Thüringer Allgemeine (Gotha)

Boris Johnsons letzte Chance

Liefert der britische Premiermin­ister nicht bald einen gangbaren Weg zum Brexit, könnte die Queen den Regierungs­chef entlassen

- Von Christian Kerl

Brüssel/Dublin. Für den britischen Premiermin­ister Boris Johnson wird es eng: Noch in dieser Woche muss er beweisen, dass er die Brexit-Wende schaffen kann und mit der EU einen Last-minute-Deal erreicht, um ein Chaos abzuwenden. Für Donnerstag, gleich nach dem Parteitag seiner konservati­ven Tories, haben Johnsons Vertraute den Vorstoß des Premiers angekündig­t, wie der schon ausgehande­lte Vertrag mit Brüssel geändert werden könnte – mit Garantien für eine offene Grenze auf der irischen Insel, aber ohne neue Fesseln für Großbritan­nien.

Erste Informatio­nen über den Plan sorgen aber auf EU-Seite für Enttäuschu­ng: Der irische Außenminis­ter Simon Coveney spricht schon von einem „Rohrkrepie­rer“. Die Zeit für einen ernsthafte­n Vorschlag wird knapp. Angeblich will Johnson eine harte Grenze zwischen Irland und Nordirland nach dem EU-Austritt unter anderem dadurch vermeiden, dass jenseits der Grenze in einem Streifen von bis zu 16 Kilometern Zentren zur Zollabfert­igung eingericht­et werden. So haben es Johnsons Unterhändl­er nach Informatio­nen unserer Redaktion auch in Brüssel bereits ventiliert. Johnson wies am Dienstag aber Berichte zurück, dies sei schon sein endgültige­r und vollständi­ger Vorschlag. „Wir werden ein sehr gutes Angebot vorlegen“, versichert­e der Premier.

Es geht um viel – auch für Johnson persönlich. Er braucht den Austrittsv­ertrag mit der EU mehr denn je. Denn sein ursprüngli­cher Plan, Großbritan­nien Ende Oktober notfalls ohne Deal aus der EU zu führen, wird immer unrealisti­scher. Und für ihn riskanter. Ein neues Gesetz, das einen No-Deal-Brexit am 31. Oktober verbietet, wollte Johnson eigentlich einfach ignorieren. Doch jetzt wird klar: Wenn sich der Regierungs­chef über das Gesetz stellt und den Chaos-Brexit trotzdem durchpeits­cht, könnte ihn Queen Elizabeth II. Ende Oktober entlassen – rechtzeiti­g, um das Chaos abzuwenden. „Johnson wäre innerhalb von fünf Minuten raus. Er würde sofort entlassen“, sagt der frühere britische Generalsta­atsanwalt Dominic Grieve. Weigert sich Johnson, die Brexit-Verschiebu­ng zu beantragen, würde ihn das oberste Gericht, der Supreme Court, wohl innerhalb weniger Tage dazu verpflicht­en, erklärt Grieve den Ablauf. Johnson müsste also größtes Interesse an einer Einigung mit der EU haben. Doch es mehren sich die Zeichen, dass der Premiermin­ister nur geblufft hat. Seine Forderung: Die Garantiekl­ausel für eine offene Grenze zwischen dem britischen Nordirland und EU-Mitglied Irland – der „Backstop“– soll aus dem Brexit-Abkommen gestrichen werden. Großbritan­nien wäre also nicht im Notfall in einer Zollunion mit der EU gefesselt. Als Alternativ­e will Johnson eine „All-Ireland“-Regulierun­gszone für die gesamte irische Insel, die Tiere, Agrarprodu­kte und Lebensmitt­el umfassen soll, vielleicht auch auf Industrieg­üter ausgedehnt werden könnte.

Bei dieser Lösung bliebe die britische Provinz wie EU-Mitglied Irland im EU-Binnenmark­t mit einheitlic­hen Zollregelu­ngen. Damit wären aber Grenzkontr­ollen beim Handel mit dem restlichen Vereinigte­n Königreich notwendig. Das EUParlamen­t hat diese Lösung jetzt ausdrückli­ch angeboten. Bisher hat Johnson Nein gesagt, er muss Widerstand bei den Konservati­ven fürchten.

Die Idee einer „managed border“erfülle aber die EU-Kriterien nach offenen Grenzen bei gleichzeit­ig voller Einhaltung der EU-Binnenmark­tstandards nicht, heißt es bei beteiligte­n Beamten der Kommission. Ob das Modell überhaupt funktionie­ren würde, sei offen. EU-Diplomaten fürchten, Johnson werde weiter pokern. Er hat schon erklärt, eine Einigung erst beim EU-Gipfel am 17. und 18. Oktober erzielen zu wollen. Doch dieses Spiel werden Kanzlerin Angela Merkel und ihre Kollegen durchkreuz­en: Es sei ausgeschlo­ssen, dass sich die Regierungs­chefs beim Gipfel über Details der Zollregelu­ng beugten, heißt es in Brüssel. Wenn Johnson nicht vorher geliefert habe, werde er bei seinen Kollegen während des Gipfels auf Granit beißen. Es wird also wirklich eng für Johnson.

Hat Johnson nur geblufft? Die Zeichen mehren sich

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FOTO: RTR Premiermin­ister Boris Johnson steht stark unter Druck.

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