Boris Johnsons letzte Chance
Liefert der britische Premierminister nicht bald einen gangbaren Weg zum Brexit, könnte die Queen den Regierungschef entlassen
Brüssel/Dublin. Für den britischen Premierminister Boris Johnson wird es eng: Noch in dieser Woche muss er beweisen, dass er die Brexit-Wende schaffen kann und mit der EU einen Last-minute-Deal erreicht, um ein Chaos abzuwenden. Für Donnerstag, gleich nach dem Parteitag seiner konservativen Tories, haben Johnsons Vertraute den Vorstoß des Premiers angekündigt, wie der schon ausgehandelte Vertrag mit Brüssel geändert werden könnte – mit Garantien für eine offene Grenze auf der irischen Insel, aber ohne neue Fesseln für Großbritannien.
Erste Informationen über den Plan sorgen aber auf EU-Seite für Enttäuschung: Der irische Außenminister Simon Coveney spricht schon von einem „Rohrkrepierer“. Die Zeit für einen ernsthaften Vorschlag wird knapp. Angeblich will Johnson eine harte Grenze zwischen Irland und Nordirland nach dem EU-Austritt unter anderem dadurch vermeiden, dass jenseits der Grenze in einem Streifen von bis zu 16 Kilometern Zentren zur Zollabfertigung eingerichtet werden. So haben es Johnsons Unterhändler nach Informationen unserer Redaktion auch in Brüssel bereits ventiliert. Johnson wies am Dienstag aber Berichte zurück, dies sei schon sein endgültiger und vollständiger Vorschlag. „Wir werden ein sehr gutes Angebot vorlegen“, versicherte der Premier.
Es geht um viel – auch für Johnson persönlich. Er braucht den Austrittsvertrag mit der EU mehr denn je. Denn sein ursprünglicher Plan, Großbritannien Ende Oktober notfalls ohne Deal aus der EU zu führen, wird immer unrealistischer. Und für ihn riskanter. Ein neues Gesetz, das einen No-Deal-Brexit am 31. Oktober verbietet, wollte Johnson eigentlich einfach ignorieren. Doch jetzt wird klar: Wenn sich der Regierungschef über das Gesetz stellt und den Chaos-Brexit trotzdem durchpeitscht, könnte ihn Queen Elizabeth II. Ende Oktober entlassen – rechtzeitig, um das Chaos abzuwenden. „Johnson wäre innerhalb von fünf Minuten raus. Er würde sofort entlassen“, sagt der frühere britische Generalstaatsanwalt Dominic Grieve. Weigert sich Johnson, die Brexit-Verschiebung zu beantragen, würde ihn das oberste Gericht, der Supreme Court, wohl innerhalb weniger Tage dazu verpflichten, erklärt Grieve den Ablauf. Johnson müsste also größtes Interesse an einer Einigung mit der EU haben. Doch es mehren sich die Zeichen, dass der Premierminister nur geblufft hat. Seine Forderung: Die Garantieklausel für eine offene Grenze zwischen dem britischen Nordirland und EU-Mitglied Irland – der „Backstop“– soll aus dem Brexit-Abkommen gestrichen werden. Großbritannien wäre also nicht im Notfall in einer Zollunion mit der EU gefesselt. Als Alternative will Johnson eine „All-Ireland“-Regulierungszone für die gesamte irische Insel, die Tiere, Agrarprodukte und Lebensmittel umfassen soll, vielleicht auch auf Industriegüter ausgedehnt werden könnte.
Bei dieser Lösung bliebe die britische Provinz wie EU-Mitglied Irland im EU-Binnenmarkt mit einheitlichen Zollregelungen. Damit wären aber Grenzkontrollen beim Handel mit dem restlichen Vereinigten Königreich notwendig. Das EUParlament hat diese Lösung jetzt ausdrücklich angeboten. Bisher hat Johnson Nein gesagt, er muss Widerstand bei den Konservativen fürchten.
Die Idee einer „managed border“erfülle aber die EU-Kriterien nach offenen Grenzen bei gleichzeitig voller Einhaltung der EU-Binnenmarktstandards nicht, heißt es bei beteiligten Beamten der Kommission. Ob das Modell überhaupt funktionieren würde, sei offen. EU-Diplomaten fürchten, Johnson werde weiter pokern. Er hat schon erklärt, eine Einigung erst beim EU-Gipfel am 17. und 18. Oktober erzielen zu wollen. Doch dieses Spiel werden Kanzlerin Angela Merkel und ihre Kollegen durchkreuzen: Es sei ausgeschlossen, dass sich die Regierungschefs beim Gipfel über Details der Zollregelung beugten, heißt es in Brüssel. Wenn Johnson nicht vorher geliefert habe, werde er bei seinen Kollegen während des Gipfels auf Granit beißen. Es wird also wirklich eng für Johnson.
Hat Johnson nur geblufft? Die Zeichen mehren sich