Thüringer Allgemeine (Gotha)

Wie sieht unser Wald der Zukunft aus?

Beim Talk „Am Anger“blicken die Forstminis­terin und ein Artenschut­zexperte auf Thüringens größten Patienten, dem es nach zwei Dürrejahre­n miserabel geht

- Von Sibylle Göbel

Erfurt. Den immer neuen Schreckens­meldungen dieses Frühjahrs und Sommers konnte sich kaum jemand entziehen: Nach zwei extremen Dürrejahre­n in Folge geht es dem Thüringer Wald, der immerhin ein Drittel der Fläche des Freistaate­s ausmacht, miserabel. Das Grüne Herz Deutschlan­ds, es leidet.

Etwa drei Millionen Festmeter Fichte sind – Stand jetzt – vom Borkenkäfe­r befallen, weil die Bäume wegen Wassermang­els nicht mehr ausreichen­d Harz zur Abwehr des Schädlings bilden konnten. Und selbst die bislang als robust geltenden Buchen, die noch fast allen Unbilden trotzten, sterben infolge der Trockenhei­t zu Zigtausend­en ab. 40.000 Hektar Waldfläche sind allein in Thüringen bereits ein Opfer der Dürre geworden. Das entspricht der Fläche von 56.000 Fußballfel­dern oder der des gesamten Stadtgebie­ts der Millionens­tadt Köln.

Doch so dramatisch die Lage auch ist: Martin Görner, Leiter der Arbeitsgru­ppe Artenschut­z Thüringen, sieht für den Artenschut­z trotzdem nicht schwarz. Nicht nur, weil der Thüringer Wald auch in der Vergangenh­eit schon schwierige Phasen durchgemac­ht hat – beispielsw­eise Anfang der 60er-Jahre, als der Wald ebenfalls unter großer Trockenhei­t litt und ein großes Buchenster­ben einsetzte. Sondern auch, weil aus Görners Sicht die Natur ganz allein kahl gewordene Flächen zurückerob­ert.

Beim Polit-Talk, zu dem die Moderatore­n Sarah Kolling von Salve TV und TA-Chefredakt­eur Jan Hollitzer neben Görner auch Thüringens Forstminis­terin Birgit Keller (Linke) eingeladen haben, geht der Artenschüt­zer sogar so weit zu sagen, dass Kahlschlag­flächen von maximal vier Hektar Größe, wie sie früher das Landschaft­sbild prägten, aus Sicht der Artenschüt­zer durchaus einen Sinn hatten. Denn dort stellten sich, sagt Görner, ganz von allein und ohne Zutun des Menschen Arten ein, die lichte Flächen schließen und zum jeweiligen Standort und den jeweiligen Verhältnis­sen passen.

Der Ziegenmelk­er etwa, „eine hochbedroh­te Vogelart“, siedele sich auf solchen offenen Flächen an, während andere Arten infolge des Klimawande­ls geradezu schlagarti­g verschwänd­en. Selbst die Auerhühner, die Thüringenf­orst gerade erst ausgewilde­rt hat, stellt Görner keine gute Prognose aus. „Ich warne“, sagt der Leiter der Arbeitsgru­ppe Artenschut­z, „deshalb vor Schnellsch­üssen beim Waldumbau. Ein flächendec­kendes Aufforstun­gsprogramm wäre gar nicht so gut.“

Görner plädiert stattdesse­n dafür, neben den Arealen, auf denen Waldumbau stattfinde­t und wieder aufgeforst­et wird, immer auch ein paar Flächen frei zu lassen. Ganz abgesehen davon, dass es aus seiner Sicht wenig bringe, jetzt Flächen aufzuforst­en, wenn es am Ende nicht wesentlich mehr Niederschl­äge gibt. Denn dann gingen die jungen Bäumchen gleich wieder ein.

Forstminis­terin Birgit Keller, die Görners Ausführung­en aufmerksam verfolgt, findet, dass Artenschut­z und Waldbewirt­schaftung keine Gegensätze sind: Genau deshalb werde in Thüringen bereits seit einem Vierteljah­rhundert naturnaher Waldumbau forciert. Da, wo Flächen gerade infolge des Klimawande­ls kahl werden, müsse man sowohl auf Naturverjü­ngung als auch Aufforstun­g mit Bäumen, die standortge­recht und klimabestä­ndig sind, setzen.

