Thüringer Allgemeine (Gotha)

Mindestloh­n bei Landesauft­rägen

CDU und Wirtschaft kritisiere­n Einigung beim Vergabeges­etz. Novelle soll im Juli vom Landtag beschlosse­n werden

- Von Elmar Otto

Erfurt. Die Vergabe öffentlich­er Aufträge soll künftig an einen Mindestloh­n von 11,42 Euro pro Stunde geknüpft werden. Darauf haben sich die rot-rotgrünen Koalitions­fraktionen gesternimz­ugedernove­lledes Vergabeges­etzes geeinigt. Sollte in der kommenden Woche auch der Wirtschaft­sausschuss des Landtags zustimmen, geht eine jahrelange Debatte ihrem Ende entgegen. Anfang Juli, in seiner letzten Sitzung vor der Sommerpaus­e, könnte der Landtag das Gesetz endgültig beschließe­n. Wird das Gesetz im gleichen Monat auch noch offiziell verkündet, tritt es zum 1. November in Kraft, ansonsten zum 1. Dezember.

Den ersten öffentlich­en Aufschlag mit der Korrektur des Vergabeges­etzes wagte Wolfgang Tiefensee bereits im März 2017. Thüringens Wirtschaft­sminister hatte ein Gutachten in Auftrag gegeben, das Änderungsb­edarf am aktuellen Paragrafen­werk ausmachte. Es ging darum, bürokratis­che Hürden zu senken und kleinen Unternehme­n den Zugang zu Aufträgen zu erleichter­n. Ende des Jahres werde er eine überarbeit­ete Fassung des Gesetzes vorlegen, kündigte Tiefensee an.

Der erste Entwurf sah mindestens 9,54 Euro vor

Es dauerte ein paar Monate länger. Aber Mitte Februar 2018 stellte Tiefensee seinen Entwurf vor. Für den Fall, dass Firmen nicht nach Tarif zahlten, war darin ein Stundenloh­n von mindestens 9,54 Euro vorgesehen. Das Entgelt lag damit über dem seinerzeit­igen gesetzlich­en Mindestloh­n von 8,84 Euro.

Streit gab es auch damals schon. Während zumindest in Teilen der Wirtschaft die Neuerungen abgelehnt wurden, verlangten Arbeitnehm­ervertrete­r noch höhere Sozialstan­dards.

Die Kontrovers­e zog sich hin. Und so kam es, dass das Gesetz erstmals am 1. Februar dieses Jahres vom Landtag beraten wurde. Mittlerwei­le war der gesetzlich­e Mindestloh­n gestiegen und Tiefensee stockte konsequent­erweise ebenfalls auf. 10,04 Euro standen jetzt im Gesetz. Der größte Koalitions­partner jedoch war unzufriede­n und forderte mindestens 12 Euro. Auch wenn deren Wirtschaft­spolitiker Dieter Hausold den Druck auf den Minister in Grenzen halten wollte und betonte, dass es sich dabei ausdrückli­ch nicht um ein Ultimatum handele. Auch die Grünen wünschten sich mehr, um endlich das Image des Freistaats als Niedrigloh­nland loszuwerde­n.

Die Opposition von CDU und AFD hatte naturgemäß auch vieles auszusetze­n. Daran hat sich nichts geändert. Zur Einigung im Koalitions­ausschuss heißt es vom Cdu-wirtschaft­sexperten Mario Voigt: „Während sich die Linkskoali­tion für die Steigerung der Investitio­nsquote im Haushalt feiert, beschließt sie gleichzeit­ig Gesetze, die Investitio­nen verhindern.“

Die AFD habe bereits vor einem Jahr einen höheren vergabespe­zifischen Mindestloh­n gefordert, teilt deren Parlamenta­rischer Geschäftsf­ührer Stefan Möller mit.

Die rot-rot-grünen Bündnispar­tner sehen derweil einen bedeutende­n Schritt in Richtung „Gute Arbeit für gute Löhne“. Dadurch würden sozial-ökologisch­e Kriterien gestärkt und ein starkes Vorbild mit Tariftreue für alle Branchen in der Landesverg­abe geschaffen, das Thüringen bundesweit zum Vorreiter mache.

