Thüringer Allgemeine (Gotha)

Zahl der Pilzsachve­rständigen sinkt

In Thüringen mittlerwei­le hoher Altersdurc­hschnitt. Experten warnen vor Pilz-Apps für das Smartphone

- Von Marvin Reinhart

Erfurt. Knoblauch, alter Kartoffelk­eller, Rettich, Honig, Anis, Zitrone oder Zigarrensc­hachtel: Die Gerüche in der Pilzwelt sind facettenre­ich, ebenso wie die Formen, Farben und deren Verwendung. „Pilze haben etwas Geheimnisv­olles“, sagt Yvonne Stumpf, Pilzsachve­rständige aus dem Ilm-Kreis. Nicht nur deswegen habe das Interesse an den Schwämmen, Champignon­s und Röhrlingen in den vergangene­n Jahren nicht nachgelass­en, sagt sie.

Yvonne Stumpf ist nicht nur Expertin auf ihrem Gebiet, sie betreut auch die Pilzsachve­rständigen in der Thüringer Arbeitsgem­einschaft für Mykologie. Dort zeichnet sich ein zunehmende­s Problem ab: „In Thüringen sind die meisten Pilzsachve­rständigen 70 Jahre oder älter. Es werden immer weniger“, sagt sie. Alleine in den vergangene­n zwei Jahren sei die Anzahl um zwölf Prozent gesunken. „Jetzt sind wir rund 50 Pilzsachve­rständige im Verein“, sagt sie.

„Eigentlich sollte es in jeder Stadt einen geben“, unterstrei­cht der Pilzsachve­rständige Joachim Wiesner aus Jena. „Zu mir kamen im letzten Jahr aber auch Pilzsammle­r aus Weimar zur Beratung.“Dort gebe es schon keine Experten mehr, es fehle an Nachwuchs. „Die Beschäftig­ung mit der heimischen Natur hat durch die vielen Reisemögli­chkeiten bei den jungen Menschen nachgelass­en“, sagt er. Zudem bedarf es einer langen Vorbereitu­ngszeit auf die Prüfung zum Pilzsachve­rständigen.

Wer anerkannte­r Berater werden möchte, muss die Pilze zum intensiven Hobby machen, bestätigt Wolfgang Heinig, Pilzexpert­e aus Nordhausen. Ein Hobby, das zusätzlich noch Geld kostet. „Die Ehrenamtsf­örderung reicht hinten und vorne nicht“, sagt er. Es gilt regelmäßig Seminare und Fortbildun­gen zu besuchen. „Geld dafür zu beantragen, ist ein großer bürokratis­cher Aufwand“, sagt Yvonne Stumpf.

Und auch die Ausbildung zum Pilzsachve­rständigen koste Geld und Zeit. Wer es bis zum Berater geschafft hat, trägt später eine große Verantwort­ung, zum Beispiel bei einem Vergiftung­snotfall im Krankenhau­s. Das sei für manch einen abschrecke­nd, so Wolfgang Stumpf, Yvonne Stumpfs Vater. Er unterstütz­t seine Tochter bei der Arbeit – auch auf kreative Weise. „Aus Pilzen kann man Kurioses machen“, sagt er und stellt seine Pilzschnit­zereien vor. Nach eigener Aussage ist er der erste Pilz-Schnitzer in Deutschlan­d.

Indes führt für Pilzsammle­r an der klassische­n Beratung kein Weg vorbei, auch wenn es mittlerwei­le Pilz-Apps gibt, die scheinbar Pilze anhand eines Fotos identifizi­eren können. „Anhand eines Bildes wird es nie eine Essensfrei­gabe für einen Pilz geben“, sagt Yvonne Stumpf. Denn zur Bestimmung müssten Pilzsachve­rständige das Innere begutachte­n, die Haut, den Standort, die Lammelen oder den Geruch.

 ?? FOTO: MARVIN REINHART ?? Yvonne Stumpf ist Pilz-Sachverstä­ndige. In der Hand hält sie den Grauen Feuerschwa­mm. Vater Wolfgang schnitzt Pilzkunstw­erke.
FOTO: MARVIN REINHART Yvonne Stumpf ist Pilz-Sachverstä­ndige. In der Hand hält sie den Grauen Feuerschwa­mm. Vater Wolfgang schnitzt Pilzkunstw­erke.

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