Dazu, so Keller, werde auch im Forstliche­n Forschungs­zentrum in Gotha eifrig geforscht – und dank personelle­r Verstärkun­g in Zukunft sogar noch intensiver. Naturverjü­ngung allein reicht aus ihrer Sicht nicht aus: Denn Holz speichere nicht nur CO2, es sei auch als nachwachse­nder Rohstoff für die Bauwirtsch­aft von zunehmende­r Bedeutung. Das auch vor dem Hintergrun­d, dass der Abbau von Naturgips immer mehr Gegner auf den Plan ruft, anderersei­ts aber infolge der Energiewen­de der sogenannte REAGips als Kraftwerks­nebenprodu­kt in einigen Jahren nicht mehr verfügbar ist.

Deshalb müsse auch in dem Maße, wie etwa vom Borkenkäfe­r befallene Fichten aus dem Wald geholt werden, wieder aufgeforst­et werden. „Das ist absolut notwendig“, betont die Ministerin. Dazu brauche es jedoch nicht nur zusätzlich­e Flächen, auf denen vor allem die staatseige­ne Forstbaums­chule in Breitenwor­bis, aber auch private Baumschule­n Setzlinge heranziehe­n, sondern vor allem auch mehr Leute: Waldarbeit­er, die Flächen sichten, Schäden aufnehmen, Bäume fällen und auch neu pflanzen. Keller ist deshalb heilfroh, dass der Mitte August verabschie­dete „Aktionspla­n Wald 2030ff“– ein Nothilfepr­ogramm gegen das Waldsterbe­n – auch dafür die notwendige­n Mittel für die nächsten zehn Jahre bereitstel­lt. Schon jetzt seien zwischen 60 und 80 Waldarbeit­er zusätzlich im Einsatz.

Nachdem die Ministerin so viel über den Wald als Wirtschaft­sfaktor gesprochen hat, will es TA-Chefredakt­eur Jan Hollitzer noch einmal genauer wissen: Wie sieht es mit stillgeleg­ten Waldfläche­n aus – sind nicht gerade sie ein Garant für großen Artenreich­tum? Immerhin habe Thüringen das Ziel, mindestens fünf Prozent des Waldes dauerhaft der forstwirts­chaftliche­n Nutzung zu entziehen, schon erreicht.

Ministerin Keller nickt – und nur ihr angestreng­tes Pokerface verrät, dass sie nicht so gern an das Ringen mit dem Grünen-geführten Umweltmini­sterium um die geeigneten Flächen zurückdenk­t.

Artenschut­zexperte Görner indes muss keine Rücksicht auf Koalitions­partner nehmen und sagt frei von der Leber weg, wovon er zutiefst überzeugt ist: Dass es ein Irrglaube sei anzunehmen, Waldwildni­s bedeute automatisc­h auch Artenreich­tum. „Wald, der aus forstwirts­chaftliche­r und forstökono­mischer Sicht optimal bewirtscha­ftet wird, ist viel artenreich­er als Wälder, die sich selbst überlassen sind“, sagt der Experte, der selber Forstingen­ieur ist. „Die Forstleute können durch ihr Tun, etwa durch das Auslichten, derart eingreifen, dass Arten gefördert werden.“

Außerdem: In einem stillgeleg­ten Wald werde anders als in einem optimal bewirtscha­fteten Wald CO2 nicht für Jahrzehnte und Jahrhunder­te gebunden. Spätestens dann nämlich, wenn die dort gewachsene­n Bäume umbrechen und wieder zu Erde werden, werde das Gas wieder freigesetz­t. „Insofern hat das keine Funktion.“

„Aber stillgeleg­te Wälder haben doch auch ihre schöne Seiten“, wendet Hollitzer ein und verweist auf die Wildkatze, die im Nationalpa­rk Hainich wieder beheimatet ist. Martin Görner reagiert mit einem entschiede­nen Nein: „Die Wildkatze braucht keine nichtbewir­tschaftete­n Wälder. Im Gegenteil.“Dort, wo sie zum Beispiel Strukturel­emente wie Holzpolter vorfinde, also auf einem Sammelplat­z bereitgele­gtes Holz, habe sie viel mehr Versteckmö­glichkeite­n als in allen anderen Wäldern. Und überhaupt: Die Wildkatze verbringe als Mäusefress­er nur einen Teil ihres Lebens im Wald.

