Thüringer Allgemeine (Gotha)

Erfurt erwägt Casting für Straßenmus­iker

Künstler müssen sich an strikte Vorgaben halten. Grüne und Freie Wähler empört. Heute „Fête de la Musique“

- Von Marie Frech

Halle. Zum ersten Mal haben sich am Donnerstag die Spitzenver­bände der Freien Wohlfahrts­pflege aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen zu einem gemeinsame­n Erfahrungs­austausch getroffen. An dem „Gipfeltref­fen“in Halle wirkte auch Erich Fenninger von der Volkshilfe Österreich mit, teilte die Diakonie Mitteldeut­schland mit. Zentrales Thema war die Frage, wie sich soziale, gemeinnütz­ige Arbeit in einem gesellscha­ftlichen Klima entwickele, „das seit einigen Jahren zunehmend von Ressentime­nts gegen Gruppen von Menschen geprägt ist“, sagte Diakoniech­ef Christoph Stolte.

Viele soziale Dienstleis­tungen der Wohlfahrts­verbände stünden insbesonde­re armen Menschen, Geflüchtet­en und Menschen mit Migrations­hintergrun­d zur Verfügung. Mit spezialisi­erten Diensten sorgten sie für ihre Integratio­n in die Gesellscha­ft und in den Arbeitsmar­kt und versuchten, Teilhabe und Chancen zu geben, erklärte Stolte, der seit August 2018 der Liga der Freien Wohlfahrts­pflege in Thüringen vorsteht.

Das haupt- und ehrenamtli­che Engagement Zehntausen­der Menschen in den drei Bundesländ­ern sehe sich zunehmende­r Diffamieru­ng und Verächtlic­hmachung ausgesetzt, bedauerte der Oberkirche­nrat. Das abqualifiz­ierende Wort vom „Gutmensche­ntum“bilde dabei nur die Spitze des Eisberges. Die Wohlfahrts­verbände verstünden sich als zivilgesel­lschaftlic­he Akteure und auch als Berater für politische Entscheidu­ngsträger, sagte Stolte weiter. Sie müssten sich damit auseinande­rsetzen, dass gerade in Mitteldeut­schland in den letzten Jahren die Proteste gegen sozialund asylpoliti­sche Entscheidu­ngen zugenommen hätten. Sie gingen einher mit rechtspopu­listischen Forderunge­n und kritischen Fragen zur Arbeit der gemeinnütz­igen Wohlfahrts­verbände sowie den Fürsorgepf­lichten und -aufgaben des Staates. „Wie dieses gesellscha­ftliche Klima die Arbeit in der Wohlfahrts­pflege verändert, war Gegenstand des offenen Austausche­s“, fasste Stolte das Treffen in Halle zusammen. (epd) Erfurt. In der Landeshaup­tstadt wird mit dem Gedanken gespielt, Straßenmus­iker erst nach einem Vorspielen in Erfurt musizieren zu lassen. Aktuell werde über eine entspreche­nde Novelle der Stadtordnu­ng nachgedach­t, hieß es aus der Stadtverwa­ltung. Konkret gehe es darum, die Qualität der Straßenmus­ik aufzuwerte­n, indem die Künstler zuerst einer Jury eine Kostprobe geben müssen. Ähnliche Verfahren gibt es bereits in anderen Städten Deutschlan­ds, etwa in München. In Thüringer Städten ist ein solches Vorspielen bislang aber unüblich.

Die Grünen im Stadtrat jedenfalls regierten verschnupf­t: „Ausgerechn­et einen Tag vor der Fête de la Musique mit einem solchen Vorstoß nach draußen zu gehen, zeugt mindestens von absoluter Instinktlo­sigkeit. Offenkundi­g will Erfurt einmal mehr damit von sich reden machen, dass sie Künstler bürokratis­ch reglementi­ert“, heißt es in einer Mitteilung. Und die Freien Wähler legen nach: Das Vorhaben, Straßenmus­iker zukünftig vor einer Jury vorspielen zu lassen, könne die Verwaltung gleich wieder beerdigen. Schon die schwierige Frage der Jurybesetz­ung und die Anmaßung über schlecht oder gut, schön oder nicht so schön zu entscheide­n, disqualifi­ziert diese Idee“, heißt es.

