Rechts- und Innenexpertin einen Namen gemacht, befasste sich mit der Ehe für alle und der Gleichstellung. 2013 beförderte sie der damalige Fraktionschef Thomas Oppermann zur parlamentarischen Geschäftsführerin – als erste Frau. Lambrecht, die dem linken Flügel angehört, hielt die Strömungen zusammen. Bei ihrem ersten Auftritt als Ministerin in spe trat sie souverän auf. Sie wolle dafür sorgen, dass die Bürger sich sicher und zugleich vor überflüssigen Eingriffen des Staates geschützt fühlen. Beim „unfassbaren Mord“an dem hessischen CDU-Politiker Walter Lübcke kämen Erinnerungen an die rechte Terrorgruppe NSU hoch. Der Kampf gegen rechts sei Staatsräson, sagte Lambrecht: „Wir akzeptieren keine Rechtsextremen in unserer Mitte.“Daneben muss sie sich um das Mega-Thema Mieten und Wohnen kümmern. Barley war da sehr aktiv, setzte gegen die Union eine verschärfte Mietpreisbremse durch. Auch will die SPD den in Berlin eingeführten fünfjährigen Mietendeckel bundesweit einführen – was die Union strikt ablehnt.
Derweil wächst in der SPD die Unruhe. Der Chef der NRWLandtagsfraktion, Thomas Kutschaty, brachte sich als möglicher Bewerber für die NahlesNachfolge ins Gespräch: „Großen Herausforderungen darf man nicht hinterherlaufen, man darf aber auch nicht davor weglaufen.“Mit einer Nacht Abstand will Kutschaty das nicht als direkte Bewerbung verstanden wissen. Sondern eher als Appell, dass andere aus der Deckung kommen sollten. Bei der Spitze der NRW-SPD, die von Kutschatys Rivalen Sebastian Hartmann geführt wird, kam das nicht gut an. Von einem wenig durchdachten „PR-Manöver“des Ex-Landesjustizministers ist die Rede.
„Wir akzeptieren keine Rechtsextremen in unserer Mitte.“
Christine Lambrecht, neue Justizministerin
Noch jemand platzierte eine Bewerbungsrede. Franziska Giffey rief ihre Partei in der „Süddeutschen Zeitung“auf, eine „glasklare Antwort“auf Clankriminalität und auf Leute zu geben, „die den Staat ausnutzen“. Die SPD habe sehr auf soziale Integration gesetzt. „Das ist richtig“, sagte die Ex-Bürgermeisterin des Berliner Brennpunktbezirks Neukölln. „Aber zur ausgestreckten Hand gehört auch das Stopp-Signal.“
Über Giffey hängt jedoch das Damoklesschwert, dass ihre Doktorarbeit auf Plagiate geprüft wird. In einer SPD, die Richtung zehn Prozent taumelt, könnte es womöglich egal sein, ob eine künftige Parteivorsitzende akademische Würden besitzt oder nicht. Wichtig sei, dass die neue Spitze „Bauch und Herz“der Wähler erreiche, sagte Giffey.