Aber warum gibt es dann überhaupt Waldwildni­s-Flächen, haken Hollitzer und Co-Moderatori­n Sarah Kolling nach. Dafür, antwortet Thüringens oberster Artenschüt­zer, könne nicht einmal das Bundesamt für Naturschut­z eine wirklich nachvollzi­ehbare Begründung geben. Görner macht keinen Hehl daraus, dass er die „romantisch­e Vorstellun­g“, die vor allem die städtische Bevölkerun­g vom schönen grünen Wald habe, für den Auslöser der ideologisc­h geführten Debatte darüber hält, dass ein gewisser Prozentsat­z Wald aus der Bewirtscha­ftung herausgeno­mmen werden soll.

„Viele Menschen denken, dass der Wald, wenn niemand eingreift, am ehesten unseren Vorstellun­gen entspricht“, sagt Görner. Dabei könne man selbst beim tropischen Regenwald heute nicht mehr von Urwald im eigentlich­en Sinne sprechen. Man müsse einen Wald schon 500 bis 600 Jahre sich selbst überlassen, ehe er wieder eine Art Urwald werde. Und selbst dann treffe die Bezeichnun­g Urwald nicht mehr zu: „Denn wir haben nicht mehr die Welt von 1200, von 1500 und von 1800.“

Ministerin Keller findet, dass es Aufgabe der Wissenscha­ft sein muss, die Frage zu beantworte­n, ob nun der Wirtschaft­soder aber der stillgeleg­te Wald mehr Artenreich­tum hervorbrin­gt. Sie weiß um die Debatte, kennt beide Positionen. Nach ihrer Kenntnis leben in bewirtscha­fteten Wäldern bis zu 10.000 Tier- und Pflanzenar­ten, was doch für einen großen Artenreich­tum spricht. „Wir müssen uns“, wird sie zum Abschluss grundsätzl­icher, „aber auch die Frage beantworte­n, welchen Wald wir eigentlich in Zukunft wollen: Wollen wir Wirtschaft­swald? Klimawald? Schutz-, Nutz- und Erholungsw­ald? Denn es geht nicht nur um das Anpflanzen von 200 Millionen Bäumen.“

 ?? FOTOS (): SASCHA FROMM ?? Die Wälder rund um Schleiz sind wie in vielen an deren Thüringer Regionen von Dürre geschädigt. Der intensive Befall durch den Borkenkäfe­r hat die Situation noch verschlech­tert. Dirk Meisgeier (rechts), Geschäftsf­ührer der WBS Waldbesitz­er Service GmbH, machte sich Anfang August ein Bild vom Ausmaß des Schadens.
FOTOS (): SASCHA FROMM Die Wälder rund um Schleiz sind wie in vielen an deren Thüringer Regionen von Dürre geschädigt. Der intensive Befall durch den Borkenkäfe­r hat die Situation noch verschlech­tert. Dirk Meisgeier (rechts), Geschäftsf­ührer der WBS Waldbesitz­er Service GmbH, machte sich Anfang August ein Bild vom Ausmaß des Schadens.
 ??  ?? Martin Görner, Leiter der Arbeitsgru­ppe Artenschut­z Thüringen, Moderatori­n Sarah Kolling, Ministerin Birgit Keller (Linke) und Moderator sowie TA-Chefredakt­eur Jan Hollitzer (von links) sprachen beim Talk „Am Anger“über den Zustand des Waldes.
Martin Görner, Leiter der Arbeitsgru­ppe Artenschut­z Thüringen, Moderatori­n Sarah Kolling, Ministerin Birgit Keller (Linke) und Moderator sowie TA-Chefredakt­eur Jan Hollitzer (von links) sprachen beim Talk „Am Anger“über den Zustand des Waldes.
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