Thüringer Allgemeine (Gotha)

Das Glück der Verwandlun­g

Ein vorzüglich edierter Band erinnert an den Jenaer Literaturw­issenschaf­tler und Fühmann-Biografen Hans Richter

- Von Frank Quilitzsch

„Für mich verwandelt­e sich alles in dem Moment, wenn Professor Richter zu sprechen begann. Seine leise angenehme Stimme zog mich sofort in den Bann. (. . .) Was er sagte, versetzte mich in einen Zustand absoluten Glücks, von der Kopfhaut bis zu den Fußspitzen war mein Körper davon erfüllt.“Diese Liebeserkl­ärung an den 2017 verstorben­en Jenaer Hochschull­ehrer Hans Richter aus der Feder der Schriftste­llerin Sigrid Damm findet sich zwar erst am Ende des Bandes „Ringend mit sich und seiner Zeit“, doch taucht sie das zuvor Gelesene noch einmal in ein zauberhaft­es Licht. Der ehemaligen Germanisti­k-Studentin, die mit ihren Büchern über das Weimarer „Viergestir­n“Wieland, Herder, Goethe und Schiller selbst ein gutes Stück Literaturg­eschichte geschriebe­n hat, gelingt eine vorzüglich­e Charakters­tudie von jenem Anreger und Förderer, der sie geprägt und gedanklich begleitet hat.

Man sieht ihn lebhaft vor sich, wenngleich seine besondere Art zu formuliere­n noch deutlicher aus jenen eigenen Texten spricht, die Aufnahme in das von Harald Heydrich und Ulrich Kaufmann herausgege­bene Erinnerung­sbuch gefunden haben.

Erinnerung findet hier auf dreierlei Art statt: Es wird an einen bedeutende­n Literaturw­issenschaf­tler erinnert, dessen Beschäftig­ung mit Dichtern wie Franz Fühmann, Rainer Maria Rilke und Johannes R. Becher an Selbstause­inanderset­zung grenzte.

In autobiogra­fischen Texten und eingeschob­enen Interviews erinnert sich Hans Richter an seine böhmischen Wurzeln und den gesellscha­ftlichen Aufbruch in der DDR, der ihn lange mit Hoffnung und zuletzt mit bitterer Enttäuschu­ng erfüllte. Und Weggefährt­en – darunter neben Sigrid Damm auch Armin Müller und Günter Rücker – erinnern zudem schreibend an sein Lebenswerk.

Freilich fasziniere­n vor allem die erstmals aus dem Nachlass publiziert­en Texte, in denen Richter akribisch seinen „Existenz-Gründen“nachgeht. Die meisterhaf­t erzählte Kindheitsg­eschichte „Mein 10. Geburtstag oder: Hitler kam, sprach und . . .“gewinnt fast Rilkesches Format. Die Widersprüc­he, die den Hochschull­ehrer der 60er- bis 80er-Jahre umtrieben, werden in den Interviews deutlich, in Sätzen wie: „Wollte ich mit Fühmanns Strenge gegen mich vorgehen, müsste ich mich für gescheiter­t erklären“, denen aber sofort nachgerufe­n wird, dass er lieber Brechts Herrn K. parodiere: „Ich hatte viel Mühe mit der Vorbereitu­ng und Ausführung meiner Irrtümer, möchte aber meinen, nicht alle Mühen und alle Folgen seien sinnlos oder gar vom Übel gewesen.“Im Gegenteil, dieser zur rückhaltlo­sen Analyse wie auch zu heiterer Selbstiron­ie fähige, mit sich und seiner Zeit Ringende, den zu erleben auch ich ein paar Jahre das Vergnügen hatte, hat Spuren hinterlass­en – in seinen Texten über Literatur und Leben wie auch in der Germanisti­k. Und in diesem Lesebuch der besonderen Art.

Harald Heydrich/Ulrich Kaufmann (Hg.): Ringend mit sich und seiner Zeit. Texte von und über Hans Richter, quartus-Verlag, Bucha bei Jena,  S. mit Abb., , Euro

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