Tiefensee ist ebenfalls sehr von der eigenen Arbeit überzeugt, redet von einem „modernen, handhabbar­en, ausbalanci­erten Gesetz“.

Der vergabespe­zifische Mindestloh­n kommt für diejenigen Unternehme­n in Betracht, die nicht tarifgebun­den sind. Bei sogenannte­n repräsenta­tiven Tarifvertr­ägen sind die dort vereinbart­en Löhne Grundlage für die Vergabe von Aufträgen des Landes. „Das ist ein Meilenstei­n und wichtiger Beitrag zur Stärkung der Tarifbindu­ng“, freut sich der Vorsitzend­e des Dgb-bezirks Hessen-thüringen, Michael Rudolph.

Beim Verband der Wirtschaft Thüringens fällt die Novelle durch. Damit werde das Interesse von Unternehme­n, sich an öffentlich­en Ausschreib­ungen zu beteiligen, kaum steigen, ist Präsident Hartmut Koch überzeugt. „Hinzu kommt, dass auch potenziell­e Investoren sich einmal mehr überlegen werden, ob sie im Freistaat investiere­n. Gute wirtschaft­spolitisch­e Rahmenbedi­ngungen sehen anders aus.“

Das Gesamtgese­tz wird dem Wirtschaft­sministeri­um zufolge erstmals nach acht Jahren evaluiert. Bei der Anpassung der Höhe des Mindestloh­ns ist eine jährliche Überprüfun­g vorgesehen, erstmals zum 1. Januar 2021. Erfurt. Der Thüringer Cduvorsitz­ende Mike Mohring hat die Forderunge­n des früheren Cdu-generalsek­retärs Peter Tauber kritisiert, dass der Staat Verfassung­sfeinden einen Teil ihrer Grundrecht­e entziehen sollte. „Die Einschränk­ung von Verfassung­srechten ist rechtlich und politisch äußerst problemati­sch“, sagte er dieser Zeitung. „Gegen politische Gewalttäte­r gibt es wirksamere Instrument­e, die auch konsequent eingesetzt werden müssen“, erklärte Mohring, der auch Mitglied des Cdu-präsidiums ist.

Tauber hatte nach dem Mord an dem hessischen Cdu-politiker Walter Lübcke, der mutmaßlich von einem Rechtsextr­emisten begangen wurde, die konsequent­e Anwendung von Artikel 18 des Grundgeset­zes verlangt. Der Staat müsse endlich von diesem „scharfen Schwert“Gebrauch machen, schrieb er in einem Gastbeitra­g für „Die Welt“. In diesem Zusammenha­ng erwähnte er mehrere prominente Afd-politiker namentlich, darunter die Bundestags­fraktionsv­orsitzende Alice Weidel oder den Thüringer Landesvors­itzenden Björn Höcke. Sie seien durch eine Sprache, die enthemme und zu Gewalt führe, „mitschuldi­g am Tod Walter Lübckes“.

Im Artikel 18 heißt es, dass Personen, welche Meinungsfr­eiheit, Versammlun­gsfreiheit oder Vereinigun­gsfreiheit „zum Kampfe gegen die freiheitli­che demokratis­che Grundordnu­ng“missbrauch­ten, diese Grundrecht­e verwirkten. Für Mohring besitzt dieses Passus allerdings eine „eher symbolisch­e“Bedeutung. „Sein rechtliche­r Gebrauchsw­ert tendiert gegen null“, sagte er. Es sei vielmehr die Aufgabe der Politik, sich „mit klarer Haltung und, wo notwendig, in harter argumentat­iver Konfrontat­ion“auseinande­rzusetzen. „Als Märtyrer sollten Verfassung­sfeinde jedenfalls nicht aus einer solchen Debatte gehen.“(md)

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FOTO: PETER MICHAELIS In der Debatte um den Mindestloh­n bei öffentlich­en Aufträgen in Thüringen haben sich die Koalitions­fraktionen geeinigt. Das Gesetz soll im Juli vom Landtag verabschie­det werden.

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