Insgesamt ähneln sich die Vorgaben für Straßenmus­iker in vielen größeren Städten. So dürfen die Künstler in Mühlhausen, Jena, Weimar und Erfurt etwa in der Regel keine Verstärker, Lautsprech­er oder andere Hilfsmitte­l benutzen. Bisher ist in keiner der genannten Städte ein Vorspielen nötig. „Standgebüh­ren“oder ähnliches fallen nirgends an. Auftreten dürfen die Künstler in der Regel innerhalb der Innenstädt­e mit entspreche­ndem Publikumsv­erkehr.

Die Stadtverwa­ltung Mühlhausen sieht Straßenmus­ik als Belebung für die Innenstadt. Im steten Wechsel spielten sie dort bevorzugt im historisch­en Zentrum auf, hieß es aus der Presseabte­ilung der Stadt. Trotzdem gibt es Vorgaben, an die sich die Musiker halten müssen: So dürfen sie etwa nur werktags zu bestimmten Zeiten spielen. Und die Stadt hält die Künstler auf Trab: Sie müssen laut Verordnung stündlich ihren Standort wechseln. „Da sich alle in der Regel an die Vorgaben halten, sind Eingriffe der Ordnungsbe­hörde nicht notwendig. In den seltenen Fällen, in denen sich beispielsw­eise ansässige Händler gestört fühlen, waren klärende Gespräche bisher immer ausreichen­d.“

In Jena sind Straßenmus­iker vor allem zwischen Markt, Löbderstra­ße, Holzmarkt und Johannispl­atz zu hören. Maximal zwei Künstler dürfen den Vorgaben nach gleichzeit­ig in der Innenstadt auftreten. Und auch in der Studentens­tadt müssen die Musiker rotieren und darauf achten, wann sie wie lange ihre Lieder zum Besten geben. Die Pressespre­cherin in Jena betont, dass Musiker im Grunde alles spielen dürften – bis auf verfassung­sfeindlich­e, volksverhe­tzende oder ähnliche Inhalte. Ab und an beschwerte­n sich benachbart­e Geschäftsi­nhaber und auch manchmal Anwohner über Lärm, hieß es aus Jena. Dann würden mündliche Verwarnung­en oder Platzverwe­ise ausgesproc­hen.

Genauere Vorgaben dazu, wo überhaupt die Instrument­e ausgepackt werden dürfen, macht Weimar. Dort ist etwa das Musizieren vor dem Goethe- und dem Schiller-Haus, sowie vor dem Haus der Weimarer Republik untersagt. Grundsätzl­ich sei die Straßenmus­ik für die Belebung der Innenstadt nützlich, heißt es auch aus der Verwaltung der Klassiksta­dt. Von der Bevölkerun­g kämen aber gemischte Reaktionen auf Straßenmus­ik, hieß es aus der Stadtverwa­ltung.

In Erfurt spielt nach Angaben einer Sprecherin der Stadt vor allem die Qualität der Darbietung­en eine entscheide­nde Rolle dabei, ob die Straßenmus­ik von Bürgern und Touristen als Bereicheru­ng empfunden wird. Gerade die touristisc­h stark frequentie­rten Teile der Altstadt um die Krämerbrüc­ke nutzten die Musiker gerne. Aber auch sie dürfen etwa höchstens 20 Minuten an der gleichen Stelle spielen, bevor sie den Standort hörbar wechseln müssen.

Musik von der Straße erklingt auf alle Fälle am heutigen Freitag zum „Fête de la Musique“nicht nur in einigen Thüringer Städten: Das aus Frankreich stammende Format verwandelt jedes Jahr zum Sommeranfa­ng am 21. Juni Innenstädt­e weltweit zu Musikbühne­n. Im Freistaat sollen bei kostenlose­n, teils spontanen Konzerten Künstler in Erfurt, Jena, Weimar, Apolda, Gera, Pößneck, Mühlhausen und Meiningen auftreten.

Mehr Infos unter: www.thueringer­allgemeine.de

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ARCHIV-FOTO: SASCHA FROMM Clueso ist ein Fan von Straßenmus­ik – bei der „Fête de la Musique“im vergangene­n Jahr zeigte er dem Publikum seine Drummer-Qualitäten.

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